"Desinformation": Soll es die Schule richten?
Jugendliche sind laut einer Studie mehrheitlich dafür, dass das Thema verpflichtend in den Lehrplan aufgenommen wird. Reicht "Denken lernen" nicht?
Dies ist eine Zeit der Cäsaren und der demokratischen Unzufriedenheit. Das Problem wird durch die schlechten Winde, die in letzter Zeit überall in der Welt gegen die Demokratie geweht haben, noch verschlimmert: durch den schädlichen Einfluss der sozialen Medien, die Empörung und emotionales Engagement in den Vordergrund stellen und daher eine natürliche Affinität zur Desinformation haben.
Larry Diamond
Bei der Stiftung des Mobilfunkbetreibers Vodafone machten sich die Erwachsenen Gedanken darüber, wie es die Heranwachsenden mit Fake-News halten und gaben dafür eine Umfrage zur Desinformation bei Infratest dimap in Auftrag. Die Quintessenz der Studie "Die Jugend in der Infodemie" wird häufig damit wiedergegeben, dass die Jugendlichen mehr Falschnachrichten als früher ausgesetzt sind und sie dadurch auch verunsichert werden, weshalb sie mehrheitlich dafür sind, das Thema Desinformation in den Lehrplan an Schulen aufzunehmen.
85 Prozent der Befragten sind laut der Studie dafür, dass das Thema Desinformation "verpflichtender Inhalt" in einem bestimmten Fach sein sollte, wie zum Beispiel in Gesellschafts- oder Sozialkunde. 74 Prozent sind dafür, dass es verpflichtend in verschiedenen Fächern behandelt werden soll. Nicht nur Deutsch böte sich dafür an, Geschichte und Politik, sondern auch Informatik und Mathematik, heißt es in der Pressemitteilung zur Studie.
Bislang taucht das Thema im Unterricht nur selten auf: 70 Prozent aller Teilnehmer gaben an, dass "Falschnachrichten/Fake News" nicht in der Schule behandelt wurden. Die Werte schwanken ein wenig, je nachdem, welche Schule besucht wird; die Studie unterteilt zwischen hohem, mittleren und niedrigem Bildungshintergrund. Bei letzterem sind es 73 Prozent, bei ersterem 66 Prozent, in deren Schulunterricht "Desinformation" kein Thema war. Im Pausenhof dagegen wahrscheinlich schon und dies wahrscheinlich in allen Schulen. Nur geht es da nicht unbedingt um "politische" Information.
Obwohl die überwiegende Mehrheit (81 Prozent) junger Menschen angibt, soziale Medien mehr als eine Stunde pro Tag zu nutzen, teilen Jugendliche und junge Erwachsene Beiträge über politische Themen oder das Nachrichtengeschehen eher selten. Die Mehrheit (72 Prozent) derjenigen, die politische Inhalte aktiv teilen, verhält sich nach eigenen Angaben dabei eher umsichtig und teilt vor allem Inhalte aus Quellen, denen sie vertraut.
Studie: Die Jugend in der Infodemie
Die meisten Schüler lernen den Umgang mit Nachrichten beim Abschauen über Freunde. Meist geht es um Privates oder Unterhaltung. Man kann ihnen unterstellen, dass sie nicht nur schnell tippen können, sondern auch Spielwitz genug haben, um ziemlich schnell erfassen, was ihnen die anderen mitteilen. Die Mitteilungen von Freunden, Bekannten oder den Netz-Entertainern werden in ihrem Wahrheitsgehalt selten so eindeutig und trocken gehalten sein wie amtliche Mitteilungen. Da gehört schon Lesekunst dazu.
Wahrscheinlich wird es wenige geben, die Jugendlichen ernsthaft Kompetenz in dieser Kommunikation absprechen. Es ist eine eigene Welt, Erwachsene haben da nur wenig Zugang. Aber sie sind dauernd besorgt. Dass sie nichts verstehen, beunruhigt sie noch mehr. Dazu dann die 300.000 Berichte, Meldungen, Dokus, Bücher und Kommentare zu den bösen manipulativen Sozialen Netzwerken. So verstärkt sich die Sorge, dass die Jugendlichen die Opfer dieser Manipulation werden.
