Deutscher Stolz oder rechte Ideologie?
Derzeit verändert sich die nationale Identität, aber es könnte auch nur eine neue rechte Bewegung entstehen
Auch im Ausland fällt auf, dass derzeit in Deutschland etwas brodelt. So sieht der Korrespondent der New York Times wohlmeinend, dass die deutsche Identität, die lange geruht haben, wieder erwacht. 20 Jahre nach der Wiedervereinigung sei man in Deutschland zu einem Selbstverständnis gekommen, das die Nachkriegsgeneration niemals für möglich gehalten habe. In Deutschland würde man vermehrt deutschen Pop hören, die Menschen würden Deutschland erkunden, die Bundeswehr werde reformiert, Deutschlands Wirtschaft boome und deutsche Interessen würden machtpolitisch durchgesetzte werden. Der deutsche Stolz sei nie verschwunden, er habe nur wie Dornröschen seit der Nazi-Katastrophe geschlafen und würde nun wieder erwachen. Eine solche Sicht von außen wird vielen gefallen, die eine Schlussstrich setzen wollen und wieder an die rechte Geschichte Deutschlands anschließen wollen, die nur durch einen Betriebsunfall gestört, aber nicht wirklich beeinträchtigt wurde.
Bei uns köchelt die dank Sarrazin und Steinbach aufgewärmte Diskussion vor sich hin, Mann oder Frau müsse doch mal sagen können, was zugleich ein Tabu inszeniert und es im Namen der Meinungsfreiheit einreißt. Es geht darum, rechter Ideologie die Bahn die Bahn zu bereiten und die deutsche Geschichte abzuschütteln, d.h. das, was man bislang versucht hatte, daraus zu lernen, wozu beispielsweise gehört, auch neue Versionen des Antisemitismus, der sich derselben Methoden bedient, um Angehörige anderer Kulturen zum Sündenbock oder Feind zu machen. Wenn bei uns die Muslime von verunsicherten Menschen nun zu den Bösen stilisiert werden, dann nähern sich die angeblich für die abendländische Zivilisation eintretenden Islamhasser den Islamisten an, deren Weltbild nur andersherum gerichtet ist.
Da schwafelt der Eine von genetisch unterschiedlich intelligenten Schichten und Angehörigen von Kulturen und will mal wieder lebensunwerte Menschen reduzieren und Oberschichtseliten züchten. Das unterscheidet sich allerdings von der Nazi-Rassenlehre, die ja auf das ganze arische Volk setzte, nicht nur auf die Oberschicht oder die vermeintliche Intelligenzaristokratie des Volkes (das haben die vielen Zustimmer wohl noch nicht bemerkt, die sich vermutlich alle der intelligenten Oberschicht zurechnen). Und wenn nun die Sprache zur Rettung der Integration zu werden scheint, dann darf man sich schon auch mal fragen, warum es überhaupt mehrsprachige Länder wie unser Nachbarland Schweiz über Jahrhunderte hinweg geben kann.
Die Gegner Sarrazins machen es diesem und seinen Unterstützern leichter, weil sie sich nur auf den Antiislamismus richten, aber nicht den verkappten genetischen Aristokratismus thematisieren. Interessant wäre ja mal zu wissen, wen Sarrazin der Unterschicht und der intelligenten Oberschicht zurechnet, also wo neben Muslimen und deutschen, nord-, südeuropäischen Oberschichtlern die Selektionsgrenzen verlaufen würden. Wie bei Muslimen überhaupt Gene eine Rolle spielen, müsste uns die sich selbst sicher der intelligenten Oberschicht zurechnende Geistesgröße erst einmal plausibel machen. Gibt es auch eine christliche genetische Identität? Werden ehemalige Muslime aus Indonesien, Tschetschenien, Pakistan, dem Kosovo, den arabischen Ländern, Marokko oder Nigeria plötzlich intelligenter, wenn sie Atheisten werden?
