Die 5.Internationale Konferenz über Cyberspace

Seite 2: Cyberconf Teil 2 - Detailbesprechungen

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Das ausführliche Konferenzprogramm in allen Details wiederzugeben, kann nicht die Absicht dieses Textes sein. Deshalb wurde darauf verzichtet, schwächere Beiträge zu kritisieren, anderes ist aus rein zeitlichen Gründen durch den Rost gefallen. D.h. was im folgenden enthalten ist oder nicht, entspricht keinem durchgängigen Wertesystem. Dennoch hoffe ich, daß damit eine Übersicht auf die wichtigsten Themen hergestellt werden konnte. Die Reihenfolge entspricht dem zeitlichen Ablauf der Vorträge.

Timothy Druckrey

erläuterte die eigentliche Bedeutung des so gerne verwendeten Begriffes "cyber" als aus dem Kontext der militärischen Forschung zur Zeit des Kalten Krieges geborene Metapher. Davon ausgehend erklärte er die verschiedenen Varianten eines auf Kontrolle und Kommunikation fußenden konnektionistischen Weltbildes und verdeutlichte, daß sich dieses Weltbild seit den vierziger Jahren auf verschiedensten Ebenen verbreiten konnte, bis es heute zu einer Art unbewußten aber stehenden Topos in unserem Denken wurde. Da der Wissenschaft gegenüber allen anderen Gebieten geistiger Tätigkeit der höchste Grad an Objektivität und Gültigkeit zugestanden wird, hat sich eine starke Feedback-Wirkung auf die Kultur ergeben. Druckrey kritisierte, daß die Cybermetaphorik heute unkritisch in Form werbender "Soundbytes" übernommen wird, des militanten Hintergrunds völlig entkleidet, der damit aber um nichts weniger gültig sei. Die delirierend assoziative Gedankenfülle der Druckreyschen Ausdrucksweise machte es bisweilen etwas schwierig, seinem Vortrag zu folgen.

TimŽs Homepage

Jose A.Bragance de Miranda

schloß inhaltlich und in der Abfolge der Vorträge an Timothy Druckrey an, indem er aus der Perspektive der "Cultural Studies" die Kontrollfunktion von Technik betonte. Er zeigte, inwiefern Telekommunikationstechniken den Menschen nach einem utilitaristischen und rationalistischen Prinzip der Kontrolle unterwerfen. Während es ihm sehr gut gelang, den technikimmanenten Trend zur Kontrolle herauszuarbeiten, geriet er bei der Beschreibung dessen, was vor den Auswirkungen der Technik zu beschützen sei, in Gefahr, ein Menschenbild zu entwerfen, das auf essentialistischen Kriterien beruht. Doch ein ewig gültiges "Humanes" als solches gibt es nicht.

Erik Hobijn u. Andreas Broeckmann

unterbreiteten mit ihrer Präsentation "Technoparasites" praktische und theoretische Vorschläge, durch Parasiten technologische Systeme wie z.B. Straßenlaternen, Autos oder das Internet zu unterwandern und teilweise zu zerstören. Polemisch und ironisch machten von Erik Hobijn konzipierte Maschinen deutlich, daß sehr einfache, ja primitive und leicht herzustellende Technoparasiten wesentlich hochwertigere Systeme zerstören können. A. Broeckmann lieferte den theoretischen Überbau zu diesen Vietkong-Strategien gegen den rationalistischen Perfektionismus westlicher High-Tech Fantasmen. Der Fehler, der Bruch, der Virus, die zerstörerische Intervention wurden als die Elemente beschrieben, die zum einen immer eine Form des "Unbewußten" der Maschinen darstellen, und zum anderen notwendige Bestandteile technischer Systeme sind. Erst durch das Sichtbarmachen dieses Unbewußten der Maschinen wird ihre eindimensionale Vektorialität abgebogen, erst durch Viren wird das Internet im vollumfänglichen Sinn zum Lebensraum. Gerade indem man sich dem vermeintlich Fehlerhaften zuwendet, kann eine humane Trendwende im Verhältnis zu den Maschinen eingeleitet werden. Diesen Grundgedanken schien aber gerade das amerikanische Publikum nicht mitmachen zu wollen, und bezeichnete Hobijn/Boeckmann als terroristische Elemente, die humanitäre Absicht des Aufrufs zum Technoparasitentum verkennend.

