Dicke Luft in deutschen Städten

München. Bild: Alexas_Fotos /gemeinfrei

Die Erregung über das Fahrverbot von Dieselfahrzeugen und das größere Bild

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Am Fahrverbot für Dieselfahrzeuge züngelt eine Erregungswelle nach der anderen. Seit die grün-schwarze Regierung in Baden-Württemberg kürzlich beschloss, "dass Dieselautos, die nicht die Euro 6-Norm erfüllen, an Tagen mit hoher Schadstoffbelastung in Teilen der Stuttgarter Innenstadt ab 2018 Fahrverbot erhalten", erregen sich die Gemüter und die Gewerbevertreter.

"Die Besitzer von Dieselfahrzeugen sind Opfer und nicht Täter, sie brauchen staatlichen Schutz und keine Diskriminierung als Luftverpester", sagte der Präsident des Baden-Württembergischen Kraftfahrzeuggewerbes, Harry Brambach. Im gleichen Bericht kommt auch der Aufsichtsratschef des Autozulieferers Bosch, Franz Fehrenbach, zu Wort: Er sieht die Diesel-Technologie in Deutschland in Gefahr.

Auch der Daimler-Chef Dieter Zetsche warnt vor einem Eigentor. Ein Fahrverbot für Dieselautos sei "nicht zielführend" und zudem eine "bittere Pille für die Besitzer älterer Diesel-Fahrzeuge.

Dann kam die Nachricht vom Bayerischen Verwaltungsgericht. Der VGH verpflichtete Bayern und die Stadt München dazu, ein solches Verbot vorzubereiten. Man ahnt, es werden andere Großstädte folgen. Nun wird mobilisiert.

"Das Fahrverbot für Diesel schadet der Umwelt", titelte heute die Sonntagsausgabe der Frankfurter Zeitung, deren Nähe zur Wirtschaft bekannt ist. Argumentiert wird damit, dass Dieselfahrzeuge zwar mehr Schadstoffe ausstoßen als vergleichbare "Benziner", "aber bis zu zwanzig Prozent weniger Kohlendioxid".

Unüberhörbar sind allerdings auch die Rufe nach einer anderen Verkehrspolitik. Ende Januar 2017 kletterten Greenpeace-Aktivisten auf die Berliner Siegessäule, um ihr eine Atemschutzmaske aufzusetzen und in 70 Metern Höhe ein Banner mit der Aufschrift "Atemlos durch die Stadt" aufzuhängen. Ein Appell an Verkehrsteilnehmer wie Politiker, denn die Luft in deutschen Städten wird immer schmutziger.

Untersuchungen des Bundesumweltamtes zufolge wurden im letzten Jahr die Hälfte aller gemessenen Grenzwerte für Stickstoffdioxid oder Stickstoffoxide überschritten. Überdurchschnittlich hoch waren die Werte auch in Hannover, Osnabrück, Hameln und Hildesheim.

Im Hinblick auf die Feinstaub-Werte gab es zwar deutliche Verbesserungen. Der EU-Grenzwert, der bei 50 µg/m³ an mehr als 35 Tagen im Jahr liegt, wurde bei keiner Messstation im Norden überschritten. Deutlich überschritten wurde dafür der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlene Wert von 20 µg/m³.

Niedersachsen plant Tempo 30 auf innerstädtischen Hauptstraßen. Die aufgestellten Fotofallen dürfte den Kommunen zwar zusätzliche Gelder einbringen. Ob auch die Luft sauberer wird, bleibt abzuwarten. Diskutiert wird außerdem die Blaue Plakette, die es nur besonders schadstoffarmen Autos erlaubt, Städte mit Umweltzonen zu befahren. In Hannover, Osnabrück und Bremen gibt es bereits Umweltzonen für Autos mit grüner Plakette.

Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) hatte im vergangenen Jahr Fahrverbote von Diesel-Fahrzeugen bei extremen Wetterlagen vorgeschlagen. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) forderte statt Umweltzonen einen Masterplan zur Schadstoff-Reduzierung in Städten. Anstatt eine Geldprämie an Privatnutzer von Elektroautos auszuzahlen, solle dieses Geld in die Elektrifizierung von Bussen, Taxis usw. gesteckt werden.

Daneben sei ein Ausbau des Radwegenetzes überfällig. Am Rhein, wo die Luftverschmutzung zu 30 Prozent durch Schiffsverkehr verursacht wird, werde auch durch ein Fahrverbot für Autos die Luft nicht sauberer.

Dieselmotoren stehen schon länger unter Druck. So zeigen die Ende Januar 2017 veröffentlichten Daten des Umweltbundesamtes (UBA), dass viele deutsche Städte den EU-Grenzwert für Stickoxid in 2016 deutlich überschritten. Auch der ADAC untersuchte das Fahrverhalten von Autos mit unterschiedlichen Antriebsarten. Wegen ihrer hohen Kohlendioxid- und Stickoxid-Emissionen schnitten Dieselmotoren am schlechtesten ab, gefolgt von Benzinern. Die besten Ergebnisse in der Umweltbilanz erzielten Erdgas-, Hybrid- und Elektromotoren.

Stickoxide führen zu Asthma und Herzkreislauferkrankungen. So errechnete die Europäische Umweltagentur, dass infolge giftiger Luftschadstoffe aus Dieselmotoren in Deutschland jährlich mehr als 10.000 Menschen vorzeitig sterben. Greenpeace fordert mehr Vorrang für Radfahrer und öffentlichen Nahverkehr, aber auch gemeinsam genutzten Elektroautos. Verbrennungsmotoren sollten langfristig aus der Stadt verbannt werden.

E-Mobil - Auto der Zukunft?

Bei einem Vergleich der Emissionswerte pro Person steht das Auto mit einem Kohlendioxid-Ausstoß von durchschnittlich 150 Gramm an erster Stelle, die Bahn liegt mit 40 Gramm deutlich darunter, ebenso der Fernbus mit nur 20 Gramm. Die wenigsten Emissionen mit nur 3,5 bis 7 Gramm je gefahrenen Kilometer produziert das Elektro-Auto - vorausgesetzt, es wird mit Ökostrom betrieben.

Während Norwegen mit einer Verkaufsquote von fast 23 Prozent eine Vorreiterrolle einnimmt, sind bei uns vergleichsweise wenige Elektroautos unterwegs. Ginge es nach dem Willen der Bundesregierung, sollen 2020 eine Millionen E-Autos die deutschen Straßen befahren - ein ehrgeiziges Ziel für ein Gefährt, das sich bisher als Ladenhüter erwiesen hat.

Geringe Reichweiten, lange Ladezeiten, zu schwere Batterien - an Komfort gewöhnte Autofahrer fühlen sich mit dem E-Auto ausgebremst. Zwar entwickelt sich die Technik weiter: Schon gibt es Batterien, die Strom für 300 und sogar bis 500 Kilometer speichern.

Aber auch, wenn sich die Abgase verringern, wird die wachsende Anzahl aller Autos allmählich zum Problem. Hält die Autoproduktion weiter an, soll es bis 2050 weltweit 2,7 Milliarden Autos geben. In Deutschland kommen bereits 57Autos auf 100 Einwohner. Außerdem werden deutsche Autofahrer mit rund 88 Milliarden Euro pro Jahr subventioniert.

Unfälle machen den größten Anteil an den externen Kosten aus, der Rest verteilt sich auf Klimawandel, Luftverschmutzung, Lärm etc. Umgelegt auf den Verursacher, müsste jeder Autofahrer 15 Cent pro Kilometer zusätzlich zahlen. Den Unfallopfern dürfte es egal sein, ob sie von Elektro- oder Diesel-Autos überfahren werden.

