Deutscher Hochschulverband kritisiert "Erosion der Debatten- und Streitkultur an Universitäten"

Seite 2: Neue Qualität

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Dass Wissenschaftler inzwischen auch in Deutschland an Vorträgen gehindert werden, ist für Kempen ein "alarmierendes Anzeichen" für eine Entwicklung, die zu einer Situation wie in den USA führen könne, wo SJW-Gruppen die Zensur von Lehrinhalten fordern, die bei Studenten unangenehme Assoziationen "triggern" könnten (inhaltlich hat sich auf Telepolis Bettina Hammer in einem Dreiteiler mit diesem Phänomen ausführlich auseinandergesetzt - vgl. Der Irrweg der "Safe Spaces"). Die dortige Situation zeigt, dass das Phänomen nicht mehr das selbe ist, wie die "Politische Korrektheit" in den 1990er Jahren:

Eine extreme Zunahme der Quantität führte in eine neue Qualität, was heute teilweise dadurch ausgedrückt wird, dass das neue Phänomen nicht mehr mit dem gleichen Namen wie das alte bezeichnet, sondern Intersektionalismus genannt wird. Das "Virtue Signalling" von "Intersektionalisten" und anderen Subkulturen an US-Universitäten, bei dem immer wieder die gleichen Slogans wiederholt werden, zeigt, dass man hier keine Diskussionen und Argumente sucht, sondern dass es vielmehr um eine unreflektierte Selbstvergewisserung in einer Art religiösem Ritual geht, mit dem man sich die eigene Reinheit bestätigt, die durch fremde Meinungen befleckt würde.

Aus Lehrmoden entstanden

Das geistige Rüstzeug für diese neue Religion stammt auch aus den Lehrmoden bestimmter Disziplinen, wie es eine Karikatur auf den Punkt bringt, in der ein Professor angesichts von Schildern mit Aufschriften wie "Free Speech is Mean" fragt: "How did this Political Correctness get so far out of hand?" - und ein Kollege ihm antwortet: "Who knows? I have to teach my course on 'Intro to Theoretical Contemporary Victimization in Relation to Microagressive White Privileged Anglo-European Imperialistic Western Culture'" (vgl. Angebliche "Mikroaggressionen").

In ihrer vulgarisierten Extremform führten diese Moden zu Vorstellungen, wie sie am 17. April eine Studentengruppe in einem Brief an das Pomona College zum Ausdruck brachte: Dort heißt es unter anderem, Objektivität und die Suche nach Wahrheit dienten vor allem der Marginalisierung - und die Redefreiheit sei ein "Herrschaftswerkzeug". Logische Widersprüche werden in solchen Ideologien häufig nicht mehr wahrgenommen, weshalb solche "Aktivisten" eigene Gewaltausübung damit zu rechtfertigen versuchen, dass diese als "freie Meinungsäußerung" legal sein müsse.

Warum das Phänomen bislang gegen seine Erforschung resistent war

Eigentlich wären solche Entwicklungen eine hochinteressantes Forschungsfeld für Soziologen. Dass sie bislang trotzdem kaum erforscht werden, dürfte daran liegen, dass sich Akademiker damit potenziell auf karrieretechnisch vermintes Gelände begeben: Wenn bei ihren Forschungen nicht das herauskommt, was auch bei den Kollegen gut ankommt (oder wenn die Ergebnisse gar an Tabus rütteln), dann haben sie möglicherweise nicht nur jahrelang umsonst gearbeitet, sondern auch weniger Chancen auf Stellen und Stipendien. Ändern würde sich das nur, wenn sich das Meinungsklima wieder wandelt.

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