"Deus lo vult!" - Gotteskrieger im US-Militär?

Die Entwicklung christlich-fundamentalistischer Strömungen innerhalb der US-Streitkräfte

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Im Jahre 1876, also etwa 100 Jahre nach Beginn des Unabhängigkeitskrieges, aus dem die Vereinigten Staaten von Amerika hervortreten sollten, unterschrieb der damalige Präsident Grant die Beitrittsurkunde Colorados zur Union, was Colorado den Spitznamen „der hundertjährige Staat“ einbrachte. Seitdem allerdings zählt Colorado zu jenen Regionen der Vereinigten Staaten, in denen über die Jahre - wie um den späten Eintritt wett zu machen - eine massive Ansiedelung bundesstaatlicher Behörden und Institutionen stattgefunden hat. Einer der größten Arbeitgeber Colorados sind demzufolge die US-Streitkräfte; so hat beispielsweise die US Air Force Academy ihren Sitz in der Nähe der Stadt Colorado Springs. Darüber hinaus existieren zwei Luftwaffenbasen (Peterson AFB und Schriever AFB) sowie ein Stützpunkt der US Army (Fort Carson) im 38. US-Bundesstaat.

Die besondere Bedeutung Colorados in der Infrastruktur des Militärs wird angesichts der Tatsache deutlich, dass mit dem Air Force Space Command der US-Streitkräfte (auf der Peterson AFB), sowie dem North American Aerospace Command (NORAD, im Cheyenne Mountain), zusätzlich zwei elementare Bestandteile der strategischen Luft- und Raumverteidigung der Vereinigten Staaten in Colorado disloziert sind.

Doch nicht nur das Militär fühlt sich wohl im malerischen Colorado. Hunderte Kirchen und Synagogen der verschiedensten Konfessionen und Denominationen, sowie eine Moschee, sind in und um Colorado Springs zu finden. Dazu zählen allerdings auch mehrere christlich-fundamentalistische Organisationen und Kirchen, welche ebenfalls in Colorado Springs liegen bzw. ihre Hauptquartiere dort aufgeschlagen haben (was der Stadt auch einen Spitznamen einbrachte: „evangelikaler Vatikan“).

Zu den bekannteren der besagten, oft umstrittenen Organisationen und Kirchen zählen sicherlich James Dobsons ‚Focus on the Family’ und die ‚New Life Church’, bis November 2006 geleitet von Reverend Ted Haggard. Beide Organisationen vertreten eine intolerante, fundamentalistische und nationalistische Auslegung christlicher Werte und Normen, wie auch andere – aber längst nicht alle – christlichen Kirchen und religiösen Organisationen in den Vereinigten Staaten.

Verflechtungen zwischen Religion und Militär

Das Neben- und Miteinander von Militärs einerseits und "christlichen Nationalisten" andererseits ergibt eine potentiell problematische Gemengelage – und leider bestätigt die Realität diese Problematik. Michael „Mikey“ Weinstein, ein Absolvent der Air Force Academy von 1977, ehemaliger Judge Advocate General (JAG, Militäranwalt) sowie Jurist der Reagan-Administration, gründete Anfang 2006 die „Military Religious Freedom Foundation“(MRFF).

Zuvor hatte der (laut eigener Aussage) „lebenslange Republikaner“ im Jahr 2005 gegen die US Air Force geklagt, da diese aktive Bekehrungsversuche durch Vertreter der christlichen Rechten zugelassen hätte (Weinstein vs. US Air Force; die Klage wurde abgewiesen). Laut der MRFF gibt es eine Vielzahl von Fällen, die sowohl Atheisten als auch Angehörige verschiedener Glaubensrichtungen und Konfessionen betreffen. Sie wurden zum Ziel von Diskriminierungen, bis hin zu schweren Bedrohungen, durch Vorgesetzte oder Kameraden, die eine Affinität zu intoleranten, religiös-fundamentalistischen Religionsauslegungen haben.

Auslöser von Weinsteins Aktivismus waren die Erfahrungen seiner beiden Söhne, von denen einer bereits die Air Force Academy absolviert hatte, der andere noch Kadett an derselben war. Beide berichteten ihm von Beschimpfungen und höhnischen Bemerkungen aufgrund ihrer jüdischen Abstammung - so sollen unter anderem Formulierungen wie „dreckiger Jude“ gefallen sein. Auch alte antijüdische Klischees, denen zufolge „die Juden“ für den Tod Jesus Christus verantwortlich seien, wurden gegenüber Weinsteins’ Söhnen wiederholt.

