Der virtuelle Geheimdienst

Israels sagenumwobener Auslandsnachrichtendienst Mossad hat jetzt eine eigene Homepage

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Jahrzehnte lang scheute der Mossad die Öffentlichkeit wie der Teufel das Weihwasser: Offiziell war nicht einmal bekannt, wo Israels Schlapphüte ihren Sitz haben, geschweige denn, wie ihre Chefs hießen. Israelischen Journalisten war es sogar bis in die 90er Jahre hinein verboten, diese Informationen in Büchern oder Medienberichten zu erwähnen. Treffen mit potentiellen Mitarbeitern und möglichen Informanten wurden nur konspirativ angebahnt. Doch diese Zeiten sind jetzt vorbei: Das "Institut für Information und besondere Aufgaben," wie Regierungschef David Ben-Gurion den Nachrichtendienst 1954 taufte, hat jetzt eine Zweigstelle im Internet - und gibt sich dort so bürgernah wie nie zuvor.

Einen gewissen Stolz konnte der Regierungssprecher nicht verbergen, als er am Montag morgen die wahrscheinlich einzig positive Nachricht des Tages verkündete. Als Teil einer in Israel seit gut zwei Jahren laufenden e-government-Initiative sei nun auch der Mossad online:

Wir möchten in allen Bereichen der Regierungsarbeit die größtmögliche Offenheit bieten und den Menschen die Gelegenheit geben, ihre Verwaltungsangelegenheiten von zu Hause zu erledigen.

Mit der Bequemlichkeit ist es dabei allerdings bislang nicht soweit her: Wer beim Innenministerium beispielsweise ein neues Visum beantragen will, hat die Wahl zwischen den Versionen für Zirkusartisten, Sportlern oder Geistlichen - und alle drei Formulare müssen ausgedruckt und per Post geschickt werden. Ein Auto an-, um- oder abmelden? Fehlanzeige. Und mal schnell ein paar Infos auf der Seite des Staatlichen Presseamtes abgreifen? Da könnte ja jeder kommen: Die Seite der Behörde verweist auf die "National Photo Collection," eine bunt gemischte Sammlung von Schnappschüssen aus 56 Jahren Staatsgeschichte.

Dafür gibt es auf der Seite des Premierministers großformatige Bilder aller bisherigen Regierungschefs und eine Auflistung alter Pressemiteilungen, in der aus unerfindlichen Gründen die wichtigsten fehlen. Dafür bietet das Außenministerium den Nutzern eine Fülle von Informationen zu allen Aspekten von Politik und Gesellschaft in Israel. Bürgernähe demonstrierte bisher nur die Knesseth, die neben den Lebensläufen aller Politiker, die jemals im Parlament waren, auch einen Videostream der Sitzungen (montags, dienstags, mittwochs) und Hintergrundinformationen zur Rechtslage bietet.

Doch jetzt setzt der Mossad noch eins drauf. Wenn schon Internet, dann richtig, dachte man sich dort wohl und hat den Gedanken vom e-government weitergesponnen: Wer will, kann den Schlapphüten jetzt bequem per Webformular geheime Informationen aller Art zukommen lassen - allerdings nur, wenn man es schafft, sich in höchstens 2.000 Zeichen auszudrücken, und darüber hinaus gewillt ist, Name, Adresse, Telefonnummer und Email anzugeben. Als Belohnung gibt es auf der Homepage die Versicherung, dass alle Nachrichten garantiert gelesen und die Angaben vertraulich behandelt werden.

Weil man dafür natürlich mehr Personal braucht, liefert der Geheimtipp unter den Internetseiten eine Rubrik weiter auch gleich ein Formular für Online-Bewerbungen mit - und lässt damit die Kollegen beim deutschen Bundesnachrichtendienst ziemlich altmodisch aussehen: Deren Seite listet zwar eine Reihe möglicher Betätigungsfelder auf und stellt auch gleich die nötigen Bewerbungsformulare bereit, bittet Interessenten aber "aus Sicherheitsgründen," ihre Bewerbung per Post zu schicken. Nun gut, immerhin weiß beim BND auch jeder, wohin er die Unterlagen zu schicken hat.