Allucquere Rosanna Stone

begnügte sich in ihrer "Keynote Speech" in einem ersten Teil damit, die Geschichte der vorangegangenen Cyberconfs mit witzigen Anekdoten auszugestalten. Im zweiten, inhaltlichen Teil, startete sie zu einem kurzen Überflug von Netzthemen. Ihrer Selbstbeschreibung als "Performance-Künstlerin verkleidet als Theoretikerin" folgend, steigerte sie sich zunehmend in ein poetisches Verwirrspiel von Metaphern, hob und senkte ihre Stimme und begleitete dies mit einer suggestiven Gestik, mit dem Ergebnis, daß der gesamte Saal ihre Performance zwar hypnotisch gebannt verfolgte, es aber recht schwer herauszufiltern war, was sie eigentlich sagen wollte. Doch vielleicht steht es ihr in der Rolle der Cyberconf-Initiatorin auch zu, einige rhetorische Perlen auszustreuen und ansonsten das gemütlich-vereinende Element zu betonen. Ihre essentiellen Beiträge zur Theoriebildung sind in ihren Büchern und vielen im Netz liegenden Papers nachzulesen.

Sandy StoneŽs Homepage

Jerry Aline Flieger

kommt eigentlich aus der Literaturtheorie und warf die Frage auf, ob Oedipus nun auch Online gegangen ist. Mit anderen Worten, wie steht es um die Relevanz von Freud im Cyberspace? Flieger widmete sich der Beschreibung der Repräsentation von Subjekten im Netz und griff dabei auf einen reichen Zitatschatz, von Descartes bis Slavoj Zizek zurück. Sie behandelte das Netz als "Erzählung" und Paranoia als deren Grundgefühl. Die Frage ist, ob uns ein derartiger literaturtheoretischer und von wenig praktischer Netzkenntnis geprägter Ansatz wirklich etwas zu sagen hat. Flieger wurde immer dann signifikant, wenn sie näher auf die Elemente der Cyberparanoia einging, auf die Angst vor dem unsichtbaren Anderen, das unsere Spuren technologisch registriert und archiviert, das uns überwacht und verfolgt inklusive aller Träume und Fantasmen wie eine zum Spiegel gewordene Lupe.

Geert Lovink, Pit Schultz, Diana McCarthy u.v.a.m.

schufen gemeinsam das Textmaterial, das über die Mailing List Nettime gesammelt wurde und zur cyberconf in Form eines fotokopierten Readers vorgelegt wurde (ZKP II). Da auf die Barlow-Diskussion in der Zusammenfassung bereits eingegangen wurde, sei dieser (inzwischen etwas überstrapazierte) Teil dahingestellt. Pit Schultz sprach über "Publishing on Demand" und definierte den ZKP Reader als eine Art Arbeitspapier, das zwar nur in sehr kleiner Auflage hergestellt wird, aber durch die Verteilung an Multiplikatoren dennoch größere Aufmerksamkeit erlangt. Er betonte die Notwendigkeit von der Eingleisigkeit der Diskussion um Zensur wegzukommen und andere Themen aufzuwerfen, wie z.B. in Bibliotheken gelagertes Wissen über Netze allgemein zugänglich zu machen. Geert Lovink schloß mit einer sehr polemischen Attacke gegen konservative Intellektuelle, die das Netz kritisieren, ohne es zu kennen. "Kann ich eine Filmkritik schreiben, wenn ich den Film nicht gesehen habe", fragte Geert und wollte damit wohl demonstrieren, daß die Kritik von Nettime von innerhalb des Netzes kommt, nicht prinzipiell gegen das Netz gerichtet ist, sondern gegen bestimmte überhand nehmende Formen des Gebrauchs, aber auch gegen besagte konservative Tendenzen unter Akademikern und Feuilletonisten.

Heidi Gilpin

widmete sich den Repräsentationen des Körperlichen im Cyberspace, sich auf Quellen aus der Medizin und der Tanz- und Theaterszene beziehend. Ihr ging es um die Unterschiede zwischen wirklichen Körpern und der Wiederholung oder Fortsetzung ihrer Handlungen in entkörperlichten Räumen. Es gelang ihr aufzuzeigen, daß die Eigenwahrnehmung (Proprioception) des Körpers im Cyberspace nicht realisierbar ist und daß das Konzept der Repräsentation von Raum und Körpern im Cyberspace damit von vorneherein zum Scheitern verurteilt ist. Der Cyberspace als Totentanz entkörperlichter Seelen, welche die Gesten endlos wiederholen, die Sie im Realraum kulturell erlernt haben. Diese an sich interessante These wurde durch eine Überfülle an Zitaten, von Oliver Sacks über Deleuze bis hin zu Pina Bausch, leider etwas schwer verdaulich dargeboten.