The Passion of Christ. Bild: Constantin

Vorausgegangen war die wiederholte Aufführung von Mel Gibsons „Passion Christi“ – ein umstrittener Film über Verurteilung, Kreuzigung und Wiederauferstehung Jesu Christi - auf dem Gelände der Air Force Academy. Dabei soll erheblicher Druck, u.a. seitens der Akademieleitung ausgeübt worden sein, um sämtliche Kadetten zum Besuch des Filmes zu "motivieren".

Der Glaube an die Auserwähltheit

Doch nicht nur Atheisten, Juden und Angehörige anderer Religionen sind das Ziel von Anfeindungen. Auch Weinsteins Schwiegertochter, die bekennende nicht-evangelikale Christin sein soll, sowie andere Angehörige christlicher Konfessionen seien von Vertretern der christlichen Rechten angegangen worden.

Bereits vor Weinsteins Klage gegen die Air Force waren Fälle religiös motivierter Diskriminierungen bzw. religiösen Zwangs bekannt geworden; auch wurden die Verbindungen zwischen der Air Force Academy und umstrittenen Kirchen aus Colorado Springs kritisiert. Eine Untersuchung der US-Luftwaffe kam aber zu dem Schluss, es handele sich bei besagten Vorkommnissen lediglich um einige wenige Fälle übertriebener „Fürsorge“.

Trotzdem geriet die Akademie wenige Wochen später erneut in die Schlagzeilen, als ein weiblicher Kaplan der Air Force, die die Kritik an der Leitung der Akademie teilte, nach eigenen Angaben „als Vergeltung“ nach Japan versetzt wurde (von wo aus sie schnell nach Afghanistan oder in den Irak verlegt werden kann).

Anscheinend jedoch beschränkt sich die Problematik nicht auf die US Air Force. Nachdem letztes Jahr ein Werbevideo der ‚Christian Embassy’, einer Lobbyorganisation der christlichen Rechten, mehrere hohe Offiziere in Uniform und im Pentagon zeigte (was sowohl die Verhaltensregeln für aktive Offiziere, als auch das Gebot der Trennung von Staat und Kirche verletzte, erfuhr die Thematik kurzzeitig wieder verstärkte Aufmerksamkeit.

Dieses Jahr nun sorgte die Führung des US-Militärs mit ihrer fragwürdigen Haltung gegenüber fundamentalistischen Dogmatikern erneut für Stirnrunzeln: Jahrelang hatte das Pentagon es zugelassen, dass an US-Soldaten im Irak und in Afghanistan sogenannte Freedom Packages verteilt wurden. Diese enthielten Bibeln, Bekehrungshilfen auf Englisch und Arabisch sowie das Computerspiel „Left Behind: Eternal Forces“, in dem der Spieler als „Soldat Gottes“ Feinde zur Strecke bringen muss. Das Spiel beruht auf einer apokalyptischen, teils antisemitischen Buchreihe des Reverend Timothy LaHaye.

Gesteuert wurde diese und andere Kampagnen von ‚Operation Straight Up’, einer religiösen Organisation, die zur Aktion ‚America Supports You’ des Verteidigungsministeriums gehörte. Die OSU, der auch der Schauspieler Stephen Baldwin angehört, plante nach eigener Darstellung auch eine Entertainment-Tour durch US-Stützpunkte im Irak, genannt „Military Crusade“.

Ein „Kreuzzug“ also - ein weiterer Versuch, „hearts and minds“ der größtenteils muslimischen Bevölkerung des Irak zu gewinnen, wie man annehmen darf. Nachdem Weinsteins MRFF die Angelegenheit mit den Freedom Packages publik machte, entschloss sich das Pentagon, die Zusammenarbeit mit der OSU vorerst zu beenden.

Morddrohungen gegen Atheisten und Andersgläubige

Dass der Versuch, sich gegen die religiöse Bevormundung in Amerikas Streitkräften zur Wehr zu setzen, auch ganz handfeste Reaktionen zur Folge haben kann, erfuhr dieses Jahr Spc. Jeremy Hall. Der Soldat der US Army, der seit geraumer Zeit im Irak dient, wurde bei verschiedenen Gelegenheiten regelrecht gemobbt. Als er ein Treffen einer Gruppe atheistischer und nicht-christlicher Soldaten seiner Einheit organisieren wollte, soll ihm sein Vorgesetzter, Major Paul Welborne, daraufhin mit Disziplinarmaßnahmen und Entlassung aus dem Militärdienst gedroht haben.

Als Hall mit Hilfe der MRFF einen Prozess gegen Welborne und Verteidigungsminister Robert Gates anstrengte, wurde Hall von Kameraden tätlich angegriffen. Doch damit nicht genug: er bekam E-Mails, in denen ihm unter anderem mit "fragging" gedroht wurde – also mit vorsätzlichem Mord durch eigene Kameraden.

