Deutschland: Auf dem Weg zum Sorgenland?

Bild: Pixabay License

Ifo-Wirtschaftsbarometer: "Die Stimmung in den deutschen Chefetagen hat sich weiter abgekühlt"

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Unzufriedenheit soll ja ein guter Motor sein, um Verhältnisse zu verbessern. Gerade Deutschen wird häufig pauschal unterstellt, dass ihr eigentlicher Antrieb, der ihren Eifer und ihren Einfallsreichtum beflügelt, die ständige Unzufriedenheit ist, die sie zu neuen Lösungen anspornt. Geht es nach dem aktuellen ifo-Geschäftsklimaindex, so steht den Deutschen eine Periode bevor, die bei wachsender Unzufriedenheit über die wirtschaftlichen Aussichten ihren Einfallsreichtum befördern müsste.

"Die Stimmung in den deutschen Chefetagen hat sich weiter abgekühlt". Mit diesem Fazit beginnt der so Münchner Ifo-Institut seine Pressemitteilung zum Geschäftsklimaindex. Erwartet werden schwierige Zeiten. Die Konjunktur flaut weiter ab, so Clemens Fuest, Präsident des Instituts. Rechts neben dem Text markieren drei dicke Linien den Weg nach unten.

Sie stehen jeweils für das Geschäftsklima, für die Beurteilung der Geschäftslage und für die Geschäftserwartungen. Das Stimmungsbarometer des Instituts wird weithin beachtet, da ihm die Befragung von 9.000 Führungskräfte deutscher Unternehmer zugrunde liegt. Der Ifo-Index für das Geschäftsklima lieferte das signifikanteste Anzeichen für den Abwärtstrend.

Der ifo Geschäftsklimaindex ist im Juni von 97,9 auf 97,4 Punkte gefallen. Das ist der niedrigste Wert seit November 2014. Die Unternehmen blickten zunehmend pessimistisch auf die kommenden Monate. Ihre aktuelle Lage schätzten sie hingegen minimal besser ein.

ifo

Erwartungen sinken, Pessimus nimmt zu

Auffallend ist, dass die Erwartungen sinken. Die Ausnahme ist der Handel. Dort blicke man zuversichtlicher auf die kommenden Monate, heißt es im Bericht. Im Großhandel sei der Erwartungsindex sogar gestiegen, im Einzelhandel sei man mit der augenblicklichen Geschäftslage zufrieden. Hier könnten die moderaten Lohnsteigerungen mithineinspielen, die heute vom Statistischen Bundesamt für das erste Quartal gemeldet werden. Die Statistiker stellen einen "realen (preisbereinigten) Verdienstzuwachs von 1,2 %" fest.

Im verarbeitenden Gewerbe zeigt man sich dagegen nach einem "Lichtblick im Vormonat" eher besorgt. Der Geschäftsklimaindex wird als rückläufig gekennzeichnet, der Lageindex sinke seit einem Jahr. Vor allem bei den die Industriefirmen nehme der Pessimismus zu. Das habe vor allem mit einem sinkenden Auftragsbestand zu tun.

Auch für den Dienstleistungssektor und das Bauhauptgewerbe verzeichnet das ifo-Institut ein schlechteres Geschäftsklima, "merklich weniger optimistische Erwartungen" bei den Dienstleistern und "nachgebende Erwartungen" für das nächste halbe Jahr bei den Baufirmen. Allerdings bleibe der Geschäftsklimaindex dort "auf hohem Niveau".

Das Institut rechnet mit einem Schrumpfen der Wirtschaftsleistung im laufenden Quartal, ohne allerdings eine Rezession zu befürchten, ergänzt das Handelsblatt die Kennzahlen. Unter der Überschrift "Wirtschaftsaussichten verdüstern sich", erklärt die Wirtschaftszeitung die Lage mit Blick auf die große Welt und den Export:

Es sind die Handelskonflikte, die Gefahr eines harten Brexit sowie die wachsenden Spannungen zwischen den USA und dem Iran, die zuletzt bereits an den Börsen die Konjunkturerwartungen gedämpft hatten. (…) Vor allem die exportabhängigen Industriebranchen, darunter besonders die Autoindustrie, erleben nach Jahren des Booms schlechte Zeiten. Ein Abgleiten in die Rezession verhindern bisher die boomende Bauindustrie und der Konsum im Inland.

Handelsblatt

Allerdings , so der Handelsblatt-Bericht, gebe die "hervorragende Arbeitsmarktlage" und die gestärkten Kaufkraft durch steigende Reallöhne Anlass zur Hoffnung: "Die Konjunkturforscher erwarteten daher in ihren aktuellen Sommer-Prognose durchweg noch etwas höhere Wachstumsraten als in der letzten Schwächephase 2012/2013."

Arbeitsmarkt längst nicht so robust

Die Lage am Arbeitsmarkt sei aber nicht so robust, wie das häufig dargestellt wird, wendet der ausführliche, dreiteilige Bericht zur deutschen und europäischen Konjunktur auf Makroskop (frei zugänglich hier) ein. Er verweist dazu auf den Arbeitsmarktbericht der Bundesagentur für Arbeit vom Mai dieses Jahres. Dort heißt es, dass sich auf dem Arbeitsmarkt "erste Auswirkungen der konjunkturellen Abschwächung" zeigen.

"Gegenüber dem gleichen Monat des Vorjahres hat sich die Zahl der Bezieher von Arbeitslosengeld sichtbar erhöht (+21.000)", ist zu lesen und, dass die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zwar weiter steige, aber aktuell nicht mehr so stark wie zuletzt. "Die Nachfrage nach neuen Mitarbeitern bewegt sich auf hohem Niveau, wird aber merklich schwächer."

Bei Makroskop erkennt man ein Alarmsignal: "Da auch die Zahl der offenen Stellen seit dem vergangenen Sommer stagniert und zuletzt sogar gesunken ist, ist es eindeutig, dass die starke Rezession in der Industrie nun den Arbeitsmarkt voll erfasst hat. Alles Gerede von einem 'robusten' Arbeitsmarkt, der seinerseits die Konjunktur stabilisiere, erweist sich als haltloses Gerede."

Dort hält man der gängigen, auf Exporte und Standort (Senkung der Unternehmenssteuern) fixierten Wirtschaftspolitik vor, dass sie große blinde Flecken hat, die sich auch bei den Sozialdemokraten in der Einkommensfrage auftun und im Ignorieren der Notwendigkeit von Investitionen, die den europäischen Markt und den Binnenmarkt fördern. Es spreche derzeit alles dafür, "dass die rezessive Tendenz erhalten bleibt, weil es bislang keine politische Gegenreaktion gibt", lautet die Aussicht der Makroskop-Experten.

An Anreizen zur Verbesserung der Lage fehlt es demnach nicht. Schon seit einigen Monaten tauchen in britischen und französischen Medien immer wieder Berichte auf, die auf die Versäumnisse der deutschen Wirtschaftspolitik unter Merkel und der großen Koalition hinwiesen.

Die Erfolgsstory geht zu Ende, lautete häufig der Tenor. Jetzt würden sich die Schwächen des Exportmodells mit dem Leistungsbilanzüberschuss und der wirtschaftlichen Dominanz aufgrund einer austeren Lohnpolitik zeigen. Da war manches Mal auch eine Erleichterung zu spüren.