Die Außengrenze der EU als Schutzschild
Die EU-Führung stellt sich mit einem Besuch an der Landesgrenze hinter die Abschottungsstrategie der griechischen Regierung
Die griechische Ost-Grenze ist Außengrenze der EU. Dies betonten der griechische Premier Kyriakos Mitsotakis und die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach einer Ortsbesichtigung der griechischen Landgrenze. Die EU-Führung, vertreten durch von der Leyen, den Präsidenten des Europäischen Rats, Charles Michel, den kroatischen Premier Andrej Plenković, dessen Land turnusmäßig die EU-Präsidentschaft hat, sowie den EU-Parlamentspräsidenten David Sassoli hatte sich vorher per Hubschrauberrundflug einen Überblick über die Grenzsituation verschafft.
Alle betonten ihre Dankbarkeit dafür, dass Mitsotakis die Grenzen mit massivem Aufgebot von Polizei und Militär geschlossen hat. "Die Türkei ist kein Feind. Ich möchte Griechenland dafür danken, dass es unser europäischer Schutzschild ist", betonte von der Leyen.
Alle fanden auch Worte für die Flüchtlinge und Immigranten, die im Niemandsland zwischen der Türkei und Griechenland festsitzen. Mitsotakis bezeichnete sie als bemitleidenswerte Menschen, die für politische Erpressungen missbraucht würden. Er wählte jedoch im gleichen Atemzug Ausdrücke wie "Invasion, Invasoren und asymmetrische Bedrohung". Michel betonte in seiner Ansprache mehrmals die humanitären Werte der EU, sah diese aber durch den griechischen Grenzschutz gewahrt.
Eine Grenzöffnung ist nicht zu erwarten, obwohl seitens von der Leyen auch von der Bereitstellung von Zelten und Decken die Rede war. Mitsotakis sprach mehrmals direkt und indirekt die europäische Solidarität an und wollte damit offenbar betonen, dass Griechenland die Asylbewerber gern paritätisch unter den europäischen Partnern verteilen möchte.
Die EU wird Griechenland zum Grenzschutz mit 700 Millionen Euro unter die Arme greifen. 350 Millionen Euro werden sofort ausgezahlt, damit Griechenland "die illegale Migration" abwehren kann.
Die EU-Offiziellen bekamen von den Griechen nicht nur die Grenze, sondern auch türkische Tränengasgranaten gezeigt, die von der anderen Seite der Grenze herüber geschossen wurden. Mitsotakis nutzte die Gelegenheit, um vor Ort ein Bad in der Menge der lokalen Bevölkerung zu nehmen. Er ließ sich feiern und nutzte jede Redemöglichkeit, um die Flüchtlingspolitik seines Amtsvorgängers zu kritisieren.
Alexis Tsipras stützt die Entscheidungen von Mitsotakis
Tsipars hingegen demonstrierte in einem abendlichen Fernsehinterview beim Sender Mega TV seine Übereinstimmung mit Mitsotakis in der Sache. Er äußerte vollstes Verständnis für die Grenzschließung. Er meinte, dass kein Premier eine andere Wahl gehabt hätte. Auch Tsipras wertete die offensichtlich vom türkischen Staatspräsidenten Erdogan gestartete Aktion zum neuen Flüchtlingstreck als Erpressung.
Tsipras kritisierte hingegen Mitsotakis dafür, dass dieser angesichts einer solchen Gefahr für das Land nicht den Rat der Parteichefs der im Parlament vertretenen Parteien einberufen habe. Er betonte seinerseits, dass bei Amtsübergabe auf Lesbos im berüchtigten Lager Moria, "der Schande Europas", rund 5000 Menschen gelebt hätten. Nun seien es 20.000, beklagte er. Darüber hinaus bemängelte Tsipras, dass Mitsotakis es aus wahltaktischen Gründen vermeiden würde, viele der Insassen der Lager zur Entlastung der Inseln aufs Festland zu bringen. Mitsotakis würde die Inseln opfern, um den Wählerzuspruch auf dem Festland zu retten, warf der frühere Premier seinem Nachfolger vor.
