Deutschlandtrend: 60 Prozent sind beunruhigt
Migrationspolitik bleibt "wichtigstes politisches Problem". Die wachsende Dringlichkeit von Klimapolitik und Umweltschutz zeigt sich ebenfalls in der Umfrage, die auch Zeichen zuversichtlicher Erwartungen widerspiegelt
Die Zuwanderung bleibt in der Wahrnehmung der Deutschen das wichtigste Thema. Wie Politik mit der Fragen zur Migration und der Integration umgeht, rangiert nach wie vor als "wichtigstes politisches Problem" ganz oben, so spiegelt es der aktuelle ARD-Deutschlandtrend wider.
Klimapolitik und Umweltschutz sind für die Befragten das zweitwichtigste politische Problem. Zwar ist das Thema, das sich mit Pochen auf Dringlichkeit im letzten halben Jahr ins öffentliche Bewusstsein geschoben hat, deutlich wichtiger geworden, aber für 31 Prozent der 1.006 befragten, repräsentativ ausgewählten Bundesbürger ist die Zuwanderungspolitik derzeit noch vordringlicher. Die Klimapolitik war für 27 Prozent unter ihnen Thema Nummer 1.
Das ist auf den ersten Blick Wasser auf den Mühlen derjenigen, die sich, wie allen voran die AfD, hauptsächlich daraufsetzen, sich mit Positionen zur Zuwanderung zu profilieren, und bei der Klimadiskussion mit dem Stichwort "Hysterie und Übertreibung" abwiegeln (ohne ihrerseits auf hysterische Rhetorik bei ihrem Politikmarketing zu verzichten, klassisch etwa bei der Suche nach dem Migrationshintergrund bei Gewalttaten).
Auf den zweiten Blick zeigt sich ein deutlicher Trend, der für eine weitere Aufwertung des Themas Klimapolitik und Umweltschutz spricht. Die Wahrnehmung habe sich verändert, so der "Deutschlandtrend". 2017 hielten noch fast die Hälfte, 47 Prozent, Zuwanderungsfragen als vordringliches Problem. Das sind jetzt 16 Prozent weniger.
Dem stehen 18 Prozent mehr gegenüber, die nun Umwelt- und Klimaschutzfragen für vordringlich halten. 2017 waren das ganze 9 Prozent. Grob über den Daumen gepeilt hielt 2017 jede zehnte Person "Klimapolitik" für wichtig, jetzt ist es beinahe jede dritte (27 Prozent).
Und die Wirtschaftspolitik?
Erstaunlich ist, dass Wirtschaftsfragen nicht so hoch gehängt werden. Das große Thema Soziale Ungerechtigkeit und damit verbunden Armut und Hartz IV wird lediglich von 15 Prozent als vordringlich eingestuft. Es teilt sich Rang drei auf der Skala "wichtigste politische Probleme" mit Bildung, Ausbildung und Schule.
Der Arbeitsmarkt wird nur von 7 Prozent als wichtigstes Problem gesehen. Auch Energiepolitik und Energiewende wird wie Mobilität und Verkehr nur von 8 Prozent als dringlichstes Problem eingestuft. Die Rente und Fragen zur Alterssicherung, wozu es ebenfalls reichlich Berichterstattung gab, die mit Zukunftssorgen argumentierten, die nicht nur die Älteren, sondern auch die Jüngeren und deren Abgabelasten betreffen, wird von 13 Prozent als vordringlich gesehen.
Die Wertigkeiten könnte man damit erklären, dass die Mehrheit in Deutschland nach wie vor im Vergleich zu vielen anderen Ländern im Wohlstand lebt und es eine gewisse Zuversicht gibt, dass dies auch weiter so bleibt. Bedrohungen werden, so der Eindruck aus Gesprächen und der Medienberichterstattung, weniger in der wirtschaftspolitischen Ausrichtung als in Befürchtungen genannt, die mit der Migration verbunden sind.
Zuversicht bei den Erwartungen an das neue Jahrzehnt
Im Deutschlandtrend zeigt sich eine etwas überraschende Zuversicht, was die wirtschaftliche Entwicklung anbelangt. Bei den "Erwartungen an das neue Jahrzehnt" ist eine satte Mehrheit von 55 Prozent davon überzeugt, dass die Chancen auf Erhalt und Verbesserung des Arbeitsplatzes "eher steigen". Nur 22 Prozent sind da anderer Auffassung.
Auch bei der Entwicklung des Lebensstandards sind die Befragten eher optimistisch, wenn auch mit einer ziemlich knappen Mehrheit. 40 Prozent glauben, dass er in den nächsten zehn Jahren "eher steigen" wird. 36 Prozent fürchten, dass er eher sinkt. Die Digitalisierung wird den Alltag "eher erleichtern", allen möglichen Warnungen zum Trotz, davon sind 61 Prozent der Befragten überzeugt.
"German Angst" passé?
Zuversicht überwiegt demnach in den Erwartungen auf die 2020er - ist die "German Angst" passé? Nicht wirklich, denn in der Befragung, die zum Jahresanfang (durchgeführt am 7. und 8. Januar) ein weiteres Spektrum als üblich absteckt, taucht auch die Feststellung auf, dass 60 Prozent der Deutschen beunruhigt sind.
Die Frage dazu ist ganz groß gestellt: "Wie sind die Verhältnisse in Deutschland?" Die Antwort: Nur 35 Prozent meinen, dass sie Anlass zur Zuversicht geben. Die genannten 60 Prozent beurteilen die Verhältnisse so, dass sie Anlass zur Beunruhigung geben. Auch bei den Anhängern der beiden künftigen Regierungsparteien, zumindest werden die Union und die Grünen als solche vielfach gehandelt, gibt es gegenwärtig keine überzeugende Mehrheit, die die Verhältnisse zuversichtlich sehen. 49 Prozent der Unionsanhänger sind zwar zuversichtlich, aber zugleich sind 46 Prozent beunruhigt.
Bei den Grünen fällt das ganz ähnlich aus. 49 Prozent sind zuversichtlich, 47 Prozent beunruhigt. Bei den SPD-Anhängern, die allen Grund dazu haben, sind 57 Prozent beunruhigt über die Verhältnisse in Deutschland, bei den Anhängern der FDP 63 Prozent, bei denen der Linken 70 Prozent. Getoppt wird das von den AfD-Anhängern. Dort sind immerhin aber ganze 7 Prozent der Auffassung, dass die Verhältnisse in Deutschland Anlass zur Zuversicht geben. Da würde man gerne Einzelheiten dazu erfahren, denn der AfD-Mainstream geht in eine ganz andere Richtung: 90 Prozent sehen Anlass zur Beunruhigung.
Desillusionierung
Zu 100 Prozent sind sich AfD-Anhänger darin einig, dass sie nicht zufrieden sind mit der Arbeit der Bundesregierung. Das deckt sich in der Tendenz zwar mit der Mehrheit aller Befragten - 63 Prozent sind "weniger oder gar nicht" mit der Regierungsarbeit zufrieden - ist aber in der eindeutigen Ablehnung konkurrenzlos. Selbst unter den Linken-Anhängern finden sich 13 Prozent, die mit der Arbeit der amtierenden Regierungskoalition zufrieden sind (86 Prozent sind es nicht).
Bemerkenswert, aber nicht wirklich überraschend, ist, dass auch die Mehrheit der SPD-Anhänger, 56 Prozent, mit der Regierung nicht zufrieden ist. Nur 46 Prozent sind offenbar davon überzeugt, dass die Regierung gute Arbeit macht.
Generell verfestigt der Deutschlandtrend ein Bild der Desillusionierung, wenn es um die Einschätzung von Kompetenzen geht, die von Politikern und Parteien erwartet oder eingefordert werden. Die Zustimmungswerte sind hier schwach ausgeprägt, wie sich insbesondere beim Vertrauen in die Lösungskompetenzen der Regierungsparteien zeigt:
Das Vertrauen in die Regierungsparteien, Lösungen für die großen politischen Probleme zu finden, ist unter den Bürgern rückläufig. Beim Thema Flüchtlings- und Einwanderungspolitik traut jeder vierte Bürger (24 Prozent) der Union eine Lösungskompetenz zu. Vor der Bundestagswahl 2017 waren es noch 38 Prozent. Der SPD trauen auf diesem Feld nur 12 Prozent eine Lösungskompetenz zu, 8 Punkte weniger als vor der Bundestageswahl.
ARD-Deutschlandtrend
Es ist aber nicht so, dass die Oppositionsparteien davon profitieren, dass ihnen also mehr zugetraut wird. Bei ihnen sehe es nur "leicht besser" aus. Ausnahme sind die Grünen, denen 53 Prozent zutrauen, dass sie beim Thema Umwelt- und Klimapolitik kompetent sind. Der AfD trauen übrigens gerade mal 14 Prozent Lösungskompetenz zu.
Bei der Sonntagsfrage gab es keine bemerkenswerten Bewegungen. Die Beunruhigung spielt sich unter diesem Radar ab.