Deutschland sucht den Superschacht

Seite 2: Endlagerstätte: Garantieren, was nicht zu garantieren ist

Die wuchtigen Gründe für die Atomenergie sind weg. Geblieben sind die sachlichen Reste des Atomprogramms. In Bezug auf den nötigen Rückbau der ausgemusterten Meiler ergibt sich immerhin die versöhnliche Perspektive, auch daraus noch ein profitträchtiges Geschäft und deutsche Unternehmen zu dessen Champions zu machen.

Der strahlende Müll allerdings und mit ihm die Notwendigkeit, ihn zu verstauen, ist nun wirklich bloß noch ein Sachzwang. Was die einstige Atomrepublik darum jetzt dringend haben will, ist nicht mehr und nicht weniger als ein Superschacht – eine Endlagerstätte nämlich, die garantieren soll, was nicht zu garantieren ist: den nach den sturen Eigengesetzlichkeiten der Kernphysik Millionen Jahre giftig strahlenden Müll dort sicher zu verstauen, wo strikt innerhalb des politisch abgegrenzten Territoriums der BRD die Bewegungsgesetze der Geologie das Sagen haben; und zwar mit möglichst null Risiko, eben weil es keinen guten Grund mehr gibt, überhaupt eines einzugehen.

Darüber, dass eine Endlagerstätte gefunden werden muss, die so sicher ist wie möglich, ist ein nationaler Konsens auch zu erzielen. Die Politik erteilt ganz förmlich der Wissenschaft das Wort, weil die mit ihrer Expertise die entscheidende Rolle spielen soll. Und mit ganz viel Transparenz und öffentlicher Beteiligung soll zudem sichergestellt werden, dass bei jedem Schritt der Entscheidungsfindung auch wirklich nichts übersehen und alles Wichtige beachtet wird, so dass man am Ende zu einer Entscheidung kommt, die so fundiert, so haltbar und damit auch so legitimiert ist, wie es die Millionen-Jahre-Perspektive für das Strahlenendlager nun einmal braucht.

Also wird, wie es heißt, auf einer "weißen Landkarte" mit der Suche begonnen, die zunächst das ganze Bundesgebiet ohne jede Vorfestlegung einschließt. In aufeinander folgenden Phasen der Suche sollen erst "Teilgebiete", dann "Standortregionen" und zum Schluss infrage kommende "Standorte" herausgefiltert werden, und am Ende jeder Phase bekommen die Volksvertreter in Bundestag und Bundesrat das von den beauftragten Behörden erarbeitete Ergebnis als Vorschlag zur Entscheidung vorgelegt.

Ein ganz ausgebufftes, allen Anforderungen wissenschaftlich fundierter demokratischer Entscheidungsfindung genügendes Konstrukt haben sich die dazu Befugten also schön konsensual ausgedacht, um das Unmögliche möglich zu machen, und sogar noch die Vorschrift eingebaut, dass auch die dann endgültige Entscheidung doch nicht so ganz endgültig, sondern wenigstens 500 Jahre lang per Rückholung des Mülls aus der Erde korrigierbar sein soll.

Doch kaum wird der erste Zwischenbericht veröffentlicht, verhindert das schönste Verfahren nicht, dass sofort ein heftiger Dissens aufbricht. Der hat – notwendigerweise – denselben Grund wie der Konsens im Ausgangspunkt: Gesucht wird ja in Deutschland nach dem speziellen Standort, der dann im Unterschied zu allen anderen die Arschkarte der ehemaligen Atomrepublik bekommt und den gefährlichen Strahlenrestmüll schlucken muss.

Ganz im Unterschied zu den nicht abschätzbaren Risiken ist der mit der Ehre dieses Zuschlags verbundene Nutzen sehr gut und genau abzusehen: Er ist definitiv gleich Null. Also sehen sich die politischen Vertreter der Regionen dazu aufgestachelt, den Zwischenbericht entweder heftig zu begrüßen oder abzulehnen, der gemäß dem gesetzlich verankerten Zweck von Phase Eins die rein geologisch bestimmte Vorsortierung der Republik in solche "Teilgebiete" bilanziert, die ab jetzt schon nicht mehr infrage kommen, und solche, die weiter geprüft werden.

Endlagersuche: "Das kann man nicht nur geologisch betrachten"

Dabei versteht sich ganz von selbst, dass auch dieser neue Streit mit demokratisch althergebrachter Verlogenheit geführt wird: Die Sachwalter der Gegenden, die mit der ersten Sichtung glücklich ausgeschieden sind - wie zum Beispiel das Wendland mit dem Salzstock Gorleben -, halten natürlich die Fahne der Wissenschaft hoch und verweisen darauf, dass das Verfahren genau so ausgemacht und demokratisch abgesegnet worden sei, weshalb das Ergebnis jenseits aller Zweifel stehe.

Die Landes- und Lokalpolitiker, deren Sprengel in die engere Auswahl der weiter zu untersuchenden "Teilgebiete" geraten sind, kontern kongenial: "Das kann man nicht nur geologisch betrachten", heißt es da z.B. aus Sachsen, und nebenbei werde man doch schon einmal fragen dürfen, warum ausgerechnet ostdeutsche Gebiete mit geologischen Tonschiefer- und ökonomischen Strukturwandelnotlagen so überproportional vertreten seien, wohingegen Salzformationen wie Gorleben ... und überhaupt: die Transparenz!

Gegen die Einsortierung Bayerns in die engere Auswahl unterbreitet Landesvater Söder den Vorschlag, in Bayern und Tschechien - natürlich zu unser aller Nutzen - doch lieber den größten Waldnationalpark Europas einzurichten. Die durchschaubare Heuchelei wird vom Rest der Republik prompt als Heuchelei durchschaut, als Verstoß gegen das gemeinsam beschlossene Verfahren angeprangert und zusätzlich mit dem verlogenen "Argument" zurückgewiesen, dass die Bayern schließlich jahrzehntelang mit ihren Atomkraftwerken die meisten Profite gemacht hätten – was Bayern-Söder locker mit der umgekehrt verlogenen Lesart des identischen Sachverhalts kontert: Sollen denn seine Bayern nun auch noch Millionen Jahre lang das Hauptrisiko der Mülllagerung tragen, wo sie doch schon jahrzehntelang den Rest der Republik mit ihrem risikoreich produzierten Atomstrom versorgt haben? Und so weiter...

Egal, wie genau die Sache in der Zukunft - bis 2031 soll der Standort bestimmt werden, bis 2050 soll der Schacht für den Müll fertig sein - noch verläuft: Irgendeine Lösung werden die nuklear geschulte deutsche Demokratie und ihre für alle nationalen Zwecke verfügbare, stets lösungsorientierte Wissenschaft schon finden.

Peter Decker ist Redakteur der politischen Vierteljahreszeitschrift GegenStandpunkt. Der Artikel ist eine Veröffentlichung aus der Ausgabe vom 18.12.2020.

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