Nachdem Sarrazin als stillgestellter, aber gut bezahlter Bundesbanker es geschafft hat, in seiner vielen freien Zeit einen Aufreger zu fabrizieren und immerhin herauszuschlagen, noch mal eine bessere Pension zu erhalten, für die nun alle einstehen müssen, können auch andere den neu geschaffenen Raum einnehmen, schließlich herrscht Einverständnis, dass er ja irgendwie teilweise Recht hat, auch wenn das meist im Nebulösen verbleibt. Mit Erika Steinbach (Stimme einer Minderheit), der Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV), die sich schon immer am rechten Rand bewegte (Stimme der Mehrheit?), wird nun deutlicher, um was es geht.
Mit der Mitte ist Schluss, die Union muss weiter nach rechts rücken oder die bereits vorhandene neue rechte Bewegung gründet auch eine neue Partei, im Abstand zu den Altvorderen der NPD und Co. Steinbach wehrt natürlich ab, dass sie oder der Bund der Vertriebenen revisionistisch sei, aber sie ist es selbstverständlich, wenn sie damit herumspielt, dass die Polen doch im März 1939 vor dem Einmarsch ihre Truppen mobilisiert hätten oder dass die Verbrechen der Nazis – da müsste sie sich wohl auch mal an die eigene familiäre Nase fassen – sich nicht von denen unterscheiden dürfen, die in Reaktion darauf unternommen wurden: "Menschenrecht mit zweierlei Maß zu messen ist paradox an sich." Das ist irgendwie wahr, dient aber einem offensichtlichem Zweck, dem der Relativierung und Gleichmachung, wenn man nicht gleichzeitig betont, dass die Deutschen in Polen und anderswo ja auch die Möglichkeit gehabt hätten, sich vom Nazi-Deutschland zu distanzieren.
Steinbach selbst, die sich schon mal aus dem Vorstand der CDU zurückgezogen hat, sieht gute Chancen für eine Partei rechts von der CDU, für eine "wirklich konservative" Partei. Die Angst ist groß, nicht umsonst demonstrierte der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Hort Seehofer unbedingte Einheit mit Steinbach. Wenn die Deutschen heute in der stabilsten Demokratie lebten, dann sollen wird dies "auch der Unterstützung der Vertriebenen" verdanken. Der ehemalige brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm bedauert, dass die Konservativen in der CDU keine Rolle mehr spielen würden.
Die USA haben als God's own Country kein Problem mit dem Patriotismus, sondern man geht selbstverständlich davon aus, dass der amerikanische Traum auch der der Menschheit sein müsse. In den USA ist man eben nur ein Stück weiter vorangeschritten, weswegen die Supermacht auch vorneweg die anderen Staaten ins Glück führen müsse. Daher hat der Times-Korrespondent auch viel Verständnis für die "Wiederentdeckung" der Identität der Deutschen: "The country has now awakened, ready to celebrate its economic ingenuity, its cultural treasures and the unsullied stretches of its history."
Die Wiederauferstehung des "Deutschen" werde auch skeptisch betrachtet, so der Korrespondent, der damit seinen Objektivitätsanforderungen genügt und sich auch sonst nicht recht zu einer wirklichen Einschätzung durchringen kann. Noch also scheint man nachsichtig mit dem Wiedererwachen des deutschen Nationalismus umzugehen, zumal der sich in Übereinstimmung mit anderen westlichen Staaten derzeit über den offenbar konsensfähigen Antiislamismus ausprägen – oder eher: verbergen - kann, auch wenn, wie mit Steinbach und der Liebe der Rechtsextremen zu Sarrazin deutlich wird, es durchaus deutlich erkennbare deutsche Unterschiede gibt.
War um der deutsche Stolz allerdings aus der Verleugnung der Geschichte entstehen muss, aber nicht daraus entstehen kann, aus den Fehlern gelernt zu haben, dürfte für die Rechten in Deutschland ebenso ein dunkler Fleck bleiben wie für viele Amerikaner, die offenbar auch nicht bereit sind, aus der Geschichte zu lernen. Das scheint nicht nur persönlich, sondern auch national oder gesellschaftlich schwierig zu sein.