Desolate Streitkräfte: Wie lange bleiben die USA noch eine militärische Supermacht?

Das astronomisch hohe Budget des Pentagons reicht nicht, um einen Konflikt mit Rivalen zu überstehen. Sind die Probleme real oder nur Propaganda in einer neuen Debatte für eine umfassende Aufrüstung?

Mehr als 800 Milliarden Euro geben die USA inzwischen pro Jahr für ihr Militär aus – und doch ist ihre Armee nicht in der Lage, einen ernsthaften Konflikt für sich zu entscheiden. Ein Koloss auf tönernen Füßen könnte man meinen, wenn man die aktuelle Debatte in Übersee verfolgt.

Am Montag hieß es im Wall Street Journal (WSJ): Die Amerikaner glaubten gern, ihr Militär sei unschlagbar, wenn ihm die Politiker nicht in die Quere kämen. Doch es sei nicht mehr das, was es einmal war: Heute hätten die US-Streitkräfte zu tun, sich in einem größeren Konflikt durchsetzen zu können.

Bei Bloomberg wird ebenfalls angezweifelt, dass sich die USA gegen ihre Rivalen durchsetzen können. Gemeint sind: China, Russland und der Iran. Auch wenn diese nicht gemeinsam handelten, könnten sie die Fähigkeiten einer Supermacht überdehnen.

In beiden Fällen ist die Argumentation ähnlich: Die Bedrohungen für die US-Interessen nehmen zu, während die Rüstungsausgaben nicht mithalten können, sogar durch die Inflation faktisch gesenkt werden.

Die Heritage Foundation veröffentlichte kürzlich ihren aktuellen Report "Index of U.S. Military Strength". Die Stiftung stuft darin das US-Militär als "schwach" ein und sieht ein "wachsendes Risiko, den Anforderungen der Verteidigung von Amerikas lebenswichtigen nationalen Interessen nicht gerecht werden zu können".

Wenig Geld – schwache Streitkräfte

Das Budget des Pentagons würde nicht Schritt halten mit der Inflation. Das zwinge die einzelnen Truppengattungen dazu, Kompromisse einzugehen, wenn es darum gehe, modern, groß und kampfbereit zu sein. Besonders akut sei die Situation bei der Marine und der Luftwaffe.

In den Jahren 2005 bis 2020 wuchs die US-Flotte demnach von 291 auf 296 Kriegsschiffe, während Chinas Flotte von 216 auf 360 Kriegsschiffe wuchs. Auch der technologische Vorsprung der USA werde in vielen marinen Bereichen kleiner.

Die Schiffe der US-Flotte seien außerdem zu stark ausgelastet, sodass viele gewartet und repariert werden müssten. An einem typischen Tag im Juni seien etwa ein Drittel der Schiffe im Einsatz gewesen – doppelt so viele wie im Durchschnitt während des Kalten Krieges. Doch die Wartungsarbeiten verzögerten sich immer öfter, weil die Werften der Marine überlastet seien.

Die Luftwaffe wird in dem Bericht als "sehr schwach" beschrieben. Auf der einen Seite stehen alternde Flugzeuge, auf der anderen Seite eine schlechte Pilotenausbildung und -bindung. Gegen einen "gleichwertigen Konkurrenten" hätte sie es deshalb schwer.

Die Zahl der Flugzeuge schrumpfte: Heute kämen die Bomberkräfte und Kampfflieger nur noch auf 40 Prozent dessen, was die USA in den 1980er-Jahren hatte. Viele Flugzeuge seien nicht einsatzfähig; bei der F-22 liege die Quote demnach nur bei etwa 50 Prozent.

Den Piloten fehle zudem die Erfahrung. Im Jahr 2021 flogen die Kampfpiloten im Schnitt nur zehn Stunden pro Monat. Um gegen einen ernstzunehmenden Gegner bestehen zu können, sei allerdings ein Minimum von 200 Stunden pro Jahr erforderlich.

Die US-Army schrumpft laut Bericht ebenfalls; ihr gelingt es nicht, genug Soldaten zu rekrutieren. Im Haushaltsjahr 2022 fehlen demnach 20.000.

Rüstungsindustrie nicht auf ernsthaften Krieg eingestellt

Der Krieg in der Ukraine hätte die Schwachstellen offengelegt, heißt es in einem weiteren WSJ-Artikel. Die Industrie in den USA sei gar nicht auf einen großen Konflikt vorbereitet, was dazu geführt habe, dass sich die Bestände an wichtigen Waffen kleiner würden. Eine wirksame Abschreckung sei dadurch kaum noch gegeben.

Die Unterstützung Washingtons für die Ukraine hat die Bestände der USA an einigen Waffensystemen und Munition, wie z.B. Stinger-Raketen, M777-Haubitzen, 155-mm-Munition und Javelin-Panzerabwehrraketen, dezimiert.

Wall Street Journal, 16.10.2022

Die Rüstungsindustrie der USA sei unzureichend auf das aktuelle Kriegsumfeld vorbereitet und arbeite immer noch in einem "friedensmäßigen" Umfeld. Käme es zu einem Konflikt mit China in der Straße von Taiwan, dann würde wahrscheinlich der Bedarf an Munition die Vorräte des Militärs übersteigen.

Verschiedene Szenarien, die vom Center for Strategic an International Studies durchgespielt wurden, ergaben: Käme es zu einem Krieg zwischen China und den USA in der Straße von Taiwan, dann würden das US-Militär innerhalb der ersten Woche seine gesamten Luft-Boden-Raketen und präzisionsgelenkten Schiffsabwehrraketen verschießen.

Mit schnellem Nachschub wäre dann nicht zu rechnen, denn die Produktion verschiedener Raketentypen benötige teilweise eine Vorlaufzeit von mehreren Jahren. Das sei bei den Patriot-Luftabwehrraketen der Fall, bei den Marschflugkörpern Tomahawk V und bei Langstreckenraketen.

Um die Bestände im Ernstfall schnell auffüllen zu können, seien Investitionen notwendig und Fabriken müssten gebaut oder erweitert werden. Doch das dauere Jahre. Hinzukommen die Schwierigkeiten in den Lieferketten, bei Seltenen Erden, Titan, Aluminium und Halbleitern.

Vor diesem Hintergrund plädiert die Heritage Foundation für eine kräftige Aufstockung des Rüstungshaushaltes, mit denen auch notwendige Investitionen getätigt werden können. Heute geben die USA etwa drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Rüstung aus. Die Stiftung empfiehlt, sich ein Beispiel an den Werten der 1980er-Jahre zu nehmen. Damals wurden fünf bis sechs Prozent des BIP für die Rüstung ausgegeben.

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