Die Achse des neuen Europa konstituiert sich
Bedingungslos stellen sich 8 europäische Regierungschefs in einer als Mediencoup inszenierten Erklärung hinter die Position der US-Regierung
Offenbar hatte Verteidigungsminister Rumsfeld, als er vom alten und neuen Europa im Hinblick auf die Position zur US-Regierung und zum Irak-Konflikt sprach, den Hebel richtig angesetzt. Mit allen Mitteln versucht die US-Regierung, für ihr Vorgehen, im Irak das Regime durch eine militärische Invasion aufgrund der Verletzung der UN-Resolution zu stürzen, die breite Allianz hinter sich zu sammeln, von der sie immer gesprochen hat. Jetzt haben 8 europäische Regierungspräsidenten eine gemeinsame Erklärung in der Medienschlacht der "strategischen Kommunikation" veröffentlicht, um mit dieser anscheinend nicht mit allen anderen europäischen Staaten diskutierten Aktion den Krieg gegen den Irak zu unterstützen, die Führung der US-Regierung anzuerkennen und wahrscheinlich einige Vorteile für sich einzuheimsen.
Ausgegangen ist die Aktion wohl vom spanischen Regierungschef José María Aznar, der aus seiner unbedingten Unterstützung der Bush-Regierung nie ein Hehl gemacht hat. Unterschrieben haben die Erklärung Europa und die USA müssen vereint bleiben, die etwa in spanischen Zeitungen wie El Pais oder El Mundo im vollen Wortlaut veröffentlicht wurde, überdies Tony Blair (Großbritannien), Silvio Berlusconi (Italien), Jose Manuel Barroso (Portugal), Peter Medgyessy (Ungarn), Leszeck Miller (Polen), Anders Rasmussen (Dänemark) und Vaclav Havel (Tschechien).
Am Irak soll die Einheit nicht scheitern
Wie schon der Titel des Überraschungscoups zum Ausdruck bringt, argumentieren die Staatschefs zunächst so, dass sie davor warnen, die transatlantischen Beziehungen über die Unterschiede zur Irak-Frage zu gefährden. Die USA und Europa seien vornehmlich durch gemeinsame Werte verbunden: "die Demokratie, die individuelle Freiheit, die Menschenrechte und den Rechtsstaat". Diese Werte hätten die europäischen Auswanderer in die USA mitgebracht. Und die Attentäter vom 11.9. seien "die Feinde dieser gemeinsamen Werte", weswegen die Anschläge auch "ein Angriff gegen alle" waren:
"Die Reaktion der Regierungen und der Völker Europas und Nordamerikas, mit Entschlossenheit diese Prinzipien zu verteidigen, haben die Kraft unserer Überzeugungen gezeigt. Heute ist mehr denn je das transatlantische Band eine Garantie für unsere Freiheit."
Deutlich wird hier schon, dass die Staatschefs des alten Europas und des neuen Europas sich in der Gedankenwelt eines Kriegs der Kulturen bewegen. Die gemeinsamen Werte beziehen sich offenbar, sonst hätte man andere Regionen nicht "vergessen", vornehmlich auf Europa und Nordamerika. Die Bindung verstärkt habe, dass sich Europa durch "den Mut, die Großzügigkeit und die Zukunftsvision der Nordamerikaner" von den zwei Formen der Tyrannei, nämlich dem Faschismus und dem Kommunismus, befreien konnte. Dank der Kooperation zwischen Europa - die alten Klüfte werden freundlicherweise nicht erwähnt - und den USA, konnten "wir" den Frieden und die Freiheit "auf unserem Kontinent" bewahren, sagen die Regierungschefs. Und all diese transatlantische Verbindung dürfen jetzt nicht "den konstanten Absichten des gegenwärtigen irakischen Regimes zum Opfer fallen, die globale Sicherheit zu bedrohen". Irgendwie müssen dann doch wieder alle Länder, für die die Freiheit "das wertvollste Gut" sei, zusammenhalten, um gegen den Terrorismus und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen anzugehen.
