Deutschland, deine Rohstoffe
Franz Alt malt für uns das Ökoparadies. Doch das kleine Einmaleins der Energie bleibt auf der Strecke. Eine Gegenrede
In seinem Telepolis-Beitrag vom 11. Juni malt der Journalist und Autor Franz Alt Bilder vom Ökoparadies, unterlegt mit einer Armada aus puren Soll-Sätzen und visionären Gemeinplätzen, inklusive einfach gestrickter Drohkulisse ("Wenn-nicht-dann-aber").
Die Zukunft hört sich so an: Millionen Autos auf unseren Straßen. Millionen Wärmepumpen vor unseren Häusern. Millionen Windräder … hm, wo eigentlich? Vermutlich an den Küsten und vor unsrer Haustür?
Dazu kein Wort.
Windradgegner - nur vorsichtshalber sei angemerkt: Ich rechne mich pauschal nicht zu dieser Gruppe - sind dem Artikel so etwas wie die Impfverweigerer der ökobiologischen Weltrettung. Sie werden als denkunfähige, verblödete Menschenmasse klassifiziert, die nicht mal die einfachsten Zusammenhänge versteht. Sozusagen die Energie-Dackel der Nation.
In den Öko-Setzkasten gegriffen
Bei genauerem Hinsehen argumentiert Franz Alt aber leider nicht, sondern arbeitet mit stereotyp aneinandergereihten Floskeln aus dem Öko-Setzkasten. Einige Beispiele: Es "müssen die Weichen für die Neugestaltung der Welt gestellt werden". Es "muss uns jetzt das Umsteuern zur Klimaneutralität gelingen." "Das massenhafte Artensterben muss enden." "Geldströme müssen konsequent in ökologische Energien fließen, Subventionen in fossil-atomare Energien müssen endlich gestoppt werden." "Die Kohlegruben müssen komplett geschlossen werden."
Müssen, müssen, müssen.
Das geht so bis zum bitteren Ende der drohenden Apokalypse: "Wer heute kleine Veränderungen verhindert, muss morgen die ganz große Veränderung, möglicherweise die Öko-Diktatur, in Kauf nehmen."
Müssen, sollen, hier ist ein Dogmatiker am Werk. Wer nicht einstimmt, hat in diesem Trommelfeuer des Müssens keinen Platz mehr, um noch halbwegs für voll genommen zu werden. Windradgegner werden pauschal als rückständige Weltzerstörungsfanatiker hingestellt, die aber auch gar nichts kapiert haben.
Nur nebenbei: Eine Freundin von mir in Süddeutschland wohnt neben einer der neuen Segnungen, euphemistisch Windpark genannt. Sie hält sich stundenweise einfach die Ohren zu. Nicht des Windes wegen, sondern wegen der Geräusche, die der Stromerzeugung mittels Windrad beigesiedelt ist. Vermutlich wohnt Herr Alt nicht in einer solchen Lage.
Daneben gegriffen!
Er schreibt: "Vergleichen Sie doch einmal einen Windpark mit einer Braunkohlelandschaft im Ruhrgebiet oder in Sachsen. Das Landschaftsargument gegen Windräder ist so peinlich wie das Argument, dass Windräder Vögel töten."
Hier wird es endgültig peinlich – superpeinlich! Wie das?
Indem der Autor einen Windpark mit einer fiktiven "Braunkohlelandschaft im Ruhrgebiet" vergleicht. Ganz grob daneben! Es existiert keine "Braunkohlelandschaft" im Ruhrgebiet!
Schreibt man - und dies mit moralischem Fingerzeig – über Energie und baut zugleich ein dazu passendes Dödelbild auf, sollte man ein Mindestmaß an Ahnung über den Gegenstand erwarten, der zur Debatte steht. Das kleine Einmaleins der deutschen Energie.
Holen wir die verpasste Schulstunde nach!
Deutschland, Deine Rohstoffe
Deutschland ist ein rohstoffarmes Land, das heißt: Unsere Energieträger sind überschaubar. Man braucht nicht beide Hände, um sie abzuzählen. Neben der Steinkohle macht die rheinische Braunkohle (seit der Wende auch die ostdeutsche) den fossilen Grundbestand unserer Energievorräte aus. Das Ruhrrevier, um damit anzufangen, eine Steinkohlelagerstätte, war der Motor der heimischen Industriegesellschaft und die Basis unseres heutigen Lebensstandards, ganz neutral gesagt. Es hatte in dieser Funktion Weltrang. Wie zuvor erwähnt: Steinkohle.
Nicht ganz dieselbe ist die Lage bei der Braunkohle. Das rheinische Braunkohlerevier ist auch eine einzigartige, dennoch etwas andere Lagerstätte, die in Nordrhein-Westfalen mitunter jede dritte Lampe zum Leuchten brachte und die Bevölkerung mit Briketts versorgte. Sie war nach dem Krieg und noch Jahrzehnte danach eine unverzichtbare Quelle von Wärme, Licht und Energie.
Kölns erste elektrische Straßenbahn fuhr mit Strom aus der Braunkohle des rheinischen Reviers vor den Toren der Rheinmetropole. Die erste elektrifizierten Straßenlampen glühten gleichfalls mit Braunkohlestrom. Mein Vater heizte das ganze Haus bis in die 1960er-Jahre mit Braunkohlebriketts. Dann kam das Heizöl.
Es wurde (und wird) die heimische Braunkohle in der Grundlast eingesetzt, sie war damit ein direkter Kandidat gegen Kernenergie, hat in den entscheidenden Jahren also den Zubau weiterer Kernkraftwerke verhindert - vielleicht auf die Weise ja sogar einen Beitrag geleistet, ein deutsches Tschernobyl oder Fukushima zu verhindern. Wer weiß?
Steinkohle, Braunkohle - nicht dasselbe
Aber wie es auch sei: Definitiv gibt es im Ruhrgebiet keine Braunkohlelandschaft, sondern ausgekohlte Steinkohlelagerstätten, stillgelegte Steinkohlegruben und (dazu) von der Politik vergessene Städte und heruntergekommene Wohnsiedlungen, in denen die Bergleute mitsamt ihren Familien lebten, oft in den Wohnbauten der Reviergenossenschaften.
Die Braunkohlebergleute aber gehören ins rheinische Braunkohlerevier, das sich westlich von Köln von Brühl auf der Ville über Bergheim und Fortuna bis nach Grevenbroich erstreckt, weiter westlich bis nach Hambach und Inden, wo die "Tiefen Tagebaue" von sich reden machen.
Und selbst, wenn man das verstanden hat, bleibt die Frage, ob das Hantieren mit so ersichtlichen Stereotypen aus dem Poesiealbum der Welterneuerer ausreicht, um einen Dialog anzustoßen oder in Gang zu halten. Geschweige eine Debatte zu führen.
Landschaftsargumente "peinlich" zu nennen, ebenso wie Argumente zum Vogelschutz – haben wir so viele davon? –, passt zum Duktus des Beitrags. Unentschuldbar ist aber der Missgriff, die heimischen Energieträger eben durcheinanderzuwerfen. Hier liegt der Beitrag krass neben der Spur – und offenbart leider ernüchternde Oberflächlichkeit.
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