Die Abgehobenen: Wenn Welt-Chefredakteur Poschardt vom "Elfenbeinturm" spricht

Autos brauchen eine Seele. Lebt im Elfenbeinturm, wer das nicht versteht? Foto: Zoerides / CC-BY-SA-4.0

Das Vermögen ist laut hochbezahlten Medienschaffenden nicht entscheidend: Abgehoben sind Umweltbewusste und Feministinnen. Bodenständig sind Autofahrer und Fleischesser.

Der "Gegenentwurf" zur "politisch-medialen Elite" ist im Bierzelt zu Hause, meint Ulf Poschardt, dessen Credo neuerdings "Friede den Hütten, Krieg dem Elfenbeinturm" heißt. Die Axel-Springer-Verlagsgruppe, für die Poschardt als Chefredakteur der Welt tätig ist, zählt demnach nicht zur medialen Elite.

In den Bierzelten auf dem Münchner Oktoberfest kostet eine Maß Bier mittlerweile zwischen 12,60 Euro und 14,90 Euro – die wirklich armen Schlucker sind damit außen vor. Vorsichtshalber nennt Poschardt auch lieber das niederbayerische Bierzelt als Beispiel, aber kulturkämpferisch gehört beides zusammen. Und nur um einen Kulturkampf geht es hier. Wer im Elfenbeiturm lebt, ist nach Meinung der Springer-Presse im Zweifel keine Frage von tatsächlichen Macht- und Eigentumsverhältnissen.

Milliarden-Umsätze: kein Merkmal der "medialen Elite"?

Sonst wäre es ja auch bezeichnend, dass die Axel Springer SE keineswegs zu den kleinen Alternativmedien zählt, sondern im letzten Jahr 3,9 Milliarden Euro umgesetzt hat und zu den wichtigsten meinungsbildenden Akteuren in Deutschland gehört.

Was ihre leitenden Angestellten zu stören scheint, ist eher, dass sie da nicht der einzige Akteur sind. In einem Kulturkampf, der Macht- und Eigentumsfragen weitgehend verschleiert, inszenieren sie sich als Underdogs. Dabei gilt "Friede den Hütten" im Zweifel nur für Eigenheime – den Berliner Mietendeckel hat die Springersche Boulevard-Zeitung Bild als "Sozialismus" verteufelt, der zu recht gescheitert sei.

Dass auch "linksgrüne" Ideen – oder was sie dafür halten – in der deutschen Medienlandschaft Platz haben, stört Leitartikelschreiber wie Poschardt, denen die Autoindustrie nicht dominant genug auftreten kann.

Zur Gegenbewegung, die sich der "linksgrünen" Elite widersetzt, zählt nach ihrer Lesart auch der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger. Dass Ministerpräsident Markus Söder (CSU) Aiwanger nicht fallen ließ, nur weil die stramm rechte Gesinnung seiner Jugendzeit und sein Widerwille gegen eine ernsthafte Aufarbeitung tagelang Thema in den Medien waren, wird ebenfalls zum Akt des Widerstands gegen den "Elfenbeinturm".

Bayerische Spitzenpolitiker und die Springer-Presse gegen "die da oben" – das wirft Fragen auf: Was sind dann außerparlamentarische Linke und kleinere Medien, die um ihre Existenz kämpfen? Wenn sie nicht einfach arme Loser sind, die gar nicht mehr zählen, dann leben sie wohl im Elfenbeinturm.

Grundsätzlich leben dort scheinbar keine Auto-Fans, niemand, der viel Fleisch isst und keine Antifeministen – egal, wie viel Geld sie verdienen und wie weit ihr Lebensstandard von den Sorgen der unteren Einkommensgruppen entfernt ist. Poschardt selbst kann im Gegensatz zu vielen seiner Leser von Sportwagen nicht nur träumen.

"Bürgerliche Parteien" hui – "Bürgerkinder" pfui?

Im Elfenturm lebt nicht, wer Statussymbole des fossilen Kapitalismus besitzt – und auch nicht, wer davon träumt, selbst wenn sie weit außerhalb seiner finanziellen Möglichkeiten liegen. "Bürgerkinder" dient bei Poschardt vor allem dann als Schimpfwort, wenn es um die tatsächliche oder vermeintliche Herkunft junger Menschen geht, die sich an Protesten der Umwelt- und Klimabewegung beteiligen. Als "klassisch bürgerliche Parteien" sieht er aber Union und FDP – und meint das offensichtlich eher positiv.

Abgehoben ist demnach nicht Finanzminister Christian Lindner mit FDP-Parteibuch, Porsche und Luxushochzeit auf Sylt, sondern es sind diejenigen, die sich um den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen sorgen. Wer tatsächlich die Interessen des Großbürgertums vertritt, ist gut. Abtrünnige "Bürgerkinder" sind pfui.

Als Anwalt der kleinen Leute darf sich nach dieser Lesart jeder aufspielen, der über Ökos und Feministinnen herzieht – auch über solche, die sich tatsächlich kein Auto leisten könnten, wenn sie eines wollten.

Das Auto als Lifestyle-Produkt: Bodenständigkeit pur?