Im weiteren Verlauf der Erklärung wird dann allerdings wieder die Solidarität der internationalen Gemeinschaft beschworen, um die UN-Resolution gegenüber dem Irak durchzusetzen. Ganz gemäß der Rhetorik der US-Regierung habe nun Hussein die letzte Chance, "sich mit friedlichen Mitteln abzurüsten". Wie dies von diesem erfolgreich gemacht werden könnte, wird nicht verraten, aber weiterhin versprochen, dass die Entschlossenheit und Einheit der Weltgemeinschaft die Grundlage für die Hoffnung seien, dass die Abrüstung friedlich verlaufen könne.
Erpressung des Sicherheitsrats
Die Regierungschefs betonen, dass sie die Verantwortung verbinde, sich der Gefahr zu stellen, die vom irakischen Regime für die globale Sicherheit ausgeht. Und sicherheitshalber werden andere "Schurkenstaaten" wie Nordkorea, die bekanntermaßen über Massenvernichtungswaffen verfügen und Diktaturen sind, nicht erwähnt, um nicht in etwas komplizierte Rechtsfertigungszwänge zu geraten. Niemand wird Hussein und seinem Regime nachtrauern, aber denselben Anspruch auf Befreiung haben noch viele Menschen auf dieser Erde. Überdies wäre ein internationales Rechtssystem notwendig, um Willkürlichkeit zu verhindern, was aber gerade das Gegenteil dessen ist, was die US-Regierung anstrebt. Ein Schritt auf diese Richtung hin wäre nicht nur eine breite Unterstützung für den Internationalen Gerichtshof, sondern auch die Abschaffung des Veto-Rechts Russlands, Frankreichs, Großbritanniens, Chinas und der USA im Sicherheitsrat. Aber auch hier steht wohl die Einheit davor.
Ohne direkt auf Frankreich und Deutschland oder gar Russland und China sowie die weiteren Mitglieder des Sicherheitsrats einzugehen, die in der Mehrheit den Angriffsplänen zögerlich gegenüberstehen und auf jeden Fall eine neue Resolution verlangen, soll die Erklärung wohl vor allem die europäischen Mitglieder unter Druck setzen:
"Nach der Charta der Vereinten Nationen hat der Sicherheitsrat die Aufgabe, den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit zu schützen. Daher ist es entscheidend, dass der Sicherheitsrat seine Glaubwürdigkeit durch die volle Umsetzung dieser Resolutionen bewahrt. Wir können nicht tolerieren, dass ein Diktator systematisch diese Resolutionen verletzt. Wenn sie nicht erfüllt werden, verschwindet die Glaubwürdigkeit des Sicherheitsrats und als Folge davon wird der Weltfriede leiden."
Die Erklärung wird man wohl kaum dahin gehend interpretieren können, dass die Entscheidung über Krieg und Frieden im Sicherheitsrat gefällt werden müsse. Der, so wird gedroht, sei nicht mehr glaubwürdig, wenn er nicht der Argumentation und Entscheidung der US-Regierung folgt und deren Beweise anerkennt. Das könnte man auch eine Erpressung nennen, zumal wenn gegenüber der Weltgemeinschaft auch noch so deutlich gemacht wird, dass es, Irak hin oder her, vornehmlich um die Aufrechterhaltung des transatlantischen Bündnisses geht, also um eine Angelegenheit zwischen der USA und Europa.
