"Die Arme von Vietnams Geheimdienst reichen überall hin"

Flagge der kommunistischen Staatspartei Vietnams. Bild: Eureka287/Lasse Havelund/CC BY-SA-3.0

Interview mit Trung Khoa Le: Der Herausgeber des Oppositions-Blogs Thoibao könnte laut LKA und Bundesanwaltschaft von Vietnams Geheimdienst in Berlin gekidnappt oder ermordet werden

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"Berlin ist die Hauptstadt der Spione", sagte Berlins Innensenator Geisel vor einigen Monaten. Als europäisches Zentrum der Macht ist Berlin neben dem Nahen Osten, London und Washington in den letzten Jahren zum Hotspot der internationalen Geheimdienste geworden - und zudem zum Fluchtpunkt von Exilanten aus der halben Welt, die wiederum oft "covered", also observiert werden, wie der katalanische Ex-Ministerpräsidenten Carles Puidgedemont, der türkische Ex-Cumhuriyet-Chefredakteur Can Dündar oder die russischen Pussy Riot-Mitglieder.

Die im nachrichtendienstlichen Alltag ermüdenden Tätigkeiten der Agenten und ihrer freiberuflichen cut-offs zwecks Aufklärung, Abklärung, Abdeckung und Abschöpfung von Objekten, Zielpersonen und Quellen in "Nacht und Nebel"-Operationen werden meist nur dann öffentlich, wenn etwas "schief läuft" oder sich besonders spektakulär ereignet - wie die Entführung von Trinh Xuan Thanh im Sommer 2017.

Der Oligarch und Ex-Elitenfunktionär, der sich von der sozialistischen Staatspartei abwandte und dadurch in Ungnade fiel, wurde während eines Spaziergangs im Berliner Tiergarten am helllichten Tag von einem Hit-Team des vietnamesischen Geheimdienstes Tong Cuc 2 in einen schwarzen Van gezerrt und von Osteuropa nach Vietnam ausgeflogen, wo ihm wegen millionenschwerer Korruption der Prozess gemacht wurde.

Ein Ausdruck von ökonomischen Macht- und Interessenverschiebungen innerhalb der Staatsführung. Dies führte zu schweren diplomatischen Verwicklungen mit der Bundesregierung nach Jahren politischer Entspannung in den internationalen Beziehungen zu Vietnam.

Der vietnamesische KP-Geheimdienst TC2 - hervorgegangen aus den Behind-Enemy-Lines-Kommandogruppen (chu luc) des Vietcong, die sich wiederum an den sogenannten Psy Counter Ops der Gegenspieler CIA und DIA orientierten und militärhistorisch als "dich van/dan van"-Strategieneuerung legendär wurden - gehört laut Bundesamt für Verfassungsschutz zu den aktivsten in Deutschland.

In den letzten Monaten wurde auch öffentlich bekannt, dass mehrere vietnamesische Journalisten und Aktivisten, die in Berlin und Deutschland leben, massiv observiert, eingeschüchtert und bedroht werden . Auffällig wurden besonders mehrere Agentinnen mit Kontakten zur vietnamesischen Mafia in Berlin.

In Kreisen des Auswärtigen Amtes und des Bundesnachrichtendienstes gibt es erhebliche Besorgnis. In fast keinem Land der Welt ist laut "Reporter ohne Grenzen" die Presse- und Meinungsfreiheit so eingeschränkt wie in Vietnam, wo hunderte Journalisten in Haft sind. Alle Medien sind in Staatshand, oppositionelle Meinungen gibt es nur in klandestinen Internet-Blogs, die z.B. über soziale Ungerechtigkeit in der "sozialistischen Republik" berichten. Der wahrscheinlich meistgelesene Blog ist das Portal Thoibao.

Thoibao wird seit zehn Jahren von Trung Khao Le von Berlin aus herausgegeben, der auch für das Oppositions-Portal VD-News arbeitet. Rund 80 Prozent der Nutzer von Thoibao.de leben laut Zugriffsdaten in Vietnam. Thoibao.de verstand sich zunächst als Nachrichten-Plattform, auch die vietnamesische Staatsfluglinie Vietnam Airlines schaltete Anzeigen, der Einfluss von Thoibao.de auf die offene und Untergrund-Opposition war bekannt, auch, dass es anonyme Quellen innerhalb des Apparates gab. Nach immer kritischeren Berichten in den letzten zwei Jahren (z.B. einem Interview mit der deutschen Anwältin von Trinh Xuan Thanh) geriet es ins Visier der Staatsführung.

