Der verständige Hund
Einige Hunde verfügen über ähnliche sprachliche Fähigkeiten wie Kleinkinder
"Wetten, dass... Hunde verstehen können, was Menschen sagen?" Hundehalter haben es ja schon immer geahnt, doch jetzt ist wissenschaftlich erwiesen, dass es mindestens einen Vertreter aus der Familie der Caniden gibt, der mehr als 200 Wörter voneinander unterscheiden kann. Damit übertrifft der Bordercollie Rico selbst sprachbegabte Schimpansen. Darüber hinaus kann das Sprachtalent Rico die Bedeutung bislang unbekannter Wörter erraten und neue Vokabeln hinzulernen – ähnlich wie ein Kleinkind ab dem zweiten Lebensjahr.
Nun ist Rico nicht irgendwer, sondern jener Hund, der schon 1999 die Zuschauer der Samstag-Abend-Show "Wetten, dass...?" begeisterte. Damals wettete seine Besitzerin Susanne Baus, dass Rico in der Lage ist, "aus 77 Spielzeugen jeweils exakt das herauszuholen, das sie benennt". Natürlich gewann Rico die Wette. Und weil die Nummer mit dem Hund so klasse war, wurde sie im März 2001 beim 20-jährigen Jubiläum der Show prompt zur besten Wette aller Zeiten gekürt.
Wie es der Zufall wollte, befanden sich unter den Zuschauern der Jubiläumssendung auch Verhaltensforscher aus Leipzig, die sich schon seit langem dafür interessieren, wie Mensch und Tier miteinander kommunizieren. Drei Jahre lang führten sie in regelmäßigen Abständen unter kontrollierten Bedingungen Vokabeltests mit Rico durch und kamen zu dem Ergebnis, dass Rico auch bislang unbekannte Begriffe und Gegenstände in Relation setzen und demnach abstrahieren kann. Eine Fähigkeit, die Hundehalter kaum überrascht, die wissenschaftlich bislang jedoch nicht eindeutig nachgewiesen werden konnte.
Eine Hundekarriere: Von Thomas Gottschalk in die Wissenschaft
Die Ergebnisse veröffentlichte die Forschergruppe vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in der aktuellen Ausgabe der US-amerikanischen Wissenschaftszeitschrift Science. Diese Veröffentlichung ist ein wichtiger Schritt in Sachen Sprachforschung, denn auch wenn Rico dem deutschen Fernsehpublikum schon lange bekannt ist, stehen der Wissenschaft erst jetzt empirische Daten zur Verfügung.
Begonnen hat die Karriere von Rico mit einer Schulteroperation: Im Alter von etwa neun Monaten musste der Rüde unters Messer und sich anschließend schonen. Klingt einfach, war aber schwierig, denn Rico ist ein Bordercollie, und Bordercollies wollen beschäftigt sein. Mindestens fünf Stunden am Tag. Sonst langweilen sich die Arbeitshunde zu Tode, oder noch schlimmer: sie rebellieren gegen die Vernachlässigung und werden aggressiv. Susanne Baus musste sich also was einfallen lassen, und weil Rico schon immer gerne "Spielzeug verstecken und finden" spielte, versteckte sie kleine Gegenstände hinterm Sofa und anderswo und forderte Rico auf, diese herbeizuschaffen. Natürlich blieb es nicht bei einer Hand voll Gegenständen, denn sobald Besucher von Ricos Fähigkeiten hörten, brachten sie neue Spielzeuge mit. Um ihren Hund nicht zu überfordern, zog Susanne Baus bei dreißig Gegenständen den Schlussstrich. Was ihre Gäste freilich nicht davon abhielt, Rico auch weiterhin mit Material zu versorgen.
Inzwischen ist Rico neun Jahre alt und kennt über 200 Gegenstände beim Namen. Und wenn man ihn lässt, lernt Rico trotz seines hohen Hundealters im Handumdrehen neue Wörter hinzu. Dazu muss man lediglich einen neuen Gegenstand unter eine Auswahl bereits bekannter Spielzeuge mischen - zum Beispiel einen Stoffraben, der den Namen "Siebenstein" trägt – und fragen "Wo ist der 'Siebenstein'?". Dann läuft Rico los, lässt alle ihm bereits bekannten Spielsachen links liegen und bringt das neue Spielzeug an. Diese so genannte "schnelle Zuordnung" (engl. fast mapping), bei der Hypothesen über den Zusammenhang von Dingen und Bezeichnungen gebildet werden, ist eine Fähigkeit, die man bislang nur beim Menschen vermutete.
"Wo ist der Deinhart?"
In einem Video wird gezeigt, wie der Hund auf Zuruf erst den blauen Dinosaurier "Tyrex" holt, dann den roten "Weihnachtsmann". Der weiße Hase ist neu und bekommt deshalb auch den neuen Namen "Sirikid", den der Hund auch richtig zuordnen und erinnern kann. Er findet in 37 von 40 Fällen das richtige Spielzeug und übertrifft damit trainierte Delphine, Seelöwen, Papageien und auch Affen.
Mit Dressur hat Ricos Sprachspiel nichts zu tun, denn Rico kann und muss jedes Mal frei entscheiden, welchen Gegenstand er auswählt – und sich zu diesem Zweck quasi Gedanken machen. Ähnliche Aufgaben meistern übrigens auch andere Hunde. So wird etwa Blindenhunden beigebracht, in einer bislang unbekannten Umgebung Treppen, Sitzmöglichkeiten oder Briefkästen als solche zu erkennen und ihre Begleitperson je nach Bedarf dorthin zu geleiten. Der Befehl "Finde einen Briefkasten" und die daran anschließende Erkenntnisleistung ist durchaus vergleichbar mit dem, was bei Ricos Sprachspielen abläuft.
Domestikation könnte eines der Schlüsselelemente zur erfolgreichen Mensch-Hund-Kommunikation sein, denn selbst zahme Wölfe sind nicht in der Lage, menschliche Gesten wie Zeigen und Deuten als Hinweise zu erkennen. Hunde dagegen reagieren schon im Alter von wenigen Wochen auf entsprechende Fingerzeige, und auch ältere Hunde, die bislang keinen Kontakt zu Menschen hatten, wissen die Zeichen der Zweibeiner zu deuten. Die Forscher vermuten, dass die jahrtausende alte Koevolution von Mensch und Hund dazu geführt hat, dass Hunde gelernt haben, auf die Körpersprache des Menschen zu achten. Dass ausgewählte Exemplare auch in der Lage sind, die Sprache des Menschen wenigstens teilweise zu verstehen, ist deshalb nur konsequent. Auf sprechende Hunde wird man allerdings noch lange warten müssen, denn mehr als ein mehr oder weniger kontrolliertes Bellen, Grollen, Winseln und Hecheln gibt der Stimmapparat einfach nicht her.