Selenskyj vs. Gazprom: Showdown um Europas Gasversorgung
Countdown: Am Mittwoch endet der Gastransit-Vertrag zwischen Russland und der Ukraine. Große Sorge in EU. Droht Teilen Europas nun ein kalter Winter?
Ein langjähriger Vertrag über den Transit von russischem Gas durch die Ukraine nach Europa läuft am 31. Dezember aus. Vor diesem Hintergrund ist die Stimmung in der EU zunehmend gespannt: Vor allem die Slowakei erhöht den Druck, damit die Gaslieferungen fortgesetzt werden, berichtet die US-Nachrichtenagentur Bloomberg. Die Slowakei und andere südosteuropäische Staaten sind in hohem Maße von den Lieferungen aus Russland anhängig. Beistand aus den USA gibt es indes für Kiew.
Laut dem Bericht von Bloomberg steht die Zukunft des Gastransits durch die Ukraine an einem Scheideweg. Ohne eine Einigung in letzter Minute könnten ab Mittwoch Milliarden Kubikmeter an Gasströmen zum Erliegen kommen. Die Ukraine steht unter wachsendem Druck des slowakischen Premierministers Robert Fico und einer Gruppe mitteleuropäischer Unternehmen, den Gasfluss von der östlichen Grenze zur EU nach Auslaufen des Transitabkommens am 31. Dezember aufrechtzuerhalten.
Auch fast drei Jahre nach Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine sind Budapest und Bratislava noch immer auf günstiges Gas von Gazprom angewiesen. Dies untergrabe die Bemühungen der EU, die Abhängigkeit von russischer Energie zu verringern, so Bloomberg.
Laut Diplomaten, die mit den Verhandlungen vertraut sind, kommt die Eskalation kurz vor Fristende nicht überraschend. Schon frühere Streitigkeiten über den Gastransit zwischen den ehemaligen Partnern führten zu Lieferstopps oder -einschränkungen. Oft wurden Vereinbarungen erst in letzter Minute erzielt.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat wiederholt erklärt, dass er nach Auslaufen des aktuellen Vertrags keinen Transit von russischem Gas, von dem der Kreml profitiert, durch die Ukraine zulassen werde. Er sei offen für den Transport von Gas aus anderen Ländern als Russland – eine Option, die laut Insidern nicht ganz vom Tisch ist.
Gasnetz von Angriffen verschont
Selenskyj muss auch den Schutz des 38.600 Kilometer langen ukrainischen Pipelinenetzes berücksichtigen. Es blieb in den letzten drei Jahren von Angriffen verschont, während russisches Gas hindurchfloss. Ein Stopp könnte das Netz zur Zielscheibe machen, wie es Gasspeicher und Stromversorgung bereits sind.
Für Putin und Fico wäre es am profitabelsten, wenn europäische Abnehmer weiterhin direkt bei Gazprom kaufen. Russland bliebe dann ohne Gewinnaufteilung im EU-Markt und die Slowakei würde sich zusätzliche Transitkosten sparen, heißt es aus Verhandlungskreisen. Das ukrainische Außenministerium erklärte am Freitag, die Gespräche dauerten an und ein Deal in letzter Minute sei nicht auszuschließen.
Vor dem Krieg half die EU-Kommission, Transitvereinbarungen zwischen Kiew und Moskau zu vermitteln. Jetzt, wo die EU alternative Energiequellen erschließen und erneuerbare Energien ausbauen will, hält sich Brüssel aus den Verhandlungen heraus. Stattdessen betont die Kommission, dass Alternativen verfügbar und die Gasspeicher gut gefüllt seien.
Sollte der Gastransit durch die Ukraine enden, werde dies laut EU-Kommission nur "vernachlässigbare" Auswirkungen auf die europäischen Gaspreise haben. Die Märkte hätten das Ende des Transitabkommens bereits eingepreist, hieß es. Dennoch sind die Energiekosten derart hoch, um Haushalte und Wirtschaft belasten. Die europäischen Gaspreise stiegen 2022 um 48 Prozent – auch wegen der erwarteten Lieferstopps und rapide sinkender Gasreserven durch Kälte und sogenannte Dunkelflauten.
Kein Abkommen zwischen Kiew und Moskau
Das Fehlen eines zwischenstaatlichen Abkommens zwischen Russland und der Ukraine erschwert zwar einen kommerziellen Deal europäischer Firmen, schließt ihn aber nicht aus. Slowakische und ungarische Gasversorger sowie Industrieverbände aus Österreich und Italien drängen Selenskyj, den Transit von jährlich 15 Milliarden Kubikmetern fortzusetzen.
Premierminister Fico drohte am Freitag in einem Facebook-Video mit einem Stopp der Stromlieferungen an die Ukraine, die das Land während Netzausfällen benötigt. Ein Ende des russischen Gastransits würde die EU in den nächsten zwei Jahren zusätzliche 120 Milliarden Euro an Energiekosten kosten, so Fico.
Debatte um Gas-Tauschgeschäft
Angesichts der näher rückenden Frist werden alternative Lösungen erwogen, wie Gaslieferungen aus Aserbaidschan und Russland über Tauschgeschäfte. Auch eine Verlegung des Gasverkaufs direkt an die russisch-ukrainische Grenze steht im Raum.
Die hohen Energiekosten und brüchigen Gaslieferungen zum Jahreswechsel werden die Beziehungen in Europa auf eine harte Probe stellen, warnen Experten. Eine Einigung zwischen der Ukraine, Russland und der EU in letzter Minute ist weiterhin möglich - aber die Zeit drängt.
Die Ukraine hat indes ihre erste Lieferung von Flüssiggas (LNG) aus den USA erhalten, da sich das kriegsgebeutelte Land den breiteren europäischen Bemühungen anschließt, sich angesichts der Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus vollständig von russischen fossilen Brennstoffen zu lösen, so die US-Tageszeitung New York Times.
Das größte private Energieunternehmen des Landes, DTEK, erhielt die Lieferung über das Mittelmeer, wobei ein Schiff am Freitag an einem griechischen LNG-Terminal ankam.
Maxim Timschenko, Geschäftsführer von DTEK, erklärte, dass solche Lieferungen der Region nicht nur eine flexible und sichere Energiequelle bieten, sondern auch den Einfluss Russlands auf das Energiesystem weiter schwächen.
Europa bezieht etwa 40 Prozent seiner LNG-Importe aus den USA, aber die Ukraine hat bisher noch nie direkt welche gekauft. Die Lieferung erfolgt nur wenige Tage vor dem Auslaufen eines Fünfjahresvertrags, der den Transit von russischem Pipeline-Gas durch die Ukraine erlaubt, und wenige Wochen vor Trumps Amtseinführung als US-Präsident.