Deutliche Ausbremsung des Ausbaus der erneuerbaren Energien droht
Entscheidung im Schatten des EM-Halbfinales: Bundesregierung möchte Erneuerbare-Energien-Gesetz ändern
Während Millionen Zuschauer ihre Aufmerksamkeit auf die Fußball-Europameisterschaft richten, beschließt der Bundestag Gesetze von großer Tragweite. Für den 7. Juli geplant -2. Spieltag des Halbfinales - sind die 2. und 3. Lesung zu Änderungen des Gesetzes für den Ausbau erneuerbarer Energien (EEG). Am nächsten Tag soll der Bundesrat darüber beraten.
Im Schatten der EM wurden bereits Fakten geschaffen. Die Bundestagsabgeordneten stimmten für Fracking-Probebohrungen, Prepaid-Karten-Ausweiszwang, erweiterten Datenaustausch zwischen Geheimdiensten und eine Einbau-Pflicht für digitale Stromzähler. In der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause möchte die Bundesregierung grundlegende Gesetzesänderungen beim EEG erwirken. Die geplante Einführung von Ausschreibungen für Solarstrom- und Windenergieprojekte sind der Kern der aktuellen EEG-Novelle.
Gesetzentwurf beruht auf niedrige Annahmen für Ökostrom-Bedarf
Die Regierungsfraktionen erklären in ihrem Gesetzentwurf, dass sie einen gleichbleibenden Bruttostromverbrauch auf dem derzeitigen Niveau von 600 Terrawattstunden (TWh) erwarten. Dieser Ansatz berücksichtigt nicht eine stärkere Nutzung von Elektromobilität und Power-to-Gas. Eine bessere Kopplung der Stromerzeugung mit den Sektoren Mobilität und Wärme gleicht Schwankungen in der Produktion aus.
Vergangene Woche veröffentlichte die Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) eine Studie über die Sektorkopplung durch die Energiewende. Das Szenario für den Strombedarf bei einer umfassenden Sektorkopplung zeigt, dass mit einer Verdoppelung des heutigen Strombedarfs zu rechnen ist.
Das bisherige Prinzip des EEG
Das 2000 eingeführte Erneuerbare-Energien-Gesetz ist ein erfolgreiches Instrument, denn es führte zu einem hohen Anteil von Strom aus regenerativen Quellen am Bruttostromverbrauch. Während es im Jahr 2000 noch sechs Prozent waren, stieg dieser Beitrag innerhalb von fünf Jahren auf zehn Prozent. Nach Angaben des Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) sind es heute 33 Prozent.
Im Gesetz festgelegt wurde, dass Betreiber von Anlagen zur Nutzung von Erneuerbaren Energien (EE) für den verkauften Strom eine Vergütung erhalten. Gesetzlich vereinbart wurde eine kontinuierliche Verringerung des Vergütungsbetrages (eine Degression) für die neu installierten Anlagen. Auf diese Weise wurde von Anfang ein Preisdruck auf die Hersteller ausgeübt, Der klare gesetzliche Rahmen führte zu Investitionssicherheit. Für stabile Rahmenbedingungen sorgte auch die zugesicherte Abnahme dieser Strommenge.
Durch den großen Erfolg des EEG stieg die Anzahl an Ländern, die garantierte Einspeisetarife für regenerative Energien einführen. Laut dem Renewables 2015 Global Status Report gelten solche durch das EEG inspirierte Gesetze in 26 Ländern. In weiteren 72 Ländern sind solche Gesetze in einzelnen Bundesstaaten in Kraft. Beim EEG wurde von Anfang an festgelegt, dass die Mehrkosten für die Vergütung des Stroms aus EE-Anlagen auf alle Stromverbraucher im Strompreis über die EEG-Umlage umgelegt werden. Damit ist diese Förderung unabhängig vom Staatshaushalt, also keine Subvention.
Begrenzung des Ausbaus der erneuerbaren Energien
Die Regierungsvertreter beim Klimagipfel in Paris im Dezember 2015 beschlossen eine Dekarbonisierung der Wirtschaft. Die Novelle des EEG verlangsamt allerdings die Transformation des bisherigen durch Kohlestrom geprägten Kraftwerksparks.