Nachdem es wohl nachweislich aus dem Umfeld der Botschaft Morddrohungen gegen Trung Khoa Le und zudem mehrfach anonym seine Erschießung angekündigt wurde, konnte eine Diskussionsveranstaltung mit ihm von "Reporter ohne Grenzen" zu Beginn des Jahres nur unter erheblichen Sicherheitsvorkehrungen stattfinden. Thoibao wurde durch Cyber-Angriffe (DDoS) des TC2 lahmgelegt. Trung Khoa Le erhielt u.a. eine sogenannte Sicherheitsunterweisung durch das Landeskriminalamt (LKA) zu seinem und dem Schutz seiner Familie.

Das Staatsschutz-Referat des LKA erhielt über einen Informanten offenbar Kenntnis von konkreten Anschlagsplänen. Wie üblich in solchen Fällen, gibt es weitere verdeckte Maßnahmen. Die Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe hat mittlerweile den Fall an sich gezogen und ermittelt u.a. wegen Spionagetätigkeiten. Auch deutsche Journalisten, die mit Trung Khoa Le in Kontakt stehen, werden u.a. bedroht.

"Keine Papiere mit der Hand von Personen anfassen, denen ich nicht voll vertrauen kann. Es könnte Kontaktgift im Papier sein"

Warum könnte denn die vietnamesische Regierung so wütend auf Sie sein, dass sie Sie ermorden will, wie Sie glauben?

Trung Khoa Le: Das fing alles vor gut einem Jahr an, so rund um den G20-Gipfel in Hamburg. Vietnams staatliche Medien haben behauptet, unser Ministerpräsident Nguyen Xuan Phuc hätte einen offiziellen Termin im Kanzleramt von Frau Merkel. Aber so einen Termin hat es nicht gegeben und Nguyen Xuan Phuc hat lediglich als Vertreter der ASEAN-Staatengruppe an dem G20-Gipfel teilgenommen, nicht etwa, weil Vietnam zu den führenden 20 Industriestaaten gehören würde. Das habe ich berichtet. Dieser Bericht hat den Ärger ausgelöst.

Für die Pressekonferenz mit Nguyen Xuan Phuc mit internationalen Unternehmen und sowie für sein Zusammentreffen mit vietnamesischen Migranten in Berlin hatte ich offizielle Einladungen erhalten. Nach meinen Berichten auf unserem Nachrichten-Portal Thoibao.de ging der Ärger los … Ich wurde eigens schriftlich wieder ausgeladen. Meine Berichte waren nicht die offizielle Linie der Darstellung der Staatspartei in Vietnam. Das mochte man also nicht.

Dabei blieb es aber nicht?

Trung Khoa Le: Ja, ich erhielt dann tatsächlich eine Mail von einer Mitarbeiterin der vietnamesischen Botschaft in Berlin, ich sollte meinen Bericht dementieren. Das war wohl als erste kleine Drohung gemeint. Dann kamen auch die ersten Morddrohungen, zuerst noch von anonymen Absendern. Das alles verstärkte sich aber, nachdem ich als erster Journalist weltweit über die Entführung von Trinh Xuan Thanh aus Berlin nach Hanoi durch den vietnamesischen Geheimdienst berichtet hatte. Später berichtete ich auch noch vom Gerichtsprozess am Berliner Kammergericht.

Sie denken, die Morddrohung soll in die Tat umgesetzt werden?

Trung Khoa Le: Ich werde intensiv von der Berliner Polizei betreut - ich habe großes Vertrauen in sie in diesem Fall. Man hat mir gesagt, worauf ich achten soll. In meiner Umgebung achte ich seitdem auf alles. Ich parke nicht mehr an demselben Ort jeden Abend. Man muss vorsichtig sein. Auch Autos mit fremden Kennzeichen sind verdächtig, vor allem aus Osteuropa.

