EU in Aufruhr: Deutschlands neue Grenzpolitik spaltet Nachbarländer

Deutschlands neue Grenzkontrollen sorgen für Zündstoff. EU-Nachbarn reagieren gespalten. Was bedeutet das für die Zukunft des Schengen-Raums?

Die "innenpolitische Zeitenwende" nach dem Anschlag von Solingen nimmt immer mehr Gestalt an: Am vergangenen Donnerstag debattierte der Bundestag über das sogenannte Sicherheitspaket, mit dem die Bundesregierung am 9. September auf den Anschlag in der nordrhein-westfälischen Stadt reagiert hatte. Teile des Pakets müssen noch vom Bundesrat gebilligt werden.

Das Sicherheitspaket basiert auf drei wesentlichen Maßnahmen: die Kürzung von Sozialleistungen für ausreisepflichtige Asylsuchende, erweiterte Befugnisse der Sicherheitsbehörden im Kampf gegen den radikalen Islamismus und eine Verschärfung des Waffenrechts, insbesondere in Bezug auf Messer.

Zu den "erweiterten Befugnissen" gehört auch der Einsatz biometrischer Überwachungsmethoden durch Polizei und Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Das Watchblog netzpolitik.org fasste die Reaktionen verschiedener NGOs darauf als Sorge vor einem "radikalen Grundrechtsabbau" zusammen. Zuvor hatte das Portal bereits angesichts der jüngsten SPD-Klausurtagung vor entsprechenden Schritten gewarnt (Telepolis berichtete).

Nicht Teil der Diskussion sind die umfassenden (Binnen-)Grenzkontrollen, deren Umsetzung Innenministerin Nancy Faeser (SPD) für den 16. September angekündigt hat.

Dafür wird im Ausland umso heftiger darüber diskutiert.

Die Aufkündigung von Schengen?

Die geplanten Maßnahmen zur Grenzkontrolle erinnern an die restriktive Migrationspolitik Dänemarks und Schwedens, die von verschiedenen Kommentatoren als "rechtswidrig" oder als Aufkündigung des Schengener Abkommens der Europäischen Union bewertet wird. Denn dieses sieht vor, dass Grenzkontrollen nicht länger als sechs Monate und "nur in Ausnahmefällen und als letztes Mittel" angewendet werden sollen.

Die strengen Kontrollen und Zurückweisungen der skandinavischen Länder, die sich dabei auf die nationale Sicherheit berufen, hatten in diesem Zusammenhang bereits zu Spannungen innerhalb der EU geführt. Der deutsche Vorstoß geht in eine ähnliche Richtung – und droht, diese Spannungen zu verschärfen.

Wohl auch deshalb hat sich die Innenministerin in einem Brief an die EU-Kommission für die neuen Restriktionen zu rechtfertigen versucht. Die in letzter Zeit vermehrt berichteten Vorfälle von Messer- und Gewaltkriminalität durch Geflüchtete hätten "zu einer massiven Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls und des inneren Friedens geführt", heißt es in dem Schreiben.

Zudem seien die Ressourcen von Bund und Ländern für die Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen "nahezu erschöpft" und stießen "an die Grenzen des Leistbaren". Eine "Überforderung der (Solidar-)Gemeinschaft" müsse vermieden werden. "Kein Staat der Welt kann unbegrenzt Geflüchtete aufnehmen", so Faeser weiter. Dem beklagten Missstand könne nur durch eine "massive Ausweitung der Zurückweisungen" und eine Reform des "zunehmend dysfunktionalen" Dublin-Systems begegnet werden.

Schweden als Vorbild

Polens Ministerpräsident Donald Tusk kritisierte die Grenzkontrollen scharf und bezeichnete die Maßnahmen als "inakzeptabel". Deutschland wälze damit die Verantwortung für seine "innenpolitische Situation" in unzulässiger Weise auf die Nachbarstaaten ab.

Tusk forderte stattdessen ein stärkeres Engagement bei der Überwachung und Sicherung der EU-Außengrenzen, insbesondere zu Belarus, der Ukraine und der russischen Enklave Kaliningrad. Er kündigte Konsultationen mit anderen betroffenen Staaten an, um ein gemeinsames Vorgehen zu besprechen.

Österreich nimmt keine Migranten auf

Der österreichische Innenminister Gerhard Karner erklärte hingegen, dass Österreich keine Migranten zurücknehmen werde, die von den deutschen Behörden zurückgewiesen wurden. Er zeigte sich aber erfreut, dass Deutschland endlich das aus seiner Sicht große Problem der illegalen Migration in Europa angehe.

Wie die schwedische Tageszeitung Svenska Dagbladet (SvD) berichtet, empfängt Österreich selbst in der kommenden Woche den schwedischen Premierminister Ulf Kristersson und Migrationsminister Johan Forssell, um von ihnen mehr über die "inspirierenden" Maßnahmen zur Reduzierung der Migration nach Schweden zu erfahren.

Schweden als Beispiel

"Wir haben die erfolgreichen Veränderungen der schwedischen Migrationspolitik in den vergangenen Jahren aufmerksam verfolgt und sind sehr an Ihren Erfahrungen und der Reformagenda Ihrer Regierung interessiert", zitiert SvD den österreichischen Bundeskanzler Karl Nehammer von der konservativen ÖVP.

Der besagte Migrationsminister Schwedens, Johan Forssell, verkündete kürzlich einen "Paradigmenwechsel", wonach die schwedische Regierung bei Abschiebungen stärker auf Anreizstrukturen setzen will. Ab 2026 sollen Migranten mit bis zu 350.000 Kronen (ca. 30.700 Euro) zur freiwilligen Rückkehr in ihr Heimatland bewegt werden.