In der Umweltbilanz selten berücksichtigt ist der Reifenabrieb. Rund 111.000 Tonnen Gummi werden auf deutschen Straßen jedes Jahr abgefahren. Zink- und Cadmiumhaltige Partikel landen in Luft, Wasser und Böden und hemmen das Pflanzenwachstum.

Fliegende Klimakiller

Ein modernes Flugzeug verbraucht je Passagier rund drei Liter Kerosin auf 100 Kilometer. Neben Kohlendioxid gelangen vor allem Stickoxide und Wasserdampf beim Verbrennen von Kerosin direkt in die höheren Schichten der Atmosphäre. Dort richten sie im Laufe von 100 Jahren irreparable Schäden an.

Die Kondensstreifen und Schleierwolken heizen die Atmosphäre zusätzlich auf. Denn sie lassen das Sonnenlicht ungehindert auf die Erde, vermindern aber die Wärmeabstrahlung ins Weltall. Deshalb haben Wissenschaftler festgelegt, dass eine Person im Flugzeug 380 Gramm Kohlendioxid je geflogenen Kilometer emittiert.

Das Institut für Energie und Umweltforschung (IFEU) bewertet die Klimarelevanz von Mittel- und Langstreckenflügen 2,7 Mal höher als die bodennahen Emissionen.

Laut dem Verkehrsclub Deutschland (VCD) haben sich hierzulande die CO2-Emissionen im Flugverkehr seit 1990 etwa verdoppelt. Der Gesamtanteil des Flugverkehrs an der globalen Erwärmung wird auf fünf Prozent geschätzt.

Die Umweltorganisation Atmosfair ordnet die Fluggesellschaften verschiedenen Effizienzklassen zu. Danach kommen zehn der 50 klimafreundlichsten Gesellschaften aus China. Die China West Air zum Beispiel gehört zu den "saubersten" Airlines der Welt. 16 kommen aus Europa.

Während Condor in der Energieeffizienz auf Platz Sieben rangiert, kommt Lufthansa erst an 77. Stelle. Bei enger Bestuhlung und Besetzung aller Plätze ist die Belastung geringer als bei großer Beinfreiheit und geringerer Auslastung.

Es sind vor allem die Menschen auf der Südhalbkugel, die die Folgen des Klimawandels heute am heftigsten spüren. Atmosfair wirbt daher für die Zahlung eines Beitrages, deren Höhe je nach Flug variiert und die klimafreundliche Projekte in armen Weltregionen finanzieren soll. Die Sache hat nur mehrere Haken.

Zum einen verringern sich erstmal keine Abgase, nur weil irgendwo Geld überwiesen wird. Zum anderen werden in Afrika und Indien Solarkocher, effiziente Holzvergaser, Gar-Behälter oder Photovoltaikanlagen so oder so dringend benötigt - unabhängig davon, ob jemand das Flugzeug nutzt oder eine Kreuzfahrt macht.

Zudem stellt sich die Frage, wie viele Passagiere sich an dieser Art des Emissions-Ausgleiches beteiligen. Denn der Beitrag wird entweder freiwillig gezahlt oder gar nicht. Aber geflogen wird trotzdem. Je weniger Geld reinkommt, desto weniger klimafreundliche Projekte können finanziert werden.

Nicht nur Atmosfair prangert die zu hohen Treibhausgase durch den Luftverkehr an. Auch der VCD warnt davor, dass bei weltweitem Wachstum des Flugverkehrs mögliche Klimaschutzerfolge in anderen Bereichen zu Nichte gemacht würden.

Die Luftverkehrsteuer für gewerbliche Passagierflüge, welche die Luftfahrtindustrie eine Milliarde Euro kostet, könne nur der erste Schritt hin zu einer umfassenden Besteuerung sein. Auch die viel diskutierte Kerosinsteuer könnte einen Anreiz setzen, auf klimafreundlichere Verkehrsmittel umzusteigen.