Können Sie denn noch normal arbeiten?

Trung Khoa Le: Ich versuche es, denn es ist wichtig. Man darf sich nicht einschüchtern lassen von Behörden, die ihre Macht missbrauchen. Ein Staat muss für die Bürger da sein - nicht andersherum. Es geht um Freiheit. Und darum, dass Menschen ihre Rechte erhalten - in Vietnam, hier, überall auf der Welt. Wenn man als Journalist die Wahrheit berichtet und vor keinem Thema zurückschreckt, dann lebt man immer gefährlich. Es gibt sehr viel Unrecht, Ausbeutung, Armut - und die Mächtigen wollen nicht, dass man darüber spricht.

Worauf im Alltag achten Sie denn jetzt noch?

Trung Khoa Le: Auf alle Menschen in der Umgebung. Auch Versammlungen meide ich zur Zeit, auf denen viele Vietnamesen sind. Dort wird einem immer etwas zu essen angeboten. Dieses Essen könnte vergiftet sein. Man weiß auch nie, wer dort ist - Agenten mischen sich gerne darunter.

Dann meiden Sie die vietnamesische Botschaft zur Zeit auch lieber?

Trung Khoa Le: Ja, das ist eine No-Go-Area für mich. Ich benötige eigentlich einen neuen Pass - aber ich habe den Ratschlag erhalten, auch keine Papiere mit der Hand anzufassen von Personen, denen ich nicht voll vertrauen kann. Es könnte Kontaktgift im Papier sein. Kontaktgift wie bei dem russischen Ex-Doppelagenten Skripal in England.

Bevor ich in mein Auto steige, schaue ich lieber drunter. Und auch auf die Türen, ob irgendetwas verändert ist. Eine Autobombe wäre auch nicht schön ....

Das Kidnapping von Trinh Xuan Thanh war laut Berliner Staatsanwaltschaft eine akribisch organisierte Kommando-Operation. Der TC2 gilt in Nachrichtendienst-Kreisen als "netzwerkorientiert" und legendär perfektionistisch wie bis vor ein paar Jahren das Mossad. Seit Vietcong-Zeiten betreibt er das Konzept eines "horizontalen Volksgeheimdienstes". Ist der Geheimdienst dort so gut organisiert?

Trung Khoa Le: Ja, er ist sehr mächtig - in Vietnam und auch im Ausland. Seine Arme reichen überall hin. Man muss immer vorsichtig sein. Es könnte sein, dass auch Angehörige von mir in Vietnam von der Geheimpolizei bedroht werden.

Aber wie soll es weitergehen in Ihrer Bedrohungslage?

Trung Khoa Le: Ich denke, die deutschen Behörden werden etwas einwirken. Ich habe Vertrauen zum Auswärtigen Amt.

"Wir sind eine ganz schön große Community"

Bis zum Fall Trinh Xuan Thanh lebten die Vietnamesen recht unauffällig in Deutschland - obwohl es doch viele sind!? Von deutschen Politikern gerne als Musterbeispiel für Integration genannt. Mit dem Dong Xuan Center gibt es in Berlin sogar eine eigene Shopping Mall.

Trung Khoa Le: Ja, wir sind eine ganz schön große Community - vor allem in Berlin. Lichtenberg ist fast wie Klein-Hanoi, naja, ein bisschen. Die Vietnamesen haben viele Geschäfte hier, sie sind sehr fleißig. Aber leider sind sie immer nur unter sich - ich finde das nicht so gut. Man muss sich auch mit anderen austauschen, die nicht so sind, wie man selber. Ist ja sonst langweilig auf Dauer. Die Vietnamesen hier wollen unbedingt den sozialen Aufstieg - für sich und ihre Kinder. Das führt leider zu großem Leistungsdruck.

Viele Eltern sind da sehr bedacht drauf bei ihren Kindern, sie sollen immer nur Einsen von der Schule mit nach Hause bringen. Also, das halte ich für übertrieben! Verbissenheit ist nie gut. Zuviel Disziplin schadet! Man muss offen sein im Leben ...

Und gibt es noch Probleme mit Rassismus in Deutschland?