Auch in der Studie spiegelt sich die Ambivalenz wider, wenn es um die Fähigkeit geht, Nachrichten einzuschätzen: Einerseits wird den Jugendlichen Kompetenz zugestanden, anderseits sorgt man sich. So heißt es in der ersten rot buchstabierten Überschrift in der Studie:
"Immer mehr junge Menschen in Deutschland sind regelmäßig mit Falschnachrichten konfrontiert, werden aber langsam sicherer darin, sie zu erkennen. Ein Drittel tut sich damit aber noch schwer."
Aus dem "sie werden aber langsamer sicher darin, sie zu erkennen" wird im Text dann "die Kompetenz im Umgang mit Desinformation wächst nur langsam".
Die große Mehrheit (76 Prozent) der 14- bis 24-Jährigen in Deutschland sieht mindestens einmal pro Woche Falschnachrichten online oder in sozialen Medien. Das sind 50 Prozent mehr als noch vor zwei Jahren. Zudem hat sich die Zahl derjenigen, die mehrmals täglich auf Falschnachrichten stoßen, in diesem Zeitraum fast verdoppelt.
Dabei wächst mit der stärkeren Verbreitung von Falschnachrichten die Kompetenz im Umgang mit Desinformation nur langsam. Zwei Drittel (66 Prozent) der Jugendlichen und jungen Erwachsenen fühlen sich sicher darin, Falschnachrichten als solche zu erkennen - etwas mehr als in den vergangenen beiden Jahren. Immerhin ein Drittel (34 Prozent) der jungen Menschen - unter denen mit formal niedrigem Bildungshintergrund fast 40 Prozent - traut sich aber nach wie vor nicht zu, die Glaubwürdigkeit von Nachrichten gut einzuschätzen.
Studie: Die Jugend in der Infodemie
Das mag eine Kleinigkeit sein, zeigt aber auch, dass die Perspektive eine Rolle spielt. Die Zahlen selbst sind nicht stichhaltig genug für eine eindeutige Aussage. 76 Prozent stießen 2020 wöchentlich mindestens einmal auf Falschnachrichten. Im Jahr zuvor gaben dies 64 Prozent an.
Exakt zwei Drittel (66 Prozent) schätzten sich in diesem Jahr sicher genug ein, dass sie Falschnachrichten erkennen. Im Jahr zuvor waren es dagegen 58 Prozent. 12 Prozent Zuwachs bei den wöchentlichen Falschnachrichten stehen nur 8 Prozent Zuwachs bei der Unterscheidungs-Kompetenz gegenüber. Daher das "langsam".
Schaut man sich weitere Aufschlüsselungen an - Schulbildung und Alter -, dann differenziert sich das Bild noch weiter aus. Erwartungsgemäß trauen sich Gymnasiasten bzw. Teilnehmer mit Hochschulabschluss und ältere Jugendliche eine höhere Unterscheidungs-Kompetenz zu. 74 Prozent bei den 20- bis 24-Jährigen und 71 Prozent bei denjenigen mit Bildungshintergrund "hoch".
Am unsichersten waren 14- bis 19-Jährige, bei denen sich nur 58 Prozent sicher beim Erkennen von Falschnachrichten fühlten, und diejenigen mit Bildungshintergrund "niedrig", was mit Volks- oder Hauptschule mit oder ohne Abschluss definiert wird. Aber auch hier war es eine deutliche Mehrheit mit 61 Prozent, die sich sicher beim Erkennen der Fakes fühlten.
Kann Schule helfen?
Die schnelle Antwort würde lauten, ja, wenn sie ihren Schülerinnen und Schülern das selbstständige Denken beibringt. Dazu braucht es kein eigenes Fachgebiet "Desinformation"; Texte lesen, Informationen und Argumente analysieren, gehört schon zum Lehrplan.