Der ukrainische Weg zur Kontrolle
Das neue Gesetz zur Kontrolle des Internet ist in Kraft getreten - zusammen mit der jüngsten Entscheidung über die erneute Kandidatur Leonid Kutschmas bereitet diese Entwicklung (nicht nur) Bürgerrechtlern Sorgen
Das Intervenieren von Organisationen wie Reporter ohne Grenzen hat die Entwicklung in der Ukraine nicht aufhalten können: Das umstrittene Gesetz, das die Verwaltung der TLD u.a. in die Hände eines Komitees legt (welches zur Hälfte aus der Regierung, zur anderen Hälfte aus dem ehemaligen Geheimdienst besteht) und die Grundlage für das Speichern und Abhören der Telekommunikation bildet (Das Internet fest in staatlicher Hand), ist in Kraft getreten. Für Hostmaster, den bisherigen Verwalter der TLD, der weiterhin gegen diese Regelung angeht, dürfte es damit kaum mehr Möglichkeiten geben, den bisherigen Aufgabenbereich wieder zu erlangen.
Aber nicht nur die sehr schwammig formulierten Passagen des neuen Gesetzes, welches vorrangig mit dem Kampf gegen die Pornographie begründet wird, geben Anlass zur Besorgnis. Auch die Entscheidung darüber, dass Kutschma auch in diesem Jahr für das höchste Amt im Staate kandidieren darf, ist weiterhin umstritten.
Leonid Kutschma wurde 1994 zum Präsidenten der Ukraine gewählt, 1999 erfolgte seine Wiederwahl. Die derzeit geltende Verfassung wurde jedoch erst 1996 angenommen. Da die Gesetze vorschreiben, dass ein und dieselbe Person nicht mehr als zwei Amtszeiten hintereinander Präsident der Ukraine sein darf, sofern sie für das Amt des Präsidenten nach Inkrafttreten eben dieser Verfassung gewählt wurde, war strittig, ob Kutschmas Zeit zwischen 1996 und 1999 als Amtszeit im Sinne dieses Gesetzes gilt. Das oberste Verfassungsgericht wurde von den Parlamentariern gebeten, hierzu eine Entscheidung zu fällen. Seiner Meinung nach gilt lediglich die Zeit zwischen 1999 und 2004 als erste Amtsperiode. Somit ist der Weg frei für eine erneute Kandidatur.
Zeitgleich änderte das Parlament die Verfassung von 1996, so dass ab 2006 nun das Parlament, nicht aber das Volk, den Präsidenten wählt. Für Kutschmas Kritiker ist diese Entscheidung ein herber Rückschlag. Insbesondere der ehemalige Premierminister Viktor Juschtschenko zeigt sich enttäuscht. Für ihn ist diese Entscheidung ein Grund, an der Unabhängigkeit der Justiz und vor allem an der des Verfassungsgerichts zu zweifeln.
Die Verfassungsänderung ist als direkte Folge der Parlamentswahlen 2003 anzusehen, die der Kutschma nahe stehenden Partei "Einige Ukraine" zwölf Prozent der Stimmen, der von Juschtschenko angeführten Partei "Unsere Ukraine" jedoch doppelt so viele Stimmen bescherten. Schon diese Wahlen demonstrierten, wie insbesondere durch die Gleichschaltung der Medien, aber auch durch willkürliche Verhaftungen, die Wahlen zugunsten von Leonid Kutschma beeinflusst werden sollten. Nach den Wahlen schlossen sich viele neugewählte Parlamentarier, die während der Kandidatur noch als "unabhängig" galten, kaum im Parlament, den Kutschma-Anhängern an. Da sich die Kommunisten, die bei den Wahlen 2003 die zweitstärkte Partei geworden waren, bei der jetzigen Verfassungsänderung auf die Seite der Kutschma-Partei stellten, waren die Proteste der Oppositionellen fruchtlos, Juschtschenko will jedoch die Angelegenheit bis vor den Europäischen Gerichtshof in Straßburg bringen.
Leonid Kutschma hat zur gleichen Zeit jedoch noch ein weiteres wichtiges Gesetz unterzeichnet, das im Hinblick auf die derzeitige Situation der Meinungs- und Informationsfreiheit Anlass zu Sorge gibt: Mit der Änderung zum "Gesetz über die Nachrichtenagenturen" wird die Obergrenze für den ausländischen Gründungskapitalanteil von 30% auf 35% angehoben. Da jedoch die Bedingungen für ausländische Investoren in der Ukraine eher unattraktiv sind, geht man davon aus, dass diese Änderung lediglich darauf abzielt, den Medienmarkt noch weiter für russisches Kapital zu öffnen.
Bedenkt man, dass es Russland war, das Kutschma (nicht nur) während der sogenannten Tonband-Affäre um den Tod des Journalisten Géorgiy Gongadze den Rücken stärkte, so erscheint diese Annahme nur allzu logisch. Und auch was die allgemeine politische Situation angeht, nähert sich die Ukraine weiterhin dem großen Bruder Russland an. Nicht nur, dass die Justiz vom Präsidialapparat kontrolliert scheint, die von ehemaligen KGB-Offizieren angeführten Finanzämter bilden zudem noch eine effektive Möglichkeit, politische Gegner im Griff zu behalten. Nimmt man nun noch die Kontrolle über das Internet sowie die Möglichkeit Russlands, sich mit mehr Kapital an ukrainischen Medien zu beteiligen hinzu, ist die Überlegung, dass die diesjährige Präsidentschaftswahl eine größtenteils durch Medienmanipulation und Zensur bestimmte Wahl werden wird, durchaus verständlich.
Der mysteriöse Tod des stellvertretenden Chefredakteurs der ukrainischen Wochenzeitung "Kurier", welcher sich, so die offizielle Information, im Zustand der Trunkenheit am Griff seines Kühlschrankes strangulierte , gibt diesen Bedenken noch zusätzlich Nahrung. Volodymyr Karachevtsev, der sich zuletzt mit dem Thema Korruption beschäftigte, erhielt seit einiger Zeit Morddrohungen. Nach Géorgiy Gongadze und Mikhailo Kolomiets ist Volodymyr Karachevtsev der dritte unter mysteriösen Umständen zu Tode gekommene Journalist in der Ukraine seit 2000. "Reporter sans frontières" haben eine lückenlose Aufklärung des Unglücksfalles gefordert. Jedoch steht zu befürchten, dass auch hier die Ermittlungen im Sand verlaufen, insbesondere wenn die Medienkonzentration und - kontrolle weiter voran schreiten.