Trung Khoa Le: Früher, das war das sehr schlimm, in den 90ern. Aber das ist besser geworden, viel besser …

Manche behaupten, die Botschaft Vietnams habe Kontakte zur Organisierten Kriminalität. In Berlin gab und gibt es eine sehr umtriebige vietnamesische Mafia, es gab etliche Morde in dem Milieu.

Trung Khoa Le: Ja, das ist wahr. Ihr Hauptgebiet war vor allem immer der Handel mit geschmuggelten Zigaretten. Mittlerweile geht es mehr in Richtung Schutzgelderpressung. Viele Geschäfte sind davon betroffen, das ist ein großes Problem. Im Dong Xuan gibt es mittlerweile einen eigenen Sicherheitsdienst, der verhindert, dass Gangster dort ihre Aktivitäten betreiben. Aber man muss auch sagen: Diejenigen, die im Zigarettenschmuggel und -verkauf aktiv sind, das sind meistens Asylbewerber, die das aus reiner Geldnot machen, nicht, weil sie böse Menschen sind. Diejenigen, die länger hier sind, möchten eher Teil der bürgerlichen Gesellschaft sein und normal arbeiten.

"Das Internet hat alles verändert"

Wie betrachten Sie denn die gesellschaftliche Entwicklung in Vietnam?

Trung Khoa Le: Ich war zuletzt vor zwei Jahren dort. Es geht immer mehr in Richtung Diktatur. Bis zum Parteitag Anfang 2016 gab es eine Öffnung in jeder Hinsicht - hin zum Westen und den Werten des Westens. Jetzt lehnt sich Vietnam wieder stärker an China an. Ein riesiges Problem ist die Korruption: Die Eliten und die Funktionsträger bereichern sich, die Armut dagegen steigt, es ist sehr schlimm. Das hat nichts mehr mit Sozialismus zu tun. Es steht Kommunismus drauf, aber es ist Manchesterkapitalismus und Diktatur drin. Aber bei den jungen Leuten gibt es diesen Freiheitsdrang …

… eine Facebook-Gesellschaft wie im Iran …

Trung Khoa Le: Ja, das Internet hat alles verändert. Die offiziellen Medien nimmt keiner mehr ernst. 90 Prozent der Zugriffe auf Thoibao.de in Vietnam erfolgen über die Smartphones, wie ich aus meinen Daten weiß. Diese technische Revolution hat sehr viel verändert in Vietnam. Die Jugend ist eine andere, sie hinterfragt Dinge, sie ist neugierig auf die Welt, sie will Teil der globalen Pop-Kultur sein. Die Regierung merkt das, es wurden tausende Seiten im Internet geblockt, auch Thoibao.de. Aber die Menschen suchen sich Wege, um an Informationen zu gelangen … Sie merken, dass sie betrogen werden.

Unter Präsident Obama gab es eine Art Versöhnung der USA mit Vietnam. Wandel durch Handel. Ist das nicht zu begrüßen?

Trung Khoa Le: Das ging schon unter Clinton los. Das Prinzip ist richtig. Aber die Wirtschaft darf nicht ohne das Recht agieren. Wirtschaftliche Investitionen ja - aber nur in Verbindung mit der Gewährung von Menschenrechten. Alle müssen vom Fortschritt profitieren, nicht nur die Oberschichten. Gegen den Sozialismus ist nichts zu sagen, wenn es ein Sozialismus ist - aber bitte in Verbindung mit Freiheit. Seit dem Parteitag 2016 unter dem Parteichef Nguyen Phu Trong ist es aber nicht mal mehr die Idee eines Sozialismus ...

Aber wie stehen denn die Vietnamesen in Deutschland zu der Regierung?

Trung Khoa Le: Da gibt es so viele Meinungen, wie es Vietnamesen in Deutschland gibt. Aber es ist schon verrückt: Es gibt hier auch Versammlungen von Älteren - die kommen in ihren alten Armee-Uniformen und singen militärische Marschlieder. Jeder hat das Recht auf seine Meinung, aber man darf nicht nur in der Vergangenheit leben. Der Vietnam-Krieg war grausam, aber das kann keine Rechtfertigung für die vietnamesische Regierung sein, ihre heutigen Kritiker zu unterdrücken oder zu entführen.