Die Bulgaren und Rumänen kommen
Vor den EU-Wahlen kocht mit der Anti-EU-Stimmung die Angst vor osteuropäischen Zuwanderern hoch
Die Einschränkungen der Freizügigkeit für Rumänen und Bulgaren sind gefallen. Seit 1. Januar können Menschen aus beiden Ländern in allen EU-Mitgliedsstaaten arbeiten. Konservative und rechtspopulistische Parteien schüren in Deutschland, Großbritannien oder den Niederlanden die Angst vor Sozialtourismus und Armutsmigrationen und malen ein Bild, dass nun Millionen in den Arbeitsmarkt oder die Sozialsysteme drängen könnten. Die Kriminalität würde zunehmen, die Sozialkassen würden ausbluten und Einheimische Arbeitsplätze verlieren. Im Hintergrund steht der weit verbreitete Antiziganismus (Roma zwischen Segregation, Pogrom und Vertreibung), schließlich leben in Rumänien und Bulgarien viele Roma in erbärmlichen Bedingungen.
Der vorher gepflegte Antiislamismus ist mittlerweile umgekippt in eine Anti-EU-Stimmung, die sich eben auch in der Abwehr von innereuropäischer Migration äußert. Während sich die EU nach außen als Festung gegen Migration abschottet, werden auch im Inneren die Spannungen größer. Damit finden die nationalistischen, ausländerfeindlichen Parolen offenbar Anklang bei vielen Menschen. Ähnliche Ängste wurden in Deutschland geschürt, als die Einschränkungen für die Polen wegfielen. Beschworen worden war eine Masseneinwanderung von Millionen (Polen ante portas), die sich aber nicht eingestellt hat. Zur Ausländerfeindlichkeit gehört wahrscheinlich auch ein erhöhtes Selbstbild, also dass man äußerst attraktiv für Ausländer ist.
Großbritannien hatte 2002 keine Restriktionen beschlossen, hier wanderten tatsächlich viele Polen in den britischen Arbeitsmarkt. Unternehmer setzen hingegen auf Einwanderung und werben auch in Bulgarien und Rumänien. Die meisten Jobangebote gibt es auf tjobs.ro/ aus Großbritannien und Deutschland. Zu vermuten ist, dass die meisten Rumänen und Bulgaren, die in Europa nach Arbeit suchen, bereits ausgewandert sind, beispielsweise sind bereits nach Spanien und Italien 2 Millionen Menschen eingewandert, da beide Ländern nicht wie Deutschland, Frankreich oder Großbritannien Restriktionen für den Arbeitsmarkt eingeführt hatten. Migrationsforscher erwarten aus Rumänien oder Bulgarien eine jährliche Zuwanderung nach Deutschland von 100.000-180.000 Menschen.
Am Luton Airport bei London ist gestern das erste Flugzeug aus Rumänien in Großbritannien gelandet, wo die stärker werdende rechtspopulistische UKIP massiv gegen die EU und gegen europäische Migranten Stimmung macht und damit diese Trends vor allem bei den Konservativen, aber teilweise auch in der Labour-Partei weiter fördert. Es stehen die Europa- und Landeswahlen an - und beide Themen scheinen eine große Rolle zu spielen, was man auch an der CSU sieht, die mit ihrer bei den letzten Wahlen erfolgreichen Strategie gegen Ausländer mit der geforderten Maut nun mit der Abwehr der europäischen "Armutsmigranten" toppen will, was den Boden für rechte Parolen
Begrüßt wurde die vom Flughafen Targu Mures (Neumarkt in Siebenbürgen) gestartete Maschine von den Abgeordneten Mark Reckless (Tory) und Keith Vaz (Labour). Meiden wie die Daily Mail, die schon vor einer Flut von Hundertausenden gewarnt hatte, machten daraus großes Tamtam. Der konservativ-liberalen Regierungskoalition wird von UKIP, aber auch von Labour vorgeworfen, trotz mancher harten Worte und einiger Aktionen nicht genug gegen die befürchtete Einwanderungsflut aus der EU zu tun. Labour wirft der Regierung vor allem vor, nichts zum Schutz der wenig gebildeten Arbeitnehmer gemacht zu haben.