William R. Macauley

eröffnete endlich eine andere Art der Auseinandersetzung mit dem Thema Körper und Cyberspace. Die verschiedenen Formen der Verkörperlichung in virtuellen Welten werden, so Macauley, in den dominanten Technodiskursen gerne als "natürlich" dargestellt. Unter Zuhilfenahme von Materialien aus den Massenmedien (Film, Mode, TV-Werbung) und spezialisierten Erotika-Medien(Gummi/Plastik/Lycra/ Fetisch-Magazine und Websites) zeigte er, wie eng verwandt die "Cyberfashion" mit den Ausdrücken polymorph-erotischen Begehrens in Form genannter Erotika-Fetisch-Mode ist. In der Folge zeigte er den Unterschied zwischen der meßbaren Wirklichkeit des Cyberspace und der Vielfalt der menschlichen Körpereigenwahrnemung auf - z.B. das Zerfließen der Körperwahrnehmung in der Einschlafphase, oder die Wahrnehmung von inneren Körperfunktionen. Dem gegenüber erweist sich die kalibrierte Sinnlichkeit innerhalb von VR-Systemen als ärmlich. Das Projekt "Virtual Reality" wurde als Sublimierung polymorph-perverser Wünsche entlarvt. Seine These war insofern derjenigen von Heidi Gilpin verwandt, durch die breite Zuhilfenahme von Materialien aus der Feldforschung jedoch anschaulicher aufbereitet und damit verständlicher.

Knowbotic Research

erläuterten die Konzepte, die hinter ihren künstlerischen Projekten stehen. Sie wollen eine Alternative zu den von der Industrie angebotenen Schnittstellen bieten und mit künstlerischen Mitteln die wissenschaftlichen Konzepte der Konstruktion des Naturbegriffs hinterfragen. Um das zu ermöglichen, ist es nötig, die Repräsentation von Körpern und natürlichen (dreidimensionalen) Räumen im Cyberspace zu vermeiden. Deshalb setzt Knowbotic auf fließende, vernetzte Prozesse und stellt die Mittel bereit, um User in diese Prozeße dialogisch zu integrieren. Die theoretische Eloquenz der Knowbotic Konzepte konnte zwar überzeugen, bezogen auf die praktischen Arbeiten tauchten aber dennoch wieder einige Fragen auf. So ist die Schnittstelle für die User trotz der Ablehnung eines Körperdiskurses wiederum körperbezogene Technik, typisches VR-Gear (Cyberbrille für ein Auge, Sensorhelm, Datenhandschuh). Das postulierte dialogische Element mit den Knowbots - den digitalen Wissensrepräsentanten - ist nur sehr eingeschränkt erfahrbar und vor allem nicht in Echtzeit möglich. Sympathischerweise wurden diese Mängel von den Knowbotic-Vertretern auch zugegeben und so kann der Ansatz von Knowbotic insbesondere in Richtung verbesserter Schnittstellen zwischen Menschen und Datenströmen in der Zukunft noch zu interessanten Ergebnissen führen. Ein neues Projekt wird bei DEAF 96 in Rotterdam vorgestellt.

Knowbotics Mem_Brane Project

Ravi Sundaram

sprach über Internet in Indien. Um den westlichen Zuhörern die Situation verständlich zu machen unternahm er einen Streifzug durch die indische Geschichte. Die postkoloniale Geschichte Indiens war gekoppelt mit dem Glauben an "Entwicklung", an die Notwendigkeit, den Anschluß an die westlichen Industrienationen zu finden. Symbole jener Zeit waren der Staudamm zur Energieerzeugung und die Eisenbahn. Die "indische Reise in die Zukunft", wie sie Sundaram beschrieb, ist zugleich eng gekoppelt mit der politischen Entwicklung. In den achtziger Jahren begann in Indien die Cyberrhetorik in den Medien, obwohl kaum ein Inder je einen Computer gesehen hatte. In der Zwischenzeit gibt es regelrechte High-Tech Zentren, so z.B. in Bangalore. Mit der Propagierung des Informationszeitalters begann eine Enthierarchisierung der Gesellschaft, die Partei Gandhis, die Kongreßpartei, verlor an Macht, bis hin zur seit wenigen Wochen historisch neuartigen Situation, daß eine Partei der Unterschicht nun an der Macht ist. Die Reise Indiens ist nun an einer paradoxen Verzweigung angelangt, wo historische Autoritäten zwar abgebaut wurden, aber zugleich neue virtuelle Eliten entstehen.

Olu Oguibe

betonte das Weiterbestehen der Realität gegenüber den Versprechungen eines glücklichen, entkörperlichten Cyber-Zeitalters. Für den zahlenmäßig größeren Teil der Menschheit geht der tägliche Kampf ums Überleben und um so einfache Dinge wie Wasser und Brot. Computer machen da noch wenig Sinn, wo die überwiegende Mehrzahl noch nicht einmal Lesen und Schreiben kann. In einer poetisch gefärbten und wenig theoretisierenden, appelhaften Ansprache verwies er auf die enormen Diskrepanzen zwischen entwickelten Ländern und hoffnungslos unterentwickelten Gebieten, zeigte aber auch auf, daß es innerhald der USA Gebiete gibt, wo die Zahl der Telefonleitungen gering und Computer kaum vorhanden sind, wie in Ghettos, Barrios und ländlich-rückständigen Gebiete.

