Die Bundesregierung führt an bayerischen Binnengrenzen wieder Kontrollen ein
EU will Schengener Abkommen teilweise aussetzen, Deutschland ist vorgeprescht, Kommissionspräsident Juncker äußerte sich zustimmend
Der Zugverkehr aus Österreich wurde komplett eingestellt, alle verfügbaren Bundespolizisten sollen an die bayerische Grenze zu Österreich beordert worden sein. Möglich ist die Außerkraftsetzung des freien Personenverkehrs durch eine "Notfallregelung" im Schengener Abkommen, die Deutschland und Frankreich vor zwei Jahren hineinverhandeln konnten. Laut einem letzte Woche veröffentlichten Papier soll nun die EU-Kommission dafür sorgen, dass weitere Regierungen solche "außerordentliche und Sofortmaßnahmen" ergreifen. Möglich wäre Wiedereinführung der Grenzkontrollen für bis zu zwei Jahre.
Die Bundesregierung setzt das Schengener Abkommen teilweise außer Kraft. Dadurch ist es möglich, die Grenzstationen an den Binnengrenzen wieder zu besetzen und Fahrzeuge und Personen zu kontrollieren. Die Einreise nach Deutschland soll demnach nur noch mit gültigen Reisedokumenten möglich sein. Was mit den festgehaltenen Geflüchteten ohne Papiere geschehen soll bleibt unklar. Nach Medienberichten wird auch der Zugverkehr aus Österreich bis morgen früh eingestellt.
Zunächst seien alle verfügbaren Bundespolizisten nach Bayern geschickt worden, alle übrigen seien in "Alarmbereitschaft versetzt". Die Rede ist von 21 Hundertschaften. Laut der Berliner Morgenpost seien "sämtliche Arbeitszeitregelungen außer Kraft gesetzt worden". Der Spiegel hatte zuvor berichtet, auch Bundeswehrsoldaten könnten zur Grenzsicherung eingesetzt werden. Diese würden in Amtshilfe der Bundespolizei unterstellt.
Grenzkontrollen in der Koalition "einvernehmlich beraten und beschlossen"
In einer Pressekonferenz hat der Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) die Kontrollen erläutert. Sie seien in der Koalition einvernehmlich beraten und beschlossen worden. Auch die Innenminister der Länder hätten zugestimmt. Deutschland sei für den überwiegenden Teil der ankommenden Geflüchteten nicht zuständig.
Nach dem geltenden europäischen Recht ist Deutschland für den allergrößten Teil der Schutzsuchenden gar nicht zuständig. Das Dublin-Verfahren und die Regelung über die Registrierung gelten unverändert fort und ich fordere, dass sich alle europäischen Mitgliedsstaaten daran in Zukunft wieder halten.
Das heißt, dass der zuständige Mitgliedsstaat Asylsuchende nicht nur registriert, sondern auch das Asylverfahren durchführt. Auch die Asylsuchenden müssen akzeptieren, dass sie sich einen Mitgliedsstaat der Europäischen Union, der ihnen Schutz gewährt, nicht einfach aussuchen können. Das wird auch gelten, wenn es zu einem europäischen Verteilsystem kommt.
Bundesinnenminister de Maizière
Der Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat sich mittlerweile zustimmend zu den Kontrollen geäußert. Diese seien ihm am Nachmittag von der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) angekündigt worden. Die Kommission werde die Maßnahme nun beobachten und dem Parlament darüber berichten.
Eigentlich sind alle am Schengener Abkommen teilnehmenden Staaten verpflichtet, ihre Kontrollhäuschen und Schlagbäume restlos zu entfernen. Die zeitweise Einführung von Grenzkontrollen ist aber nach einem "Notfallmechanismus" erlaubt, wenn eine "schwerwiegende Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit" zu erwarten ist. Genutzt wurde der Paragraf meist von Frankreich und Deutschland bei grenzüberschreitenden Gipfeltreffen und Fußballspielen, allerdings war die Maßnahme nur für maximal vier Wochen erlaubt.
Ein 2013 eingeführter, neuer "Notfallmechanismus" geht noch weiter und sieht vor, dass die Binnengrenzen bei zu viel unerwünschter Migration ebenfalls wieder kontrolliert werden dürfen (Kampf um Schengen. Wann fällt Dublin?). Die Initiative ging vom deutschen und französischen Innenministerium aus. Auch der Zeitraum des neuen "Notfallmechanismus" wurde erweitert, erlaubt sind Kontrollen nun für bis zu sechs Monate. Mit der Möglichkeit einer dreimaligen Verlängerung könnten die Grenzen also für bis zu zwei Jahre kontrolliert werden. Eigentlich war vorgesehen, dass nur die Kommission die Umsetzung des neuen "Notfallmechanismus" anordnen kann. Der Vorschlag scheiterte aber am Druck aus Deutschland und Frankreich.
Es ist unklar, welcher der beiden "Notfallmechanismen" derzeit angewandt wird. Der Bundesinnenminister habe die Kontrollen laut Medienberichten mit der "Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung" begründet, da die große Zahl der Flüchtlinge die Aufnahmekapazitäten überfordere.
Geflüchtete kamen nicht unerwartet
Die gern als "Zustrom von Migranten" bezeichneten Migrationsbewegungen kamen für das Bundesinnenministerium aber keineswegs unerwartet. Schon seit letztem Jahr beteiligt sich die Bundespolizei in italienischen Eisenbahnzügen an gemeinsamen Streifen mit der dortigen Polizei. Auch Österreich macht bei diesen "trilateralen Kontrollen" in Norditalien mit.
Wenig später wurde auch mit Ungarn ein entsprechendes Abkommen verhandelt, auch dort fahren Bundespolizisten seit Anfang des Jahres in Zügen Richtung Österreich mit. Zuletzt hatte die Bundespolizei beim G7-Gipfel über 10.000 Personen ohne Papiere in Zügen und auf der Autobahn abgefangen. Eigentlich rechtswidrig war die Wiedereinführung der Grenzkontrollen in Bayern und Baden-Württemberg mit dem alten "Notfallmechanismus" begründet worden, indem die erwartete Anreise militanter Gipfelgegner behauptet wurde.
Vergangene Woche hatten sich die Delegierten der EU-Mitgliedstaaten auf Ratsebene erneut mit der zunehmenden Zahl von Geflüchteten befasst. In einem Dokument heißt es hierzu, Europa sei "mit einer Migrationskrise ungekannten Ausmaßes konfrontiert". Die EU müsse deshalb "außerordentliche und Sofortmaßnahmen ergreifen", um die Mitgliedstaaten zu entlasten. Die Überwachung und Kontrolle nicht nur an den Außengrenzen soll mit einem Set mehrerer Maßnahmen verstärkt werden.
Falls sich die "Lage" nicht verbessere, will der Rat "als letztes Mittel und als Maßnahme zum Schutz gemeinsamer Interessen" Kontrollen an den Binnengrenzen in der gesamten EU empfehlen. Die EU-Kommission solle sich deshalb "nicht davon abhalten lassen", dem Rat eine solche Empfehlung vorzuschlagen. Es könne sich dabei um einen oder mehrere Mitgliedstaaten handeln. Die wieder eingeführten Kontrollen könnten dann "an allen oder bestimmten Abschnitten ihrer Binnengrenzen" durchgeführt werden.