Tatsächlich definiert das Bundeskabinett in ihrem Gesetzesvorschlag einen Mindestanteil an fossilen Energieträgern am Bruttostromverbrauch von 55 Prozent bis 2025. Das ist gemeint mit der Formulierung im Gesetzestext von maximal 45 Prozent für Erneuerbare Energien bis 2025. Die Regierung will den Ausbau der Erneuerbaren erstmals in der Geschichte nach oben hin begrenzen.
Bereits in der EEG-Novelle von 2014 (EEG 2014) formulierte die Bundesregierung das Ziel, bis spätestens 2017 die Höhe der Förderung über Ausschreibungen zu ermitteln. Der Zeitpunkt und die Eile bei dieser Entscheidung stellen einen Widerspruch dar zum Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. Auf Seite 54 steht in dem Dokument: "Darüber hinaus soll ab 2018 die Förderhöhe über Ausschreibungen ermittelt werden, sofern bis dahin in einem Pilotprojekt nachgewiesen werden kann, dass die Ziele der Energiewende auf diesem Wege kostengünstiger erreicht werden können."
Die Einführung von Ausschreibungen stellt einen Systemwechsel für die Finanzierung von Erneuerbaren Energien dar, da die feste Einspeisevergütung für den Großteil der EE-Projekte abgeschafft wird. Als ersten Schritt in diese Richtung führte die Bundesregierung in 2015 mit der Freiflächenausschreibungsverordnung (FFAV) Ausschreibungen für Photovoltaik-Anlagen auf Freiflächen ein (PV-Freiflächen).
Nach dem Gesetzesentwurf (Seite 159) sollen jährlich maximal 600 Megawatt (MW) an PV-Großanlagen (auch Dachanlagen) ausgeschrieben werden. Bei Windkraftanlagen an Land sollen es maximal 2,8 Gigawatt (GW) pro Jahr. sein Für Windenergie auf See sollen nach 2020 jährlich maximal 730 MW neu ausgeschrieben werden. Für die Bioenergie sind jährlich maximal 150 MW (2017-2019) und 200 MW (in den Folgejahren) geplant. Die Einführung von Ausschreibungen begründet das BMWi damit, dass sie das EEG als Beihilfe einordnet, und die Leitlinien für Energie- und Umweltbeihilfen Ausschreibungen festschreiben.
Am 1. Juni dieses Jahres hat das BMWi die Grenzüberschreitende-Erneuerbare-Energien-Verordnung beschlossen und das Ausschreibungsverfahren für Anlagen in anderen EU-Mitgliedstaaten geöffnet. Die Öffnungsklausel wurde als Bedingung genannt bei der beihilferechtlichen Notifizierung des EEG 2014 bei der EU-Kommission. Im ersten Schritt können Bewerber aus Dänemark und Luxemburg an den Pilotausschreibungen für PV-Freiflächen teilnehmen.
Ausschreibungen garantieren nicht die tatsächliche Umsetzung der Projekte
Aufgrund der langjährigen Erfahrung mit Ausschreibungen für EE-Projekte werden die Niederlande oft als europäisches Musterland genannt. Tatsache ist allerdings, dass im Nachbarland die Umsetzungsrate der ausgeschriebenen Projekte sehr gering ist. Obwohl vor Erteilung eines Zuschlags Projektgenehmigungen vorliegen müssen. Das führt in der Folge zu einer Unterschreitung der vorgegebenen Ausbauziele. Der Anteil der Erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung liegt mit rund sechs Prozent weit unterhalb der ohnehin wenig ambitionierten Zielmarke von 14 Prozent bis 2020. Zudem ist das Instrument der Ausschreibung sehr bürokratisch und mit hohen Vorkosten für Bieter verbunden. Dies verursacht massive Finanzierungs- und Realisierungsprobleme für kleine und mittlere Unternehmungen, wie Stadtwerke, kleine Unternehmen und Bürgerenergiegenossenschaften.
Damit das im EEG selbst festgelegte Ausbauziel erreicht werden kann, fordert der Bundesverband Erneuerbare Energie e.V. (BEE) eine Regelung nach der bezuschlagte, aber nicht realisierte Ausbaumengen in der nächsten Runde neu ausgeschrieben werden. So eine Regelung wurde bei der Pilotausschreibung für PV-Freiflächen berücksichtigt (FFAV §4). Auch aus diesem Grund sei es fraglich, ob die sehr optimistische Realisierungsquote von 90 Prozent, die der BMWi-Staatssekretärs Baake äußerte, tatsächlich erreicht werden kann. Das werde sich erst nach Vollendung des ersten Ausschreibungszeitraums überprüfen lassen.
