Der weltweit erste "unnatürliche Organismus"

Wissenschaftler am Scripps-Institut wollen das erste Lebewesen produziert haben, das 21 Aminosäuren herstellt

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Leben, wie wir es kennen, baut in den Zellen aufgrund der genetischen Information die Millionen von unterschiedlichen Proteinen aus insgesamt nur 20 Aminosäuren auf. Proteine steuern die entscheidenden Lebensvorgänge, weswegen das El Dorado der Biotechnologie eigentlich weniger im Genom als im Proteom liegt. Nun haben angeblich Wissenschaftler vom The Scripps Reseach Institute (TSRI) es erstmals erreicht, ein autonom lebendes E. coli Bakterium herzustellen, das 21 Aminosäuren benutzt, um Proteine herzustellen. "Wir haben", so Peter Schultz, der Leiter der Forschungsgruppe, "eine Milliarden Jahre alte Beschränkung unserer Möglichkeit entfernt, die Struktur und die Funktion von Proteinen zu manipulieren."

Will man auf der Ebene der Biologie nicht nur bereits existierendes Leben verändern, beeinflussen oder verbessern, sondern zu einer Biotechnologie gelangen, die mit ihren Elementen ähnlich wie in der Chemie tatsächlich Neues ingenieurmäßig herstellen kann, so müssten künstliche Lebensformen zumindest aus einer neuen Kombination von Genen oder auch der Hinzufügung neuen Genen hergestellt werden können. Im Unterschied zu anderen Ingenieuren gelten Bemühungen, Leben von Grund auf neu aus dem Labor zu schaffen, gerne als anmaßend. Der Schritt zur Herstellung wirklich ganz und gar künstlicher Lebewesen ist noch weit, aber amerikanische Wissenschaftler des Scripps-Institute haben schon einmal einen Schritt auf dem Weg dahin geleistet und ein Bakterium hergestellt, dass erstmals in der Geschichte des (irdischen) Lebens 21 Aminosäuren zur Verfertigung von Proteinen produziert - allerdings mit der kleinen Einschränkung, dass ganz selten doch zwei weitere Aminosäuren verwendet werden.

Während die Wissenschaftler ihren Bericht, der im Journal of the American Chemical Society schon einmal online veröffentlicht wurde, noch vorsichtiger "Generation of a 21 Amino Acid Bacterium" titeln, geht die Gesellschaft in ihrer Presseerklärung schon weiter und spricht vom "weltweit ersten wirklich unnatürlichen Lebewesen".

Das Genom aller irdischen Lebewesen besteht lediglich aus vier Bausteinen oder "Buchstaben", den Basen Adenin (A), Guanin (G), Cytosin (C) and Thymin (T). Die Doppelhelix des genetischen Codes verbindet jeweils zwei der Buchstaben zu einem komplementären Paar, und aus den Sequenzen dieser Basenpaare entsteht der dem Leben zugrundeliegende Text, der gewissermaßen den Lösungsraum für mögliche Lebensformen absteckt. Die DNA-Basen werden in den Zellen in Boten- oder Messenger RNA (mRNA) übersetzt. Durch das Ribosom, einem Komplex aus ribosomaler RNA (rRNA) und Proteinen, werden schließlich tRNA-Moleküle (Transfer RNA) an die mRNA-Codons gekoppelt. Codons sind eine Sequenz aus drei Nucleotiden, die jeweils eine bestimmte Aminosäure codieren.

Bei diesem Prozess findet allerdings eine entscheidende Begrenzung statt, denn es gibt wesentliche mehr dieser Codons als tatsächlich von den Zellen verwendete Aminosäuren. Insgesamt könnten aus der Kombination von vier Buchstaben in Dreierformationen 54 Codons hergestellt werden. Doch manche dieser Codons kodieren ein- und dieselbe Aminosäure, manche codieren überhaupt keine, haben aber trotzdem eine Funktion. Wenn ein Ribosom, das ein Protein erzeugt, ein solches Codon erreicht, wird die Produktion gestoppt.

Schon 1999 haben die Scripps-Wissenschaftler zumindest prinzipiell die Möglichkeit zeigen können, dass sich in das Genom eines Organismus auch neue künstliche Basen einfügen lassen (Läßt sich das Alphabet des Lebens erweitern?), wodurch die Beschränkung auf vier Basen gesprengt wurde. Mit dem neuen Versuch wurden nicht einfach neue Aminosäuren in Proteine eingefügt, was schon vielfach gemacht wurde, sondern hat man E. Coli Bakterien so verändert, dass sie die Aminosäure p-Aminophenylalanin (pAF) selbständig produzieren.

Mit der Einführung von Plasmiden mit den Genen zur Herstellung von pAF wurden die Bakterien in die Lage versetzt, dass das tRNA-Molekül, das normalerweise die Synthese stoppt, wenn es das Nonsense-Codon UAG erkennt, stattdessen die ansonsten nicht verwendete "unnatürliche" Aminosäure codiert und in die entsprechenden Proteine einbaut. Angeblich geschehe dieser Einbau mit einer Zuverlässigkeit wie bei den anderen, normalerweise verwendeten Aminosäuren.

Einen unmittelbaren Nutzwert hat dieses "neue" Bakterium nicht, aber man kann es nun mit den "natürlichen" 20-Aminosäuren- Bakterien im Hinblick auf seine evolutionäre Fitness vergleichen und versuchen, nützlichere Aminosäuren einzubauen. Natürlich könnte dieses Verfahren, falls es sich bewähren sollte, etwa für die Medizin zur Herstellung gewünschter Proteine bedeutsam werden. Es gebe möglicherweise auch weniger erfreuliche "Anwendungen" für Biowaffen.

Zunächst aber bestünde natürlich auch die Gefahr, dass dieser "unnatürliche Organismus" ins Freie gelangen und dort unvorhersagbare Folgen haben könnte. Die Forscher versichern allerdings, dass ihr "unnatürlicher" Organismus nur im Labor leben kann und wird. Man habe ihn der Möglichkeit beraubt, die Aminosäure Leucin zu codieren, wodurch er sich außerhalb des Labors nicht vermehren könne.

Unsere unnatürlichen Organismen werden immer im Labor leben. Wir haben nicht die Absicht, sie ins Freie zu entlassen oder in kommerzielle Produkte zu bringen, aus denen sie 'ausbrechen' können.

Christopher Anderson, Mitglied der Scripps-Forschungsgruppe