Der vielleicht wertloseste Geheimdienstbericht der US-Geschichte

Ein vielbeachtetes Papier der US-Nachrichtendienste zu den Wahlen 2020 erfüllt eher einen politischen Auftrag. Warum die Biden-Regierung davon profitiert

Die Struktur der US-Geheimdienstbehörden ist bisweilen unübersichtlich. Die United States Intelligence Community (USIC) sollte man etwa nicht verwechseln mit dem Meta-Thinktank "The Intelligence Community Inc.", zu dem auch illustre Firmen wie der durch Wikileaks bekanntgewordene "Analyse-Spezialist" Stratfor gehört.

Die IC Inc. ist ein Zusammenschluss aus Firmen des militärischen Geheimdienst-Komplexes und verfolgt kommerzielle Interessen, die USIC dagegen besteht ausschließlich aus Organen des Militärs, der Geheimdienste sowie ihnen untergeordneten Gliederungen.

Der USIC untergeordnete Nationale Geheimdienstrat /National Intelligence Council, NIC) wiederum unterstützt das Office of the Director of National Intelligence (ODNI) mit "Strategischen Langzeitanalysen" und "Intelligence Community Assessments", sogenannten ICAs. Die USIC selbst untersteht direkt der Geheimdienstkoordination, seit Januar dieses Jahres unter Leitung von Avril Haines.

Sie zeichnet verantwortlich für die täglichen Geheimdienstbriefings, die der US-Präsident jeden Morgen vorgelegt bekommt. Haines hat auch das ICA vom 10. März freigegeben, nach dem der russische Präsident Wladimir Putin versucht hat, auf die US-Präsidentschaftswahlen im vergangenen Jahr Einfluss zu nehmen. Dabei lohnt sich ein detaillierterer Blick auf das Papier – und seiner Vorgängerdokumente.

Das Präsidenten-Briefing vom 6. August 2001

Nicht immer werden die Unterrichtungen von US-Präsidenten ernstgenommen oder gar gelesen, so wie das legendäre Briefing mit dem Titel "Bin Ladin Determined to Strike in US", das George W. Bush am 6. August 2001 vorgelegt bekam. Veröffentlicht mit vielen Schwärzungen wurde es am 10. April 2004, im Rahmen des Berichtes der Kongressausschusses zu den Terroranschlägen am 11. September 2001. Zwei Jahre zuvor – also 2002 – war es bereits geleakt worden.

Die Daily Briefings, wie andere interne, als geheim klassifizierte Dokumente, bemühen in der Regel eine weitaus deutlichere Sprache als Dokumente, die für die Öffentlichkeit, die Politik oder für diplomatischen Akteure freigegeben werden. Sie wurden geschrieben, um Entscheider zu informieren.

Eine ganz andere Sprache

Im Gegensatz zu dem legendären, überaus präzisen und konkreten August-6-Briefing hat das derzeit ausgiebig diskutierte "Geheimdienstpapier" mit dem Titel "Ausländische Bedrohungen der US-Bundeswahlen 2020 (Foreign Threats to the 2020 US Federal Elections) vom 10. März 2021 wenig Sprengkraft und noch weniger inhaltlichen Wert. Es folgt vielmehr einer politischen Agenda, geschrieben eher von Spindoctors als von Geheimdienstexperten.

In fünf "Schlüsselerkenntnisse" sowie auf insgesamt zehn Seiten bleiben die Autoren stets vage mit ihren Einschätzungen. Es gebe keinen Beweis für technische Manipulationen, Russland sei zwar auf der Seite Trumps gewesen und habe diesen unterstützt, anders als 2016 aber eben erfolglos, der Iran habe dem entgegengearbeitet und versucht, Trump zu unterminieren und China habe sich rausgehalten, weil man etwaige Vergeltung nach der Wahl fürchtete ("Risk was not worth the reward").

Die Achse des Bösen mal wieder

Ganz anders die von den USA als Schurkenstaaten klassifizierten Länder Kuba und Venezuela sowie die Hisbollah: Sie hätten "einige Schritte unternommen, um zu versuchen, die Wahlen zu beeinflussen". Aber selbst dies sei vermutlich eher von finanziellen Motiven getrieben gewesen.

Immer wieder reihen die Autoren Spekulationen und unsichere Aussagen aneinander:

"Wir haben keine Hinweise darauf, dass ein ausländischer Akteur versucht hat, sich in die US-Wahlen 2020 einzumischen", "Wir haben keine Beweise", "Wir haben keine Einmischung des Irans in die Wahlen festgestellt", "Anders als 2016 haben wir keine anhaltenden russischen Cyber-Bemühungen gesehen".

Halten wir fest:

  • Iranische Cyber-Akteure sollen versucht haben, die Webseiten einzelner US-Bundesstaaten zur Wahl zu übernehmen, ebenso manche "News Content Management Systeme", jeweils über bekannte Sicherheitslücken;
  • Die schiitische Hisbollah-Miliz habe sich einen einfach zu erringenden politischen Erfolg erhofft, indem sie Präsident Trumps Erfolg zu untergraben half;
  • Kuba habe versucht, die Gemeinschaft der Hispanics in den USA mit Pro-Biden und Anti-Trump-Narrativen zu beeinflussen;
  • Präsident Nicolás Maduro hätte aus Venezuela wohl gerne gleichgezogen, aber er hat(te) wohl nicht die Mittel dazu, ernsthaft etwas auszurichten.
  • Russland (Putin) pro Trump, Iran pro Biden, China hielt still.