Olu Oguibes Homepage

Erik Davies

erlöste das Publikum von der rein verbalen Kommunikation, indem er den "Soundspace", bzw. "Space-Music" zum Cyberspace erklärte. Von der nichtliniearen Dynamik westafrikanischer Yoruba-Drums über jamaikanischen Dub bis hin zu Londoner Jungle und "Drum&Bass" präsentierte er einen Überblick über Musikformen, teilweise wie in einer Radiosendung zur Musik sprechend, die das metrische Maß durch komplexe Rhythmusmuster aufheben und so eine neue Rezeption von (bewegten) Körpern im Raum ermöglichen.

Antoni Muntadas

meldete sich in einer Konferenzschaltung aus der Olympiastadt Atlanta zu Wort. Claudia Ganetti wirkte als lokale Mediatorin. In einer streng aufgebauten Telekomposition warfen sie Fragen der Übersetzung/Übersetzbarkeit kultureller Codes und des Verhältnisses von Kunst, Massenmedien, Spektakel und Industrie auf.

Manuel de Landa

sprach über Wirtschaft. Er versuchte, einige grundlegende Denkfehler sowohl der Fürsprecher als auch der Kritiker des Kapitalismus aufzuzeigen. Im Prinzip ging es ihm darum, daß wir gar nicht, wie oft postuliert, in einer echten Marktwirtschaft leben, wo der Markt wirklich durch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage geregelt ist, weil sich Großunternehmen zu Oligopolen formen konnten, die den Markt diktieren. Ihre Verhaltensweise und Einfluß auf den Markt spiegelt die undynamische, hierarchische Firmenstruktur wider, eine Struktur der Kommandos und der willkürlichen Preisdiktate. In der Folge ließ er die heiße Luft aus den Theorien von "Wirtschaftsberatern" wie George Gilder, welche immer nur nach Deregulierung und Entstaatlichung schreien und damit die bestehenden Oligopole von Anti-Markt-Institutionen stützen. Dieser einfache Grundgedanke läßt sich hervorragend auch auf die Situation in Europa, insbesondere in Deutschland in Anwendung bringen. (DTAG, DB, usw.)

Perry Hoberman

zeigte einige praktische Beispiele für Kunst, die das technische Gebrechen zum humorvollen Ausgangspukt nimmt und ganz andere Formen der Interaktion mit technischen Systemen anbietet als VR, so z.B. adaptierte Versionen von Karaoke. Das unterstütze er durch gefakte Macintosh-Dialogboxen wie z.B: "Ihre Festplatte wird nun mit absolutem Unsinn neu beschrieben. Das kann eine Weile dauern..." - "Username: forgotten@amnesia.com, type in your password please". Diese humorvolle Auseinandersetzung zeigte, daß technologisch gestützte Kunst gerade jenseits von aufwendigem VR-Rendering gute Möglichkeiten zur Entfaltung hat.

Crash

ist eine Novelle von J.G.Ballard aus dem Jahr 1972. In diesem Buch geht es um die Beziehungen zwischen Sex, Tod und dem Auto als wichtigsten Fetisch der Industriegesellschaft. David Cronenberg hat dieses Buch verfilmt. Nach der Uraufführung in Cannes wurde der Film aber wieder aus dem Verkehr gezogen und Cronenberg ging nochmals in den Schnittraum. So konnte die angekündigte Aufführung des Films nicht stattfinden, nur ein zwanzigminütiger Trailer wurde gezeigt. Anhand dieser Ausschnitte läßt sich wenig sagen. Das Buch geizt nicht mit ausführlichen Beschreibungen der erotischen Obsessionen der Protagonisten. Das bestechende an Ballards Schreibkunst ist, daß selbst diese Inhalte, die in einem anderen Kontext als pornografisch aufgefaßt werden könnten, durch seine präzise analytische Sprache in einen quasi-objektiven Ideenraum gehoben werden und durch die Kombination der Schilderung von Vorstadtwüsten und automobiler Gewalt eine radikale - und somit antipornografische - Gesellschaftskritik formulieren. Die Herausforderung für Cronenberg ist, ob es ihm gelingt, die präzise Sprache Ballards in ebenso präzise Bilder umzusetzen, sodaß das filmische Unternehmen nicht auf die Ebene ästhetischer Soft-S/M Pornografie plus Autowahn abgleitet.