Abgas-Privilegien auf hoher See

Die Umweltbilanz von Kreuzfahrtschiffen sieht kaum besser aus. Ein AIDA-Kreuzer verbraucht drei Liter pro Person auf 100 Kilometer. So verbraucht ein Schiff, das rund 4.000 Passagiere aufnimmt, etwa 12.000 Liter Schweröl, für 100 Kilometer. Das schwefelhaltige Schweröl wird auf offener See verbrannt.

Zwar soll der Grenzwert für Schwefel ab 2020 weltweit von 3,5 auf 0,5 Prozent gesenkt werden, damit liegt er aber immer noch 500 Mal höher als auf den Straßen in den EU-Ländern, auf denen nur 0,001 Prozent erlaubt sind. Inzwischen wird Flüssiggas (LNG) als künftiger Treibstoff diskutiert. Allerdings kann hier klimaschädliches Methan entweichen.

Ungeachtet aller Umweltprobleme hält der Boom in der Kreuzschifffahrt an: Weltweit sind geschätzte 24 Millionen Passagiere unterwegs, darunter 6,6 Millionen Europäer jährlich. Geplant ist der Bau von 75 neuen Schiffen.

Es gibt aber auch umweltfreundliche Schiffe - wie das sonnen- und Wind betriebene Eco-Ship, ein geplantes Projekt der japanischen NGO Peace Boat. Bis dieses Schiff zum Standard wird, werden wohl noch etliche Rußwolken die Atmosphäre verschmutzen.

Mehr öffentliche Verkehrsmittel nutzen

Wer möglichst wenig CO2 ausstoßen will, sollte wo immer es geht auf Bus oder Bahn zurückgreifen. Denn: Je mehr Menschen öffentliche Verkehrsmittel nutzen, desto besser sind diese ausgelastet und umso weniger Autos verstopfen die Straßen. Leider lässt in manchen Regionen der finanzielle Anreiz im öffentlichen Nahverkehr stark zu wünschen übrig. So bleibt für viele Menschen das Auto Verkehrsmittel Nummer Eins.

Egal wie gut oder schlecht Flugzeuge, Schiffe und Autos ausgelastet sind, Schadstoffe werden auf jeden Fall emittiert. Nimmt der Verkehr weltweit zu, einschließlich der Abgase aus Industrie und Landwirtschaft, werden die Emissionen insgesamt global steigen.

Deutschland liegt mit durchschnittlich 11 Tonnen Treibhausgasen pro Kopf und Jahr weit über dem weltweiten Durchschnitt, der mit 6,8 Tonnen angegeben wird. Die individuelle CO2-Bilanz, bestehend aus Ernährung, Konsum, Heizung und Mobilität, kann sich übrigens jeder selbst ausrechnen - und dabei eigene Einsparungspotenziale herausfinden.

Noch ein Wort zur Unfallstatistik: Ende Februar wurde gejubelt, das im letzten Jahr nur 3214 Menschen ums Leben kamen, 245 weniger als im Vorjahr. So wenige? Man könnte auch sagen: Schon wieder wurden mehr als 3.200 Menschen dem Verkehrswahnsinn geopfert. Denn 2016 war gleichzeitig dasjenige mit den meisten Unfällen seit der Wiedervereinigung. Auch im laufenden Jahr werden Menschen auf den Straßen sterben. Eine Gesellschaft, die sich im Geschwindigkeitsrausch stets selber überholt, wird diesen Preis zahlen müssen. Daran haben wir uns gewöhnt. Und das sollte uns zu denken geben.

Ergänzende Hinweise:

Daten zu Luftqualität und Umweltbelastung: Umweltbundesamt

Greenpeace-Studien:
Rollenwechsel - Konzept für eine neue Mobilität in den Städten (2016)

Erneuerbare Mobiltät (2016)