Beim Mossad hingegen ist das anders. Zwar ist in unzähligen Spionagethrillern beschrieben, dass das geheimste Forschungsinstitut der Welt in einem hässlichen Hochhaus gegenüber dem Verteidigungsministerium in Tel Aviv zu Hause ist, doch offiziell hat der Mossad weder Adresse noch Postfach; eine Telefonnummer tauchte 2001 zum ersten Mal auf: auf Plakaten in Zeitungen und Uni-Mensen. Es war das erste Mal gewesen, dass der Geheimdienst überhaupt Bewerbungen annahm. Bis dahin war eine eigene Kontaktaufnahme sinnlos - der Mossad sprach potentielle Mitarbeiter grundsätzlich nur von sich aus an. Doch nicht nur dieses Prinzip ließ das "Büro", wie die Organisation intern genannt wird, damals fallen: Auch der Grundsatz, dass nur im Land geborene Israelis aufgenommen werden, wurde aufgegeben - aus gutem Grund: Die Schattenkrieger hatten sich bei ihren Bemühungen zu oft einen Korb geholt, während Dutzende Mitarbeiter des Dienstes in Rente gingen. Denn die hochintelligenten und gut ausgebildeten jungen Leute, die der Mossad braucht, arbeiten im 21. Jahrhundert lieber in Jobs, von denen sie ihren Freunden erzählen können.

"Nur Du weißt im Innersten deines Herzens, dass Du zu mehr fähig bist, dass Du anders denken kannst, dass Du mehr tun kannst, als Du geglaubt hast zu können", hatte es damals auf den patriotisch in Blau-Weiß gehaltenen Aushängen geheißen. Und:

Wir bieten dir eine Zukunft in einem Feld, in dem du dem dienen kannst, was uns allen lieb ist.

Doch die, die wissen, dass sie mehr tun können, als sie glaubten, dass sie könnten, haben gezeigt, dass sie vor allem dazu fähig sind, anders über die Zukunft beim Mossad zu denken: Einem Bericht der Zeitung Ma'ariv zufolge war die Werbekampagne ein Reinfall auf der ganzen Linie. Mittlerweile sei die Personaldecke so dünn geworden, dass sich die Regierung Sorgen um die Funktionstüchtigkeit des Mossad mache. Der Regierungssprecher bestritt dies jedoch am Montag:

Wir haben nach wie vollstes Vertrauen in den Geheimdienst.

Er räumte aber ein, "dass die Nachrichten über die Arbeit der Organisation in den vergangenen Jahren in der Öffentlichkeit ein anderes Bild zeichnen könnten." Die neue Homepage solle deshalb nicht nur eine Anlaufstelle für die Kontaktaufnahme sein, sondern dem Geheimdienst auch einen sypathischeren Anstrich geben:

Wir wollen den Menschen in diesem Land zeigen, dass der Mossad und seine Mitarbeiter Teil der Gesellschaft sind, die sie schützen sollen.

Kurz gesagt: Der Mossad hat massive Imageprobleme. Das Ansehen des Mossad ist zerstört, seit dessen Operationen in den vergangenen Jahren gleich reihenweise scheiterten und in Jordanien, Zypern, der Schweiz und Neuseeland reihenweise Agenten aufflogen - in teilweise peinlichen Situationen: So wurde 1997 ein mit kanadischen Pässen ausgestattetes Team in Amman auf frischer Tat ertappt, als es versuchte, den Hamas-Funktionär Khaled Mashal mit einem ins Ohr zu sprühenden Giftspray zu ermorden. Das Gerücht, Monica Lewinsky sei eine Mossad-Agentin, war auch nicht besonders gut fürs Image. Doch den Vogel schoss Mossad-Direktor Meir Dagan höchstpersönlich ab, als ihm im Februar in Tel Aviv ein Handy mit geheimen Informationen aus dem Auto gestohlen wurde.