Die 5.Internationale Konferenz über Cyberspace

Teil I - Zusammenfassung

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Die fünfte internationale Konferenz über Cyberspace (cyberconf), von 6.-10.6.96 in Madrid abgehalten, war die erste cyberconf, die in Europa stattfand. Es schien, als hätte sich damit auch der inhaltliche Schwerpunkt verlagert, als würde die Cybereuphorie der Cybersickness weichen.

Die Cyberconf war 1990 von Sandy Stone und Michael Benedict initiiert worden, hatte sich zunächst auf die Verheißungen der Virtual Reality Simulationen konzentriert und vor allem nordamerikanische Künstler, Theoretiker, Entwickler und Hacker zusammengebracht. Mit dem Schritt nach Europa vollzog sich eine deutliche Verlagerung der personellen Zusammensetzung und des inhaltlichen Schwergewichts. Von VR im Sinne von pixelintensiven 3D-Landschaften, durch die man mittels 3D-Helm und Datenhandschuh navigiert, getraute sich kaum jemand mehr positiv zu sprechen. Doch auch das Internet, die neue Ersatzdroge, die uns angeblich hilft, über die politische Alltagsrealität hinwegzusehen und von einem Land zu träumen, wo Milch und Honig in reichen Strömen fließen, wurde bei der fünften Cyberconf mehr kritisch als positiv affirmativ diskutiert. So entstand in Madrid der Eindruck, daß bei der Konfrontation von Cybermentalitäten - reduktionistisch gesprochen zwischen europäisch-kritisch und amerikanisch-enthusiastisch - die kritische europäische Note die Oberhand gewann. Unverzichtbar war in diesem Zusammenhang die Präsenz von Vortragenden und Mitdiskutierern aus Mexiko, Indien und Nigeria, deren Beiträge eine pragmatische Perspektive in die ansonsten doch sehr akademischen Diskurse brachten. Wer in der sogenannten dritten Welt lebt und mit dem Internet arbeiten möchte, ist, so scheint es, ganz automatisch immun gegen Ideen vom Cyberspace als utopischer sechster Kontinent, in dem jeder automatisch frei und glücklich ist, wie uns die Cyberenthusiasten immer wieder weismachen wollen.

Immer wieder Barlow

Das Aufeinanderprallen verschiedener Haltungen fand denn auch seinen Höhepunkt in einer Diskussion mit John Perry Barlow, der erneut sein Cybermanifesto zur Disposition stellte. Obwohl die anwesenden Moderatoren der Nettime Mailinglist, deren Barlow-kritische Haltung bekannt ist, sich auffällig zurückhielten, und vor allem klar zu machen versuchten, daß es nicht um die Herabwürdigung der Person JPB geht, sondern um die Inhalte und Rhetorik seines Manifestos, gestaltete sich die Sitzung als Demontage der Barlow-Position. Die problematische Rhetorik stieß, so schien es, auch den Teilnehmern auf, die bislang noch nichts von der ganzen Auseinandersetzung gehört hatten und so formulierte sich sozusagen aus der grummelnden Stimme des anwesenden Cybervolkes heraus die Kritik an der Barlow-impliziten Annahme, das Internet sei ein homogener, nach amerikanischem Muster geprägter Kulturraum. Somit wurde klar, daß nicht automatisch alle, die mit Barlows Erklärung nicht einverstanden sind, "goofy leftists" seien, wie die Teilnehmer von Nettime kürzlich in einem Bulletinboard-Diskussionsstrang auf The Well genannt wurden. JPB wurde, zumindest auf dieser Konferenz, als Gründungsvater des Cyberspace abgewählt und seine Ideenkonfiguration wurde gleich mit in den Trashcan gestellt. Der in den USA lebende mexikanische Künstler Guillermo Gomez Pena hatte mit seiner Aussage, daß "Barlow sich verhält wie ein Kolonialherr, der eine Verfassung vorstellt und sich wundert, daß die Eingeborenen ihm nicht dankbar dafür sind" die Lacher auf seiner Seite und erhielt Standing Ovations. Eine umfassendere kritische Auseinandersetzung mit dem Cyberspace Manifesto hat in Telepolis mit Texten von Lovink/Schultz und J.Horvath bereits stattgefunden und es soll an dieser Stelle der falsche Eindruck vermieden werden, bei cyberconf hätte sich alles um JPB gedreht.