Die Glaubwürdigkeit des Sicherheitsrats steht auch angesichts dieser Erklärung auf dem Spiel
Trotz aller Beschwörung der nötigen Einheit wird allerdings mit keinem Wort erwähnt, dass die US-Regierung zunächst auch alleine handeln wollte und sich jederzeit das Recht reserviert hat, auch ohne Zustimmung durch den Sicherheitsrat so vorzugehen, wie es den eigenen Interessen entspricht. Kein Wort wird in diesem Pamphlet auch über den langfristigen Sinn und die Folgen einer schnellen militärischen Durchsetzung der Resolution verloren. Ähnlich wie für die US-Regierung geht es nicht nur um die Abrüstung, sondern gleichzeitig implizit auch um den Regimewechsel. So wünschenswert dieser für das irakische Volk sicherlich wäre, auch wenn keineswegs garantiert werden kann, dass dann friedliche oder demokratische Zeiten anbrechen, so schadet es der Glaubwürdigkeit des Sicherheitsrats freilich auch, massiv mit einer Argumentation (Umsetzung der Resolution, d.h. Abrüstung, kein Regimewechsel) unter Druck gesetzt zu werden, die nur als Vorwand für einen anderen Zweck dient. Und wenn es denn schon in Wirklichkeit um einen Regimewechsel geht, so vermisst man bei der Achse der europäischen US-Vasallen jede Erwähnung einer gemeinsamen Verantwortung für die Zeit danach sowie für die Sicherstellung, dass ein abgerüsteter demokratischer Rechtsstaat entsteht.
Eine Mehrheit der Mitglieder des Sicherheitsrats hat sich auf einergeschlossenen Sitzung für eine Weiterführung der Waffeninspektionen ausgesprochen: Russland, China, Deutschland, Mexico, Chile, Guinea, Kamerun und Syrien. Spanien und Bulgarien haben auf eine schnelle Entscheidung gedrängt. Die übrigen Staaten, darunter Großbritannien und die USA, haben sich noch nicht geäußert. Alles spricht dafür, dass dann, wenn der US-Außenminister Powell am 5. Februar die angekündigten Beweise vorgelegt hat, eine schnelle Entscheidung, spätestens Mitte Februar, ansteht. Sollte sich die notwendige Mehrheit im Sicherheitsrat für eine Invasion aussprechen, so steht zu erwarten, dass auch die deutsche Regierung sich dem anschließen würde und müsste.
Inzwischen hat sich Rumsfeld in einer Pressekonferenz wieder zurückgemeldet und durch die Erklärung verstärkt gesagt, dass Europa keineswegs gegen die USA in der Irak-Frage eingestellt sei: "Ich glaube, dass es ein Fehler ist, weil ein oder zwei Staaten dagegen sind, zu denken, dass damit ganz Europa gemeint ist, weil es viele Länder gibt, die sehr hilfreich waren und sich an der Planung beteiligt haben, sowohl was die Planung betrifft, wenn Gewalt angewendet werden muss, als auch wenn es ein Post-Sadda-Hussein-Irak in Bezug auf humanitäre Hilfe und Wiederaufbau gibt." Hier ist von der Alternative einer friedlichen Lösung schon gar nicht mehr die Rede, zumal nun auch schon die ersten US-Einheiten im Nordirak operieren sollen. Das passt auch zum Tenor des amerikanischen UN-Botschafters Negroponte, der gestern sagte: "Das diplomatische Fenster schließt sich. Wir denken, dass die Zeit für eine Entscheidung sich rasch nähert."
In einer Medienkampagne, in der Außenminister Powell Interviews mit zahlreichen europäischen Fernsehsendern gab, bestätigte er noch einmal die Bereitschaft der US-Regierung, Saddam Hussein, seiner Familie und führenden Regime-Mitglieder bei der Suche nach einem Exil zu helfen. Damit wäre zwar allen (vorerst) gedient, bis es zur Frage um den Einfluss auf den Irak und seine Ölressourcen geht, der Gerechtigkeit allerdings nicht. Und alle Diktatoren der Welt dürften darauf hoffen, dass sie, wenn sie sich nur glaubhaft mit Massenvernichtungswaffen ausrüsten und sich militärisch aufrüsten, jederzeit mit ihrem angehäuften Vermögen irgendwo ihren Lebensabend beschließen können.