In seiner Stellungnahme zum BMWi-Eckpunktepapier betont der BEE, dass die Europäischen Beihilfeleitlinien den Verzicht auf Ausschreibungen ausdrücklich zulassen. Dafür müsse eine Regierung die Nachteile der Ausschreibungen darstellen. Deshalb ist Monitoring der Testausschreibungen der PV-Freiflächenanlagen wichtig, um zu erkennen, ob eine Umstellung auf Ausschreibungen zu Vorteilen führt, und wenn ja, zu welchen.
Die Photovoltaik wurde bereits gedeckelt
Im Gesetzesentwurf wird die vor kurzem eingeführte Deckelung für die Förderung von PV-Anlagen beibehalten. Nach dem Erreichen von 52 Gigawatt an installierter Anlagenleistung sollen demnach neue Photovoltaikanlagen keine EEG-Einspeisevergütung mehr erhalten. Weder diese Begrenzung noch die Deckelung eines jährlichen Ausbaus von maximal 2,5 GW wird bisher aufgehoben. Obwohl die niedrig gesetzten Ziele der Bundesregierung von 2,5 GW pro Jahr nicht erreicht werden. Im Jahr 2015 wurden nach Angaben des Bundesverbands Solarwirtschaft e.V. nur 1,5 GW an neuen PV-Kraftwerken installiert.
Durch die EEG-Förderung ist der Ausbau von Solarstromanlagen kontinuierlich erfolgreich gestiegen, auf 7,5 GW im Jahr 2012. Nach den Novellen von 2012 und 2014 ist der Markt eingebrochen. Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme weist darauf hin, dass bei der Photovoltaik etwa 200 GW installierte Leistung benötigt wird, um den Energiebedarf in Deutschland überwiegend oder vollständig aus EE zu decken. Nach Angaben der Bundesnetzagentur (BNetzA) wurde bis Ende April dieses Jahres eine Anlagenleistung von 39,99 MWp installiert. Bei einer Zielsetzung von 200 GW für das Jahr 2050 bedeutet das einen erforderlichen Ausbau von vier bis fünf GW pro Jahr. Zunehmend müssten auch Altanlagen ersetzt werden.
Zubaubeschränkungen für Windenergie wegen angeblicher Netzengpässe
In der aktuellen Novelle will die Bundesregierung den Zubau bei der Windenergie massiv bremsen. Sie begründet damit, dass die Netzinfrastruktur zu langsam ausgebaut werde. Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass es keine Einschränkungen für Kohle- oder Atomkraftwerke bei Starkwind in einem Netzengpassgebiet geben soll. Stattdessen möchte die Regierung der Neubau von Windenergieanlagen an Land dort auf maximal 58 Prozent des Durchschnitts der letzten drei Jahre begrenzen (Seite 210 im Gesetzentwurf).
Bundesrat fordert Sonderregelung für kleine Windparks
Bei der letzten Sitzung forderten die Ländervertreter im Bundesrat, dass kleine und mittlere Unternehmen im Bereich der Erneuerbaren Energien durch die De-minimis-Regelung der EU-Kommission von Ausschreibungen ausgenommen werden. Diese Regelungen sind in den Leitlinien für Energie- und Umweltbeihilfen enthalten. Somit könnten Betreiber von Windparks mit bis zu sechs Anlagen mit je maximal drei MW weiterhin eine Einspeisevergütung erhalten. Das würde Kommunen, Bürgerinitiativen und mittelständischen Unternehmen ermöglichen, regionale Windkraftprojekte weiter auszubauen.
Bisher war die Energiewende vorwiegend dezentral und von mittelständischen Unternehmen, hundert Energiekommunen und einer Vielzahl an Bürgersolarkraftwerken und -windparks geprägt. Der Deutsche Genossenschafts- und Raiffeisenverband vertritt rund 850 Energiegenossenschaften, in denen nach eigenen Angaben 160.000 Menschen EE-Projekte umsetzen. Doch die Anzahl der Gründungen hat in den vergangenen Jahren stark abgenommen. In 2011 wurden noch 167 Energiegenossenschaften gegründet. Nach Angaben des Netzwerk Energiewende jetzt e.V. waren es in 2014 nur noch 54.