Der unsichtbare Zylinder

Praktische Science-Fiction

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Forscher haben ein erstes Tarngerät konstruiert. Damit können sie zwar noch keine Raumschiffe oder Menschen verstecken, aber immerhin schon Metallzylinder. Jedenfalls ein bisschen.

Nun hat die Menschheit den Vertrag von Algeron also doch verletzt: US-Wissenschaftlern der Duke University in Durham ist es gelungen, das Konzept eines Tarngeräts in die Praxis umzusetzen. Im Mai hatte Telepolis noch über das theoretische Konzept dafür berichtet (Ich sehe, dass du mich nicht siehst), das britische Wissenschaftler hierzu entwickelt hatten.

Was das Forscherteam um David Schurig (natürlich Ingenieure, wie der Ausblick des letzten Telepolis-Artikels schon vorhergesagt hatte) jetzt konstruiert hat, hat einiges gemein mit dem elbischen Tarnumhang, wie ihn ein gewisser Hobbit durch die Weiten Mittelerdes trägt. Denn die Tarnvorrichtung macht das zu versteckende Objekt nicht wirklich unsichtbar – es sorgt nur dafür, dass sich das elektromagnetische Feld an dieser Stelle beinahe so verhält, als gäbe es dort gar kein störendes Objekt.

Täuschen, tarnen – und verstecken

Das funktioniert heute noch nicht auf Knopfdruck: Zunächst ermittelten Schurig und Kollegen die genaue Konfiguration des elektromagnetischen Felds ohne Störung, dann diejenige mit eingefügtem Objekt – und natürlich mit eingefügter Tarnvorrichtung, denn auch die soll natürlich mit verschwinden. Anschließend mussten sie nur noch einen Korrekturmechanismus finden, der das Feld wieder in den Ausgangszustand versetzt – trotz Störung. Das Vorgehen beschreiben sie in einem einleuchtenden (Realplayer-)Video.

Um den gewünschten Effekt zu erreichen, nutzten sie, wie von der theoretischen Arbeit vorgeschlagen, so genannte Meta-Materialien. Das sind Stoffe (genau genommen sind es nicht einmal Stoffe im engeren Sinne) mit in der Natur nicht vorkommenden physikalischen Eigenschaften – in diesem Fall einem negativen Brechungsindex. Diese Eigenschaften erhalten sie aus ihrer makroskopischen Struktur – erfolgreich getestete Meta-Materialien bestehen zum Beispiel aus einem Feld geschlitzter Kupferringe und -drähte.

Den genauen Versuchsaufbau und die Messergebnisse hat das Forscherteam in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Science veröffentlicht (doi: 10.1126/science.1133628). Die Einzelelemente des Tarnmechanismus, quasi die „Atome“ des Meta-Materials, waren in konzentrischen Zylinderschichten rund um das ebenfalls zylindrische zu versteckende Objekt angeordnet.

Die Tarnung bleibt flach – zweidimensional

Dreidimensionale Simulationen des kompletten Systems erwiesen sich als bisher nicht realisierbar, die Wissenschaftler setzten deshalb auf eine „im Prinzip“ zweidimensionale Struktur. Dazu platzierten sie die zehn Millimeter hohe Tarnvorrichtung samt Objekt zwischen zwei leitenden Platten. Das gesamte Modul setzten sie nun aus einer Richtung einem Mikrowellenfeld aus – mit dem vorberechneten Ergebnis, dass sich bei vorhandener Tarnung die Störung des Feldes nur noch schwach nachweisen ließ, sowohl die vom Objekt verursachte Rückstreuung als auch sein „Schatten“ verschwanden – fast. Offensichtlich, so Schurig „bewegen sich die Wellen ähnlich wie das Wasser eines Flusses um einen glatten Felsen“.

Die Tarnung ist aber nicht perfekt – und sie wirkt nur zweidimensional. Außerdem stehen zurzeit noch keine im optischen Bereich wirksamen Meta-Materialien bereit. Deshalb müssen potenzielle Anwender heute mit der Beschränkung der Tarnwirkung auf Mikrowellen leben. Trotzdem kann die Technologie gerade für militärische Zwecke spannend sein: Wenn es gilt, ein ganz bestimmtes Objekt vor Strahlung in einem bestimmten Wellenlängenbereich zu verbergen, kennt man normalerweise die genaue Konfiguration des Objekts – ob nun Flugzeug oder Schiff – sehr gut.

Die Duke-University-Wissenschaftler sind allerdings skeptisch, ob sich auf ähnliche Weise jemals echte Unsichtbarkeit im optischen Bereich erreichen lassen wird. Das ist vor allem deshalb schwierig, weil die dazu nötigen Meta-Materialien in einem sehr breiten Frequenzbereich wirken müssten. Womöglich muss die Menschheit deshalb doch aufs PAL-Feld ausweichen, wie schon im Mai ein Kommentar hier zu Recht anmerkte.