Es dürfte die Anhänger von Tsipras überraschen, wie freimütig er zugab, dass auch er die Landesgrenze mit großem Aufwand geschlossen hatte, als sich die Flüchtlingskrise 2015 und 2016 auf einem Höhepunkt befand. Allerdings habe er "nicht so viel Lärm darüber gemacht". Als Beleg für seine Behauptung stellte er die rhetorische Frage, ob den jemand glauben würde, dass die Flüchtlinge 2015 und 2016 den lebensgefährlichen Seeweg gewählt hätten, wenn die Landesgrenze überwindbar gewesen wäre.
Tsipras kritisierte im Übrigen beide Seiten, die des Staatsapparats und die der Insulaner von Lesbos und Chios, die sich in Straßenkämpfen und mit Zusammenstößen mit der Polizei im Wald gegen die Errichtung neuer, gefängnisgleicher Lager auf den Inseln gewehrt hatten.
Ein großer Unterschied zu 2015 und 2016 ist, dass jedes Mobiltelefon in Grenznähe folgende SMS erhält: "No one can cross the Greek borders. All those attempting illegal entry, are effectively prevented from entering. Numbers cited by Turkish authorities are entirely false and misleading." (Niemand kann die griechische Grenze überqueren. Alle, die einen illegalen Versuch starten, werden wirksam vom Grenzübertritt abgehalten. Die von türkischen Behörden angegebenen Zahlen sind falsch und irreführend.)
Zudem wurde die Entscheidung, das Asylrecht für einen Monat außer Kraft zu setzen, durch Veröffentlichung des griechischen Ministerratsentscheids legal verankert. In der Praxis werden sämtliche Neuankömmlinge von den übrigen auf den Inseln befindlichen Asylbewerbern isoliert. Sie sollen offenbar mit Schiffen in Abschiebelager aufs Festland gebracht werden. Dabei haben sie weder eine Gelegenheit zur Stellung eines Asylantrags noch zum Einlegen von Rechtsmitteln.
Auch Zypern schließt die Grenzen zum türkisch besetzten Nordteil der Insel
Auch Zypern schottet sich ab. Der Präsident der Republik Zypern, Nikos Anastasiadis, hat gestern mit einer Erklärung die Schließung der Grenzübergänge zum türkisch besetzten Nordteil der Insel, dem international mit Ausnahme weniger Staaten nicht anerkannten Nordzypern, verkündet. Zwischen beiden Inselteilen gibt es normalerweise regen Grenzverkehr. Sämtliche von der Insel stammenden Einwohner, deren Familien vor der türkischen Besetzung des Nordteils auf Zypern wohnen, zählen für die Republik Zypern als Staatsbürger und sind somit auch Bürger der EU. Dies gilt auch für die ethnisch türkischen Bewohner des vom völkerrechtlichen Status her als besetzt geltenden Nordteils. Auch sie sind als EU-Bürger nun von der Grenzschließung direkt betroffen.
Die vorübergehende Schließung wird mit der aktuellen Flüchtlingskrise begründet. So sagt Anastasiadis: "Ohne das menschliche Leiden zu vernachlässigen, arbeiten wir gleichzeitig daran, den demografischen Charakter unseres Landes zu bewahren und Versuche, diesen zu unterwandern abzuwehren."
Er vermied jedoch, die Türkei direkt zu beschuldigen. Auf eine Frage eines Pressevertreters nach einem "organisierten Plan der Türkei" antwortete er: "Es ist nicht nötig, dass ich das kommentiere, was tausendfach mit den von der Türkei geförderten Versuchen des Grenzübertritts nach Griechenland und Bulgarien belegbar ist." Anastasiadis hatte die Grenzen bereits vorher, im Zusammenhang mit der CoVid19-Epidemie kurzfristig schließen lassen.
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