Vaz sagte, die meisten der 140 Passagiere würden bereits in Großbritannien arbeiten und nur aus dem Urlaub nach Großbritannien zurückkehren. Man habe keine Belege dafür, dass nun Menschen losgestürmt seien, um sich ein Ticket nach Großbritannien zu beschaffen. Die Politiker sprachen aber mit einem dreißigjährigen Rumänen, der tatsächlich das erste Mal nach Großbritannien gekommen war, um hier vorübergehend zu arbeiten, weil er hofft, mehr als in der Heimat zu verdienen.
In einem Brief an Regierungschef Cameron hatten 90 Abgeordnete seiner eigenen Partei gefordert, die Restriktionen nicht aufzuheben und die Grenzen überhaupt besser zu schließen. Cameron hatte aber in aller Eile beschlossen, dass Zuwanderer drei Monate lang keine Ansprüche auf Sozialhilfe haben und diese nach sechs Monaten auslaufen, wenn keine begründete Aussicht auf einen Job mit einem Mindesteinkommen besteht. Obdachlose und bettelnde Einwanderer sollen ausgewiesen und ein Jahr an der Wiederzuwanderung gehindert werden.
Vaz kritisiert, dass die Regierung es unterbunden hat, realistisch geschätzte Zahlen für die Zuwanderung zu eruieren bzw. zu veröffentlichen. Das ermöglicht Raum für ungezügelte Spekulationen. Reckless suchte die Haltung der Konservativen zu stärken. Man müsse das Versprechen einlösen, so sagte er, die Einwanderung zu steuern. Und man müsse prüfen, "ob wir, um das zu tun, die EU verlassen müssen, und unsere Grenzen wieder kontrollieren. Letztlich ist das die Entscheidung, glaube ich, der sich das Land in einem Volksentscheid stellen muss."
Gegen die "alten" Parteien
UKIP-Chef Nigel Farage schürt inzwischen die Stimmung an. Die Partei ist stark gewachsen, er hofft, bei den EU-Wahlen noch einmal zulegen zu können. Er werde alles dafür tun, um die Wahl in eine Art Referendum über die EU-Mitgliedschaft zu machen, erklärte er am 31. Dezember im Telegraph. Die "unerträgliche" Einwanderungspolitik der Regierung würde der UKIP bei den EU-Wahlen zugute kommen, das Scheitern von Cameron würde zu "niedrigeren Löhnen, Armut und Arbeitslosigkeit" bei Briten führen. Die populistische Rhetorik ist schon beachtenswert, ist aber wohl Ausdruck einer Stimmung, die sich in nächster Zeit in der EU verbeiten wird:
Ich werde weiterhin am EU-Austritt arbeiten. Wir werden, ganz im Gegensatz zu den Angstgeschichten der drei alten Parteien, dass Großbritannien dann isoliert sein wird, frei sein: frei von der EU-Gesetzgebung, von EU-Steuern und vom Euro verursachten Rezessionen. Im nächsten Jahr (also 2014) kann Großbritannien zum Leuchtturm für die Demokratie in einem Europa werden, das in demokratische Finsternis und wirtschaftliche Rezession versinkt.
Nach einer aktuellen Umfrage in Niederlanden, wo Geert Wilders mit seiner PVV vergleichbar der UKIP agiert, wird die Stimmung erschreckend deutlich. Zweidrittel der Holländer befürchten Nachteile durch Einwanderer aus Osteuropa, ebenso viele meinen, es gäbe eh schon zu viele im Land. 58 Prozent meinen, die Zuwanderer wären nur auf die Sozialleistungen aus, 47 Prozent fürchten, den Holländern gingen durch die Zuwanderung Arbeitsplätze verloren, die Hälfte fürchtet wachsende Kriminalität. Nach einer Umfrage Anfang Dezember wollten 80 Prozent der Holländer, dass die Grenze für Osteuropäer geschlossen bleibt. Bei den Anhängern der PVV waren es 100 Prozent.
Die Ängste sind imaginär, auch wenn in den Niederlanden wie in Deutschland einzelne Städte Probleme mit Zuwanderern aus Rumänien und Bulgarien haben. Von den 600.000 Menschen aus anderen EU-Ländern, die in den Niederlanden leben, beziehen gerade einmal 20.000 Arbeitslosengeld oder Sozialleistungen.