Die "Dark-Duke-Doom"-Masse

Können neue Produktionsfirmen inhaltliche Innovationen in Computerspielen fördern?

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"Wenn wir Erfolg haben, werden in fünf Jahren Computerspiele auf diese Art produziert werden." Der den Mund so voll nimmt, war bis vor Kurzem noch mitverantwortlich für die X-Box. Heute ist Kevin Bachus Mitgründer der "Capital Entertainment Group" (CEG) und davon überzeugt, in Kürze die Spielindustrie zu revolutionieren. Die Produktionsfirma CEG will bessere Spiele machen, indem sie als Bindeglied zwischen Publishern und Herstellern einen Teil der Finanzierung übernimmt und die Produktion mit Wissen und Erfahrung unterstützt. Nur: Wozu diese Revolution?

Oddworld: Munch's Oddysee

Die Spielindustrie ist derzeit einer der wenigen hell leuchtenden Sterne am düsteren Konjunkturhimmel des Technologiesektors: In einer aktuellen Studie prognostiziert das Investmenthaus Goldmann Sachs, dass die Umsätze mit Computer- und Videospielen in diesem Jahr weltweit bei 17,5 Milliarden Dollar liegen werden - und damit um über als zwei Milliarden Dollar höher als 2001.

Doch es gibt mittelfristig einige Gründe zum Zweifel am programmierten Erfolg. Die Spielindustrie ist groß, aber manchen durchaus nicht groß genug. Denn die so rasant wachsenden Umsätze liegen international noch immer weit unter den mit CDs oder DVDs und Videos erzielten. Die Spielindustrie ist effizient - Experten schätzen die Gewinnmargen bei den Spielen "Everquest" und "Ultima Online auf 20 bis 40 Prozent -, aber nicht effizient genug. Von den etwa 2500 weltweit im Jahr veröffentlichten Spielen sind gerade einmal fünf Prozent profitabel. Das besagen jedenfalls die Schätzung des Marktforschungsunternehmens DFC Intelligence.. Vor allem aber - und das kann der Schlüssel zu den anderen langfristigen Problemen sein - ist die Spielindustrie zwar kreativ, aber nicht kreativ genug.

Das hat sogar der Vorsitzende des amerikanischen Verbandes der Spielindustrie (IDSA) Douglas Lowenstein offen gesagt. Auf der "Electronic Entertainment Expo" 2002 gab er zu bedenken:

"Die wachsende Konsolidierung bei Publishern und Entwicklern, die hohen Entwicklungskosten, der Druck auf die Verkaufspreise und das Entstehen eines Massenpublikums sind eine klare Gefährdung für die Innovation, welche die Industrie angetrieben hat. Die Gefahr besteht, dass Publisher sich auf Lizenzen, Fortsetzungen, Erweiterungen, den fünfzehnten Klon von 'Grand Theft Auto' verlassen, weil sie sich aus Sicherheitsdenken auf das Erprobte und Bewährte verlassen."

Sichtbar wird dieses Problem beim aktuellen Konsolenkrieg. Die anfangs niedrigen Verkaufszahlen und der Preiskampf machen klar, dass die neuen Konsolen bisher einfach nicht ihr Versprechen einlösen: Wo sind die revolutionären, neuen Spielerlebnisse? Jay Allard, der bei Microsoft für die Xbox verantwortlich war, hatte beim US-Verkaufsstart angekündigt, man wolle "unabhängige Kreative einladen" und für die Konsole etwas Äquivalentes zu "Blair Witch Project" und "Lola rennt" entwickeln.

Ein wenig spürt man davon allenfalls beim Xbox-Spiel "Oddworld: Munch's Oddysee". Das handelt, grob gesagt, vom Befreiungskampf einiger Wesen, die nicht mehr als Kaviar enden wollen. Dieses leicht satirische Spiel sticht aber vor allem deshalb aus dem bisherigen Xbox-Programm hervor, weil der Rest größtenteils aus handwerklich soliden, aber altbekannten und erprobten Spielkonzepten besteht. Nintendo bietet mit "Pikmin" das vielleicht erste wirklich revolutionäre Spiel für die neue Konsolengeneration, doch ansonsten gilt, dass bei keiner der neuen Konsolen, revolutionäre Software als Unterscheidungskriterium eine Rolle spielt. Deshalb läuft der Wettbewerb vor allem über den Preis ab.

Zumindest mitverantwortlich ist dafür die wirtschaftliche Struktur der Spielindustrie. Die reinen Produktionskosten eines durchschnittlichen Vollpreisspiels liegen laut dem Analysten David Cole von "DFC Intelligence" heute bei drei bis fünf Millionen Dollar. Die Marketingkosten sind ebenso hoch. Diese Investitionen teilen sich die so genannten Publisher und die Hersteller. Publisher sind große Unternehmen wie Activision, Electronic Arts oder Infogrames, welche Spiele hauptsächlich vermarkten und dafür einen Anteil am Erlös einstreichen. Sie produzieren über Tochterstudios auch eigene Titel und investieren in die Projekte unabhängiger Hersteller, die sie oft mit langfristigen Vermarktungsverträgen an sich binden. Die Publisher finanzieren das Marketing, die Entwicklungskosten schießen sie den Entwicklern meist als Anzahlung auf deren Anteil an den erwarteten Verkaufserlösen vor. Allerdings sind die Erlöse in den meisten Fällen so hoch - beziehungsweise niedrig -, dass der Hersteller mit dem Vorschuss bereits ausbezahlt ist.