Religion und Kampfmoral

Bei derartigen Exzessen mit religiösem Hintergrund stellt sich die Frage, wie und warum es so weit kommen konnte. James Carroll, ein Schriftsteller und Journalist des „Boston Globe“, schildert in einem Interview mit Tom Engelhardt, wie der Nährboden für die religiöse Indoktrinierung des Militärs schon vor dem Vietnam-Krieg entstand: der kalte Krieg gegen den „gottlosen Kommunismus“ (wie John Foster Dulles, US-Außenminister 1953-59, es gerne ausdrückte), der durch den Koreakrieg ein noch stärkeres Moment erhielt. Angesichts dieses verlustreichen Einsatzes kam es zu symbolischen Handlungen, wie der Taufe Präsident Eisenhowers – im Amt. Damit sollte dem Kampf gegen die kommunistischen Antagonisten durch eine christliche „Komponente“ sekundiert werden.

Nüchtern formuliert Carroll eine Begründung für diese Entwicklungen. Was für das Militär dabei herausspringe, meint er, sei schlicht ein verstärkter Zusammenhalt von Kampfeinheiten (bei möglichst homogener Zusammensetzung). Wenn Soldaten mit religiösem Eifer kämpften, seien sie selbstloser und aufopferungsbereiter. „Zynisch betrachtet“, so der Journalist und Schriftsteller, kümmerten sich so manche kommandierende Offizieren insgeheim vielleicht „verdammt wenig um Religion“, allein – sie „sehen, was Gott für den Kampfgeist tun kann. Es wirkt.“

Andererseits kann Glaube, je nach Auslegung, auch andere, „unbeabsichtigte“ Folgen für den Kampfgeist von Soldaten haben: Ein Hauptmann der US-Streitkräfte, dem es seine nach Abschluss seiner militärischen Ausbildung erlangten religiösen Auffassungen unmöglich machten, im Irak andere Menschen zu töten, reichte kürzlich einen Antrag auf Anerkennung des Status’ als Kriegsdienstverweigerer ein. Dem Antrag wurde schließlich stattgegeben; er wurde ehrenhaft entlassen.

Studie des US Army War College bestätigt Problematik

Eine Untersuchung von Lt.Col. William Millonig, vom US Army War College, beleuchtet die Thematik nun auf einer breiteren Ebene. Sie legt nahe, dass die genannten Fälle nur die sprichwörtliche ‚Spitze des Eisbergs’ darstellen könnten. Seit dem Vietnam-Krieg haben grundlegende Veränderungen in der personellen Zusammensetzung der US-Streitkräfte stattgefunden.

Dabei kam es, durch die Entfremdung zwischen den Streitkräften und weiten Teilen der Bevölkerung im Laufe des Krieges, zu einer verstärkten Annäherung an erzkonservative, meist evangelikale Gläubige, welche die Streitkräfte kompromisslos unterstützten. Auch die Auswirkungen der Kriegsverbrechen, deren sich die amerikanischen Streitkräfte schuldig gemacht hatten, bewirkten eine Verstärkung der Rolle der Religion im Militär, in der Annahme, dadurch einen „moralischen Kompass“ zu erhalten.

Im Zuge dieser Entwicklungen und der Tatsache, dass stramm konservative Vorstellungen im Militär recht weit verbreitet sind, kam es zu einer immer stärkeren Verbindung zwischen beiden Lagern. Millonig verweist in seiner Studie auf einer Reihe hochrangiger Offiziere des US-Militärs, die diesen Prozess nach Kräften unterstützten und auf enge Beziehungen, insbesondere auch zwischen der Pentagon-Hierarchie und geheimnisumwobenen Organisationen wie ‚International Christian Leadership’ (auch bekannt als "The Fellowship").

Mit Hilfe dieser Unterstützung fassten Vertreter der christlichen Rechten schnell und zahlreich auch in den Militärakademien der Nation Fuß. Nach und nach fanden religiöse Bruderschaften, Bibelstudiengruppen und Bekehrungsveranstaltungen ihren Weg in die Marineakademie bei Annapolis, nach West Point (Army) und eben auch nach Colorado Springs. Die Reagansche Politik des „Friedens durch Stärke“ sorgte weiterhin für eine enge Bindung des Militärs an die republikanische Partei, in der die christliche Rechte noch enormen Einfluss genießt.