America is back – Die Rückkehr der Weltpolizei?

Alles schön und gut und soweit plausibel, vor allem konform mit der (neuen) US-amerikanischen Weltsicht unter dem amtierenden Präsidenten Joe Biden. Überraschen mag da allenfalls dass Nordkorea gar nicht vorkommt. Kim Jong-un wird das nicht freuen, werden doch sogar türkische Nationalisten erwähnt, weil diese die Webseite eines Kandidaten übernommen haben sollen.

Der ganze Bericht ist streng auf Linie: Es gibt keinen Beweis für erfolgreiche Wahlmanipulationen, Putin war erfolglos, China ängstlich und die Schurkenstaaten sind ohnehin weitgehend machtlos gegen das Promised Land, das Prinzip America is Back und die Mär der offensichtlichen Bestimmung.

Auf Seite neun findet sich ein Paradebeispiel dafür, wie spekulativ, unwissenschaftlich und wenig hilfreich der ICA-Bericht ist. In einem Passus über "profitorientierte Cyberkriminelle" heißt es:

Wir schätzen ein, dass ausländische Cyberkriminelle wahrscheinlich nicht daran gearbeitet haben, die US-Wahlen im Namen oder auf Anweisung eines Nationalstaates zu stören oder zu beeinflussen. Wir haben ein geringes Vertrauen in diese Einschätzung. Wir schätzen, dass einige Cybercrime-Gruppen wahrscheinlich zumindest mit der stillschweigenden Zustimmung ihrer nationalstaatlichen Gastgeber operieren.

Da vermag auch die hilfreiche zehnte Seite nicht mehr für Klarheit sorgen. Die lesenswerte, abschließende Seite des Berichts gibt einen Überblick darüber, wie das NIC in einem ICA "Estimative Language", "Judgements of Likelihood" und "Confidence in our Judgements" definiert, sinngemäß also "spekulative Sprache", "Einschätzung von Wahrscheinlichkeiten" und "Vertrauenswürdigkeit unserer Einschätzungen".

Verschleierung oder Inkompetenz?

Leider hilft das bei dem genannten Absatz aber auch nicht weiter. Aber solche Formulierungen sind – auch jenseits jedes Management-Bullshit-Bingos – in einer Hinsicht doch wiederum aussagekräftig: Jeder, der einmal in einem Management- oder Politiker-Briefing saß, würde einem Sachbearbeiter oder Mitarbeiter einen solchen Satz um die Ohren hauen, schlicht mangels belastbarer Fakten.

Im Journalismus wären solche Sätze ein Warnsignal für die bearbeitenden Redakteure, die dort Fakten und den Autor nochmal zu hinterfragen. Will der Autor hier etwas verbergen, weiß er es schlicht nicht besser oder weshalb häufen sich die Relativierungen hier so?

In einem Daily Briefing fände sich so vage Sprache sicher nicht, die Vielzahl überspezifischer Dementis und mehrfacher Einschränkungen machen jede Aussagekraft zunichte. Wer den ganzen Bericht nochmal unter diesem Gesichtspunkt und im Vergleich mit dem legendären August-Briefing von 2001 liest, erkennt die Schwächen deutlich.

Für die Öffentlichkeit geschrieben

Der jüngste Bericht aber wurde nicht geschrieben, um politische Entscheider zu informieren. Er wurde offensichtlich verfasst, um bestimmte Ansichten zu verbreiten. Der Text ist entsprechend politisch, spiegelt außenpolitische Ziele wieder und es werden – offenbar auch zum Informantenschutz – keine Fakten benannt.

Geradezu lächerlich erscheint es, Kuba, Venezuela, die Hisbollah und türkische Nationalisten mit Iran, China und Russland in einen Topf zu werfen, während Nordkorea außen vor bleibt. Doch auch das zeigt: Dieses ICA folgt einer Agenda.

So bleibt die Erkenntnis: Das Dokument ist kein Geheimdienstbericht, schon gar kein "geleaktes Geheimdienstbriefing" oder ähnliches. Im Gegenteil, es dürfte ganz im Sinne der Spindoctors der US-Regierung sein:

  • Die Wahl Bidens war einwandfrei, es hat keine technischen Manipulationen gegeben;
  • Putin wollte Trump helfen, der konnte 2016 nur mit russischer Hilfe gewinnen;
  • Alle Schurken der Welt haben ohne Erfolg versucht, die großartigen USA anzugreifen, aber sie waren alle zu schwach, sogar China zittert vor "America".

Es bleibt die Erkenntnis, dass die Aussage "Eine Einmischung in die Wahlen konnten wir nicht beweisen" etwas ganz was anderes als: "Eine Einmischung hat es nachweisbar nicht gegeben."

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