Um Autos geht es ständig – aber wer daraus einen Kulturkampf macht, sind nicht diejenigen, die planetare Grenzen zur Kenntnis nehmen und deshalb weniger motorisierten Individualverkehr wollen. Es sind auch nicht diejenigen, denen die bundesdeutsche Verkehrspolitik den Verzicht auf ein Auto in ländlichen Gegenden schwer macht, weil es an Alternativen mangelt.

Es sind diejenigen, die das Auto als Lifestyle-Produkt verherrlichen. Innerhalb der medialen Elite ist Poschardt, der vor mehr als 20 Jahren ein Buch über Sportwagen schrieb und 2018 betonte, dass auch Autos eine "Seele" bräuchten, diesbezüglich führend. Über den Ferrari SUV Purosangue mit V12-Motor schrieb er einen Artikel, der die Grenze zwischen Journalismus und PR stilvoll verschwimmen lässt.

Allerdings scheint die Zielgruppe nicht ganz dieselbe zu sein, die mit der Anschaffung einer Wärmepumpe finanziell überfordert ist, denn dieses Kultobjekt auf vier Rädern kostet knapp 380.000 Euro.

Ein Autoboss gab vor Jahrzehnten zu, dass es zu viele Autos gibt

Der frühere BMW-Chef Eberhard von Kuenheim wird seit mehr als 40 Jahren mit dem berühmten Satz zitiert: "Es mag zwar zu viele Automobile auf der Welt geben, aber noch zu wenige BMWs." Der Bayernkurier schrieb 2016 zum 100. Geburtstag der Automarke: "Daran glaubt das Unternehmen noch heute."

Der gesunde Menschenverstand müsste hier eigentlich sagen, dass es einen Unterschied zwischen den Interessen der Autokonzerne und denen der Allgemeinheit gibt. Auch 2023 gelingt es aber wichtigen Akteuren der öffentlichen Meinungsmache, gerade diejenigen als abgehobene Traumtänzer zu framen, die diesen Unterschied benennen und angesichts der ökologischen Krise den Auto-Kapitalismus kritisch sehen.

Spitzen-Grüne sind versöhnlich gegenüber der Autoindustrie

Real sind das nicht in erster Linie die Grünen, die sich in der Ampel-Koalition vom kleineren Juniorpartner FDP verkehrspolitisch zum Bettvorleger machen lassen und schon bei den Koalitionsverhandlungen auf ein allgemeines Tempolimit verzichteten.

Die grüne Außenministerin Annalena Baerbock trat vor wenigen Wochen sogar bei der Automesse IAA in München auf, während Klimabewegte gegen die Veranstaltung protestierten und einige sogar in Präventivhaft saßen. Baerbock gab der Messe in bester Greenwashing-Manier ihren Segen und erklärte zur Wettbewerbslage:

Wie in allen Industrien stellt sich auch bei der Automobilindustrie die Frage, ob und wie wir in Zukunft global vorn mitspielen. Die Karten auf dem Automobilmarkt werden derzeit neu gemischt.

Das ist auch eine Chance, aus alten Fehlern zu lernen und Abhängigkeiten von einzelnen Märkten zu reduzieren und bei klimaneutraler Mobilität führend zu werden. Für unser Land, wo die Automobilindustrie einen großen Teil der Wertschöpfung ausmacht, ist das nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine Frage der Sicherheit.


Annalena Baerbock

Die Grünen sind demnach gar nicht der Gegner des Auto-Kapitalismus, sondern haben nur eine andere Vorstellung davon, wie deutsche Hersteller sich zum Beispiel gegen chinesische behaupten sollen. Dass es unabhängig von Marke und Herkunftsland zu viele Autos gibt, ist eher ein Thema für Infostände der Grünen im Wahlkampf – ihre Realpolitik sieht anders aus.

Besserverdienende Grüne, die dem deutschen Michel sein Auto madig machen wollen, werden aber in der Demagogie von Poschardt und Co. als Feindbild gebraucht, um den Autofetisch mit einer Anti-Establishment-Attitüde zu verbinden.

Wer vom eigenen Sportwagen träumt – und sei es angesichts der Kontoauszüge auch noch so unrealistisch – ist demnach bodenständiger als jemand aus derselben Einkommensklasse, der davon nicht träumt, sondern mit einer halbwegs intakten Umwelt und bezahlbaren Mieten für den Rest seines Lebens zufrieden wäre. Letzteres sind nach Meinung von Automobil-Populisten abgehobene und falsche Prioritäten.

Sie wollen von der breiten Masse um ihren Lifestyle beneidet werden und als Vorbild dienen. Die arbeitende Bevölkerung soll sich abstrampeln, um sich dieselben Statussymbole leisten zu können. Natürlich schaffen das nicht alle, aber der "gute" Wille zählt. Die unterschwellige Wut über den damit verbundenen Stress wird auf diejenigen gelenkt, die das Spiel nicht mitspielen wollen.

Das ist eben der Unterschied zwischen billigem Populismus und tatsächlicher Interessenvertretung für die Mehrheit der Bevölkerung.