Es verwundert kaum, dass die Publisher angesichts solcher finanzieller Risiken versuchen, Erfolge zu programmieren, ohne dabei viel auf inhaltliche Innovation zu geben. David Cole beschreibt das einzig gültige Erfolgsrezept für Spiele so:

"Es ähnelt ein wenig dem der Filmindustrie: Eine Spielreihe aufbauen, bei welcher die Engine wieder und wieder in unterschiedlichen Produkten verwendet werden kann. Man darf nie planen, mit einem einzige Spiel Geld zu verdienen."

Der Zwang zur Fortsetzung ist vielleicht noch stärker als im Filmbereich. Denn Spiele müssen sich im Laden gut verkaufen, sie haben keine zweite Chance. Bei Filmen gibt es noch die weitere Verwertung in der Videothek oder im Fernsehen. Wenn aber ein Spiel nicht sofort zum Verkaufserfolg wird, muss man es nach einigen Monaten als technisch veralteten Flop abschreiben. Deshalb sind wohl die einst innovativen und klar trennbaren Genreklassiker "Doom", "Duke Nukem" und "Dark Forces" nach unzähligen Fortsetzungen zu einer "Dark Duke Doom"-Masse verschwommen. Activisons Geschäftsführer Robert Kotick hat einmal ganz abstrakt vom das Bestreben, "berechenbarerer Produkte" herzustellen, gesprochen. Was das konkret bedeutet, beschreibt der Designer Ernest W. Adams (Das Dilemma ist, dass die meisten Designer Computerspiele für sich selbst herstellen):

"Ich habe ungefähr fünf Jahre lang an für "Electronic Arts" an "Madden NFL Football" gearbeitet. Wir brachten jedes Jahr eine neue Version raus. Es gib kein kreatives Risiko bei diesen Spielen und doch immer etwas Neues, weil die Sportler die ganze Zeit wechseln."

Adams ist sich daher sicher: "Das heutige Finanzierungsmodell für Videospiele fördert Innovation tatsächlich nicht." Ob aber Produktionsfirmen wie CEG tatsächlich dieses strukturelle Problem lösen werden, ist fraglich. Im Filmbereich, wo Produktionsfirmen seit Jahren etabliert sind, arbeiten die Bekanntesten und Erfolgreichsten vor allem an aussichtsreichen, da starträchtigen, Mainstream-Projekten. "Revolution Studios" mit "Black Hawk Down" ist ein Beispiel für diesen Typus von Produktionsfirma. Andererseits gibt es auch wirkliche Talentschmieden wie Propaganda Films, das Regisseure wie David Fincher hervorgebracht hat.

Im Spielbereich betont CEG jedenfalls in der Selbstdarstellung Hitpotential ebenso wie Innovation. Auch bei der in Belgien beheimateten Firma "Interactive Finance", die noch in diesem Jahr den "Game Production Fund I" auf den Investmentmarkt bringen wird, gibt sich der geschäftsführenderer Gesellschafter Romain Poirot-Lellig eher vorsichtig revolutionär: "Wir denken, dass die gegenwärtige Größte des Marktes groß genug ist, um Investoren hohe Gewinne zu bringen." Man will also nicht unbedingt neue Zielgruppen erschließen, sondern eher Produkte für die bestehenden finanzieren. Gleichwohl will "Interactive Finance" 30 Prozent der Mittel des "Game Production Fund I" in riskantere Projekte investieren. Während bei den übrigen 70 Prozent ein gesicherter internationaler Vertrieb und grünes Licht durch eine so genannte completion bond company - die versichert auf fristgerechte Fertigstellung zu den budgetierten Produktionskosten - Voraussetzung für Investitionen sind, kann bei riskanteren Projekten beides fehlen. Und Poirot-Lellig sagt: "Es ist natürlich viel einfacher, für abgekupferte Ich-auch-Produkte eine sichere Distribution zu bekommen als für originelle."

Dass neue Unternehmen wie CEG, "Interactive Finance", Wise Monkey oder Carbon 6 der Spielindustrie allein den erhofften inhaltlichen Innovationsschub geben werden, ist fraglich. Aber "die Chancen steigen, weil das kreative Reservoir größer wird", wie David Cole sagt. Daneben werden Fans auch weiterhin Mods und eigene, kleine Spiele bar jeder kommerziellen Perspektiven programmieren - und vielleicht sogar beim Independent Game Festival präsentieren. Und natürlich gibt es auch Entwickler wie Yager, die nahe am finanziellen Existenzminimum aber von einer ähnlichen Begeisterung wie die Fans angetrieben, an ihren Projekten arbeiten. Angesichts dieser Chancen warnt David Cole aber vor dem Trugschluss, inhaltlich innovative Spiele würde automatisch zu mehr Spielern führen:

"Ich denke nicht, dass Spiele je ein so breites Publikum erreichen können wie das Kino - denn sie verlangen viel mehr von ihren Nutzern. