Dianas Tod

Breaking News - Nachrichten zum Erbrechen

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Medien sind Mörder

Als Diana, Prinzessin von Wales, und Dodi Al Fayed in der Nacht vom Samstag dem 30. zum Sonntag dem 31. August in Paris in einem engen Autobahntunnel in Paris nahe der Seine in den Tod rasten, wurde die heutige Medienrealität unerbittlich, grausam und zugleich höchst prägnant auf den Punkt gebracht. Die meistfotografierte Frau der Welt und einer der reichsten Erben der Welt starben in Folge des Aufpralls ihrer Luxuslimousine (Mercedes) mit ca. 135 km/h auf einen Betonpfeiler. Und nicht nur das, sie wurden dabei von Fotografen auf Motorrädern verfolgt und möglicherweise war diese Verfolgung ursächlicher Auslöser des Unfalls.

Kool Killer

Medien sind Mörder. Sie berichten nicht nur von Ereignissen, sie tragen oft auch zu ihrem Zustandekommen bei, indem sie z.B. schwelende Konflikte schüren, und sie verkaufen diese Ereignisse, die sie selbst mit hervorgebracht haben, der Öffentlichkeit mit Copyright-Stempel zurück. Das Verfielfältigungsrecht an einer Story, in der es um Mord, Sex, Krieg oder Katastrophen geht, ist, wenn das Ausmaß der Katastrophe groß genug oder die beteiligten Personen wichtig genug sind, wie ein Millionen-Dollar-Scheck. Deshalb war den Paparazzi, die Lady Di und Dodi, wie die beiden berühmten Opfer gemeinmhin genannt wurden, auf Motorrädern verfolgten, kein Risiko zu groß, keine Indiskretion zu abscheulich, um einen Schnappschuß von den beiden einzufangen. Die sich anbahnende Liebesaffäre zwischen Di und Dodi hatte in der Sauregurkenzeit dieses Sommers die Kassen der Boulevardzeitungen und Zeitschriften klingeln lassen.

Doch nicht nur die sprichwörtliche Sensationspresse, auch vergleichsweise angesehene Unternehmen wie Reuters, AP, CNN machen mit dem Unglück der anderen ihr Geld. CNN wurde mit dem Medienereignis Golfkrieg zum Weltmarktführer in Sachen Fernsehnachrichten. Verschiedene Kommentatoren, am eindringlichsten der französische Philosoph Paul Virilio, hoben hervor, wie im Falle des Golfkriegs keine klare Abgrenzung mehr zwischen Medienereignis Krieg und dem wirklichen Krieg erkennbar war. Das "ideale" Medienbild war in diesem Fall die Aufnahme einer irakischen Fabriksanlage aus der Perspektive einer mit Kamera bestückten "intelligenten" Bombe. Virilio war es auch, der in seinem Buch "Die Eroberung des Körpers - vom Übermensch zum überreizten Menschen" zeigte, daß die "Bluthunde" der Presse keine Erscheinung des späten 20. Jahrhunderts sind, sondern daß diese Form der Berichterstattung schon mit der Geburtsstunde der Moderne, der französischen Revolution, begann, als die ersten Vorformen der bürgerlichen Presse Todesurteile verkündeten, bevor sie von den Revolutionsräten ausgesprochen wurden. Schon hier bestand kein Unterschied zwischen der Guillotine des Wortes und den wenig später erfolgenden tatsächlichen Enthauptungen.

Crash

Was nun also den Tod von Lady Di so bemerkenswert erscheinen läßt, ist nicht nur das grundsätzliche Muster des Falles, sondern sind mehr noch dessen besondere Umstände. Um darauf einzugehen, ist ein anderes Beispiel aus der Literatur heranzuziehen, "Crash" von James Graham Ballard. Was den Kern dieser 1973 erschienen Erzählung ausmacht, ist die Verbindung von Sex und Tod in Form von Autounfällen. Der wichtigste Charakter in der Erzählung plant seinen eigenen Tod durch einen inszenierten Frontalzusammenstoß mit Elizabeth Taylor. Schon die Auswahl von "Liz" Taylor, die damals als berühmteste Schauspielerin und "schönste Frau" der Welt jenen selben medialen Stellenwert hatte, wie heute Lady Di, läßt "Crash" wie eine hellsichtige Prophezeiung des jüngsten Ereignisses erscheinen.

Weitere Details sind von nicht minderer Signifikanz. Auch in "Crash" wird fotografiert - und zwar Autounfälle. Der Selbstmordkandidat befährt unablässig die Autobahntangenten einer anonymen Großstadt, um bei jedem Unfall sofort mit Kamera zur Stelle zu sein. Die Bilder von Verletzten und zerstörten Karossen dienen ihm und seinen Anhängern später zur sexuellen Stimulation. Die Ähnlichkeit zum Di-Dodi-Unfall ist zum einen dadurch gegeben, daß Fotos eine so große Rolle spielen. Bilder des zertrümmerten blauen Mercedes Sedan gingen um die Welt. Noch bedenkenswerter sind aber die detaillierten Beschreibungen der Art und Weise, wie der Wagen, in dem das berühmte Pärchen saß, zertrümmert wurde. Dies erinnert an das pervers-voyeuristische Vergnügen der Autounfallfans im Ballard-Roman. Ob Reuters, CNN oder AP, sie alle ergehen sich in Details, wie die Motorhaube des Wagens "wie ein Zieharmonikablock" zusammengeschoben wurde, als es gegen die Betonstütze prallte. Bei CNN darf eine hörbar aufgeregte US-Touristin (in einem Audiofile auf der Web-Site) sagen, daß sie erkennen konnte, daß sich der Airbag des rechts sitzenden Beifahrers geöffnet hatte (was diesem aber offenbar wenig nützte). Nach dem Aufprall habe die Hupe des Wagens für zwei Minuten einen Dauerton abgegben, scheinbar weil der tote Körper des Fahrers gegen das Lenkrad gepreßt war. In "Crash" werden die Narben der Unfallopfer in subtile Zusammenhänge mit den Deformationen der Unfallwagen gebracht.

Zum Unterschied von "Crash" sind nun aber nicht eine kleine Gruppe von "Perversen" die Voyeure, sondern wir alle, die Milliardengemeinde der Medienkonsumenten, und die Kameramänner, die Lady Di auf Motorrädern in den Tod gejagt haben, sind unsere verlängerten Organe. "Crash" von Ballard ist eines der dunkelsten Stücke Zivilisationskritik, das je geschrieben wurde (so ist es wenig verwunderlich, daß es lange Zeit keine deutschsprachige Ausgabe davon gab, außer in einer obskuren Science Fiction Anthalogie des Bastei Lübbe Verlags) und die Analogien zum jüngsten Vorfall sind offenkundig.

Die wichtigsten Bestandteile dieses "Sets" sind Berühmtheit, Reichtum und Schönheit (Taylor/Diana); das Auto als das hervorstechendste Kultobjekt im Trash-Mythos des 20. Jahrhunderts und sein inhärentes Gebrechen, der Autounfall; mediale Abbildungen/Fotos als Mittel zur Dokumentation aber auch zur Stimulanz von Ereignissen, somit als Ursache und Wirkung zugleich; die voyeuristische Lust der Rezipienten dieser Abbildungen; und nicht zuletzt der "Tatort", der Schauplatz dieses mehr als filmischen Sets, eine namenlose Stadtautobahn.

Was vor mehr als 20 Jahren noch als Science Fiction bei englischen und deutschen Verlegern durchgehen konnte, wurde inzwischen zu einem Markstein der (Medien)Realität. Der zivilisationskritische Charakter der Erzählung, welche pornographisch obsessive Momente mit einer distanzierten und brillianten Sprache zu vermitteln weiß, die auf Befunde von Gerichtsmedizinern und anatomische Beschreibungen zurückgreift und durch ihre Leidenschaftslosigkeit die Grenze zu "echter", also "bösartiger" Pornografie nie berührt, steht im Kontrast zu der Mischung aus ebenso leidenschaftsloser "Objektivität" in den Fakten (in verschiedenen Berichten werden im Detail die Rettungsversuche beschrieben, die an Lady DiŽs zertrümmerten Körperteilen und Organen im Krankenhaus vorgenommen wurden, bevor sie am Sonntag um 4 Uhr MEZ morgens verstarb) und aufgesetzter Schockiertheit und Trauer (Di tot, in schwarzen Lettern, welche die gesamte Titelseite der englischen Kleinformate am Sonntag ausfüllten), mit der die Medien nun den Fall von Di und Dodi erzählen.

Der Kuss der Spinnenmedien

So sollte dieses Ereignis eigentlich einen Aufschrei in der Öffentlichkeit hervorrufen, darüber, wie sich das Verhältnis der Medien zu der von ihnen berichteten (gerichteten?) Wirklichkeit gestalten sollte. Diesen Aufschrei gibt es zwar nun, in gewisser Weise, da wahrscheinlich Pressefotografen direkt mit Schuld am Tod von Di und Dodi waren, doch, das wage ich zu prophezeien, die jetzige Empörung wird von kurzer Dauer sein und folgenlos bezüglich des grundsätzlichen Arrangements zwischen Medien und Realität. Die Medienindustrie wird sich mit ihren enormen finanziellen Mitteln und ihrem politischen Einfluß kaum zurückdrängen lassen.

Es mag zynisch klingen, doch der Tod von Diana, jetzt wo er eingetreten ist, klingt wie der logische Abschluß der Ereignisse. Seitdem sie mit 19 Jahren mit der Verlobung mit Prince Charles ins Blitzlicht der medialen Öffentlichkeit geriet, gelang es ihr kaum mehr, jemals wieder irgendetwas in Privatheit zu unternehmen. Das dauernde Interesse der Medien an ihr mag dazu beigetragen haben, daß die Ehe mit Charles in die Brüche ging. Als sie von den Berichten über ihre Affäre mit einem jungen Offizier und über ihre in der Scheidungsphase aufgetretene Bulimie übermäßig in die Defensive gedrängt wurde, ging sie in die Offensive und leitete von sich aus ein BBC-Interview in die Wege, damit die Welt endlich die "Warheit" aus ihrer Sicht erfahren sollte. Die Welt sah eine abgemagerte junge Frau, deren große Augen bei jeder auch nur leicht kritischen Frage einen verschreckten Ausdruck bekamen, und die so in ihrem Äußeren den Eindruck eines "gejagten Rehs" vermittelte. Anstatt die Berichterstattung einzudämmen, hatte das BBC-Interview den gegenteiligen Effekt. Nun wurden ihr Koketterie mit den Medien vorgeworfen und wochenlang wurden immer neue, vermutete Wutausbrüche der Queen über Dianas öffentliches Scheidungsgespräch kolportiert.

Was Diana auch tat, es war nie ihre eigene Handlung, sondern gehörte immer auch schon den Medien. Die Medien waren wie ein Spinnennetz um sie, in das sie längst unentrinnbar verwoben war und ihr Tod war die "natürliche" und letale Folge dieser Verwicklung. Der Tod ist das ultimative Geschäft für die Medien. Eine Reihe großer Stars sind bereits unter dem Druck der Medien zusammengebrochen, ob James Dean, Elvis Presley oder Marylin Monroe. Das Opfer eines Menschenlebens gehört zu den Ritualen des Mediensystems. Aber noch nie war der Zusammenhang so direkt und offensichtlich wie bei Princess Diana. Eine Variante dieser Opferungen sind jene, an deren Namen wir uns kaum erinnern können, Leute wie der Lennon-Mörder oder der Reagan-Attentäter, die ihre 15-Minuten Medienruhm durch die Auslöschung eines anderen Menschenlebens erringen wollten und sich dafür besonders berühmte lebende Ziele suchten (wie auch der Selbtsmörder-durch-Autounfall-mit-Liz-Taylor in "Crash").

Medienpersönlichkeiten

Das "Celebrity-System" der Medien, ein System, bei dem es nur darum geht, berühmt zu sein, egal wodurch, ob wegen der Fähigkeiten als Fussballspieler oder als Nobelpreisträger in Physik, schuf eine Neo-Aristokratie von synthetischen Berühmtheiten mit mehr oder minder langem Verfallsdatum. Diana, als Medienpersönlichkeit und echte Aristokratin zugleich, war in diesem System das absolute Idol. Mit einem kurzen Klick auf den Auslöser der Kamera konnten die Paparazzi, die Diana verfolgt hatten, mehr Geld verdienen als mit jahrelanger ernsthafter Arbeit.

Doch hier geht es nicht um individuelle Moral von freiberuflichen Pressefotografen, sondern um das Wesen der Mediengesellschaft und der durch sie geformten Persönlichkeiten. Diana war sicherlich eine Medienpersönlichkeit, aber hatte sie auch Persönlichkeit? Es wird wohl schwierig sein, das jetzt noch herauszufinden. Doch meine These lautet, daß Diana, wenn sie Persönlichkeit gehabt hat, wofür z.B. ihr jüngstes Engagement gegen Landminen ein Indiz sein könnte, nie eine Chance gehabt hat, dies auch zu zeigen. Die Paparazzi, die ihr ständig hinterher waren und Bilder von ihr verkaufen konnten, selbst wenn sie von noch so schlechter Auflösung waren - durch ein riesiges Teleobjektiv aufgenommen, Diana im Badeanzug im Sommer, ein kleines Stückchen Diana auf einer Privatyacht, ein graugrieseliges Diana-Bein beim Einsteigen in eine Luxuslimousine - haben mit ihrem dauerndem Blitzlichtgewitter jeden Anflug von Persönlichkeit ausgeblendet. Wer könnte das Puzzle aus Millionen berichteter Details noch zu einer abgerundeten, zentrierten Persönlichkeit zusammensetzen, sie selbst etwa? Die Überbelichtung führte zur Ausblendung, zuletzt im wortwörtlichen Sinn.

Spekulationen

Das Ende des Celebrity-Systems
Wenn das System der Medienpersönlichkeiten dazu führt, daß die Berühmtheiten von den Fotografen buchstäblich erschossen werden, wer möchte dann noch Berühmtheit sein? Könnte dies dazu führen, daß das Celebrity-System kippt und die Leute wieder Interesse gewinnen, Berufe zu erlernen, anstatt einfach nur reich und berühmt sein zu wollen?

Die Nachfolgefrage
Eines ist ganz sicher, kurzfristig wird Dianas Tod die Auflagen der Schundpresse nocheinmal ganz gehörig in die Höhe treiben. Eine Weile wird es sicher noch viele interessante Details vom Begräbnis und von den Trauerbekundungen anderer Größen zu berichten geben. Charles und die gemeinsamen Söhne werden sicher im Mittelpunkt stehen. Doch irgendwann in naher Zukunft wird immer weniger zu berichten sein. Vielleicht findet noch ein Privatsekretär irgendwelche enthüllenden Tagebücher. Diana wird mit Sicherheit nach ihrem Tod ebenso bis zum letzten Tropfen Druckerschwärze ausgepreßt werden, wie im Leben. Doch das kann nicht ewig weitergehen. Da Diana die Titelseiten der englischen Schundzeitungen dominiert hat wie niemand anders, stellt sich die Nachfolgefrage. Wer wird die Nr.1 unter den Idolen der Regenbogenpresse? Charles und Camilla eignen sich dazu wohl kaum.

Der Di-Dodi-Film
Ohne Frage wird diese spektakuläre Episode mindestens einen spektakulären Film zur Folge haben. Die Frage ist, ob daraus eine reisserische Oliver-Stone-Pseudo-Dokumentation entsteht oder ein Film, der andere Sichtweisen aufwirft.

Die Doubles
In diesem Zusammenhang kann ich den Gedanken an Doubles nicht unterdrücken. Vielleicht wird in vielen Jahren ein Enthüllungsjournalist aufdecken, daß Diana und Dodi rechtzeitig klar geworden ist, daß sie ihre gerade aufkeimende Liebe in der Öffentlichkeit nie glücklich ausleben würden können, und sie haben ihren Tod daher nur inszeniert. Vielleicht haben sie Doubles gefunden, die unter ihrer Ähnlichkeit litten und wußten, daß sie nie etwas anderes als Di-Dodi-Doubles sein würden und waren daher bereit, einen spektakulären Tod zu sterben, wenn ihre Familien dafür viel Geld erhalten würden. Diana und Dodi sitzen inzwischen auf einer Insel in einer zurückgezogenen Fayed Villa und halten Händchen.

Die Schuldfrage
Noch ist es nicht wirklich klar, ob die Fotografen ursächlich am Unfall beteiligt waren. Recherchen verschiedener Zeitungen zu Folge will keine Zeitung oder Agentur am besagten Abend Reporter auf Di und Dodi angesetzt gehabt haben. Sicherlich, welche Redaktion würde das zum jetzigen Zeitpunkt auch zugeben? Um vorsorglich weiteren Spekulationen vorzubeugen: Die ganze Geschichte war von Telepolis frei erfunden worden. Wir haben unser gesamtes Budget für die nächsten zehn Jahre investiert und alle Agenturen der Welt bestochen, diese Geschichte zu lancieren. Mit dieser Enthüllung werden wir nun unsere Page Views sicherlich in Millionenhöhe treiben und sind gemachte Leute.