Cybersickness

Denn es zeigte sich allgemein, daß nach der Cybereuphorie nun zunehmend die "Cybersickness" - so eines der Konferenzthemen - Einzug hält. Die Dekonstruktion von Mythen und Metaphern des Cyberspace erfolgte aus einer konsensfähigen Besorgnis um die Beschaffenheit der realen Welt im Kontrast zum immer noch andauernden Werbetrommelfeuer der Mainstream-Medien für die rückhaltlose "Cyberisierung" der Welt. In diesem Zusammenhang wäre es angebracht, auch den Begriff Cyberspace bald mal ad acta zu legen. Schließlich handelt es sich bloß um eine literarische Metapher, die durch William Gibsons Roman "Neuromancer" Bekanntheit und Beliebtheit erlangte. Eine große Zahl von Interface-Designern und VRML-Konstrukteuren fühlt sich nun den Bildern von Pyramiden und geometrischen Blöcken verpflichtet, welche Gibson in seiner literarischen Beschreibung der Erlebnisse seiner Cyberjockey-Antihelden im Cyberspace 1984 erwähnte. Ist es nicht fast lächerlich oder traurig, daß ein Begriff, der aus einer literarischen Anti-Utopie stammt, in wissenschaftlichen und technologischen, aber auch künstlerischen Kreisen eine derartige affirmative Aufnahme findet? "Und es würde ja auch niemand vom "telefonspace" sprechen, nur weil man übers Telephon kommuniziert", so Pit Schultz im Kontext der Barlow Diskussion.

Nichtlineare Verallgemeinerungen

Während sich diese Ebene der Kritik wie gesagt als mehrheitsfähig erwies, konnte eine andere Form von Rhetorik noch relativ unbemerkt Einzug in die Diskussionen finden. Die Rede ist vom neuen Paradigma in den Computerwissenschaften, von den Agenten- und Alife-Systemen und der zugrundeliegenden Begrifflichkeit systemtheoretisch untermauerter Bottom Up Startegien. Die trendige Versuchung, in einer Verbindung von Computerwissenschaften, Biologie, Wirtschaftstheorie und Chaostheorie das Heil zu suchen und alles, aber auch wirklich alles in dieser neuen Terminologie zu erklären, hatte so manchen Vortragstext infiziert, blieb aber weithin unbemerkt und somit auch undiskutiert. Es war zwar kein Stichwortzähler installiert, doch pinkfarbene Wortballons wie "emergente Eigenschaften komplexer Systeme" oder "dies zeigt ein erstaunliches Maß an nichtlinearer Dynamik" tauchten an den verschiedensten Ecken und Enden auf. So interessant Bottom Up Strategien und Alife-Simulationen auch sein mögen, so besteht doch gerade in der unkritischen Annahme dieser Begrifflichkeit und ihrer Übertragung in die kulturelle und soziale Sphäre die Gefahr, daß ein neuer hegemonialer und amerikanisch-technikgläubiger Diskurs entsteht, der noch dazu oft sozialdarwinistische Regelsätze implementiert hat, ohne daß dies seinen Diskursführern überhaupt bewußt wäre. Die fussligen Ränder der Komplexitätstheorien sichtbar zu machen, wird also das Werk späterer Cyberconfs sein müssen.

Insgesamt war die fünfte Cyberconf von Raffaelo Lozano-Hemmer und Susie Ramsey nahezu perfekt organisiert und moderiert worden und im Konferenzsaal des Hauptsponsors und Gastgebers, der spanischen (Monopol)Telefongesellschaft Telefonica konnte sich eine internationale intellektuelle Elite gut klimatisiert einem hochstehenden und kollegialen Ideenaustausch widmen. Merkwürdig erschien jedoch, daß ausgerechnet die Telefonica danach trachtete, sich mit dieser Konferenzperle zu schmücken und daß die gesamte Veranstaltung so organisiert war, daß sie quasi unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfand. So war es zwar sehr schön, eine Menge an kritischen Geistern versammelt zu sehen, doch mutete das seltsam an in einem Land, in dem die staatliche Telefongesellschaft der einzige nennenswerte Internet-Provider ist, und in dem nichtkommerzielle Webserver oder Veranstaltungen zu zeitgenössischer Medienkunst rar sind.

So bot die Vorstellung des Projektes Connexiones von Majte Cajaraville, ehemalige Stipendiatin am Frankfurter Institut für Neue Medien, eine willkommene Abwechslung, das Zentrum von Madrid in Richtung Vorstadt zu verlassen. In einer zum Filmtheater umgebauten Garage wurde im Rahmen einer Party "Connexiones" präsentiert, ein Web-Projekt, das auf Grund der beschriebenen schwierigen Situation eine vorübergehende Heimstatt am (deutschen) Server der International City Foundation gefunden hat.