Die Ergebnisse dieser Prozesse lassen sich jetzt gut nachvollziehen, da die erste Generation der Akademieabsolventen nach dem Vietnam-Krieg langsam in die Führungsebenen der US-Streitkräfte aufrückt. Die religiöse Zusammensetzung der Militärkaplansstellen spiegelt - laut der vorliegenden Studie - die personelle Zusammensetzung des Militärs wieder: zwischen 1994 und 2005 ist der Anteil römisch-katholischer Pfarrer und gemäßigter „Mainstream“-Protestanten jeweils um fast die Hälfte zurückgegangen.

Vertreter der christlichen Rechten besetzen inzwischen 50% der Kaplansstellen für Militärseelsorger, wie auch Chris Hedges, ein ehemaliger Journalist der New York Times, zu berichten weiß. Fatal daran ist, dass jene, radikal-fundamentalistischen Prediger Religion mit Politik vermischen – und dies auf ihre „Schäfchen“ abfärbt.

Das Resultat können dann Soldaten wie Maj.Gen. William Boykin sein, ein vormaliger stellvertretender Unterstaatssekretär für die US-Militärgeheimdienste. Er erklärte im Jahr 2003, man könne nur gewinnen, wenn man „im Namen Jesu Christi“ gegen die Feinde ziehe. Oder jener Oberstleutnant der Marines, der 2004 im Irak, vor einem Reporter der BBC erklärte:

Der Feind hat ein Gesicht – man nennt ihn Satan. Er wohnt in Falludscha und wir werden ihn vernichten.

Langfristige Konsequenzen

Oberstleutnant Millonig, als Verfasser der Studie ein fachkundiger Zeuge dafür, dass das US-Militär von religiösen Fanatikern zu nicht unerheblichen Teilen dominiert (aber nicht vollständig kontrolliert) wird, schließt seine Ausführungen jedenfalls mit der Feststellung ab, dass die durch seine Studie aufgezeigte Problematik noch einige kommende Generationen beschäftigen wird.

Der generelle Umschwung in der religiös-politischen Struktur des militärischen Personals wird langfristige, eher indirekte Konsequenzen haben – auch angesichts der Tatsache, dass damit ein immer größerer Unterschied zwischen der politischen und religiösen Pluralität der US-Zivilgesellschaft und der dementsprechenden Zusammensetzung der Streitkräfte besteht.

Sozialpsychologisch betrachtet, hat die Bildung einer dominierenden und homogenen Gruppe von Offizieren eine Art Domino-Effekt zur Folge: Führungspersonen tendieren dazu, sich mit Personen mit gleichen Ansichten und Auffassungen zu umgeben, was die Formierung von "ingroups" zur Folge hat. Besagte „ingroups“ können möglicherweise Alternativen in ihren Entscheidungsfindungsprozessen nicht erkennen, während dass Prinzip des „groupthink“1 dazu führen kann, dass Schwachstellen im Entscheidungsfindungsprozess kaschiert werden und möglicherweise fatale Fehlentscheidungen auf deren Grundlage getroffen werden.

Als Beispiel führt Millonig die neue nationale Sicherheitsdoktrin der Vereinigten Staaten an, welche das Prinzip der präventiven Kriegsführung, inklusive des Ersteinsatzes von Nuklearwaffen, einschließt. Dies ist von Vertretern der meisten, religiös eher indifferenten „Mainstream“-Religionen abgelehnt worden, da es den Grundsätzen der UN-Charta widerspricht und einer weltweiten Militarisierung Vorschub leistet.

Die meisten Vertreter der christlich-rechten Bewegung jedoch stimmten diesem unilateralen Vorgehen (wie auch der Aufkündigung des ABM-Vertrages) ausdrücklich zu; eine Reihe von einflussreichen Verfechtern des „christlichen Nationalismus“ unterstützte die Invasion des Irak 2003 sogar mit einem offenen Brief, in dem sie den Krieg gegen den Irak als „gerechten Krieg“ bezeichneten.

Sollte auch die Objektivität der militärischen Führer der Streitkräfte der Vereinigten Staaten aufgrund derartiger Ideologien in Frage gestellt werden, ergeben sich schwerwiegende Konsequenzen für die USA und den Rest der Welt. Zwar sei ein offener Konflikt zwischen ziviler und militärischer Führung vorerst eher unwahrscheinlich, so Millonig, aber eine graduelle Entfremdung zwischen Militär und Gesellschaft könne auf Dauer zu einer Erosion des politischen Systems führen, die möglicherweise erst dann registriert wird, wenn es schon zu spät ist, diesen Prozess noch aufzuhalten. Es gilt, dies zu vermeiden, denn wie schon der chinesische Stratege Sun Tzu mahnte:

Kenne Deinen Feind und Dich selber, dann wirst Du in 100 Schlachten nicht einmal besiegt werden.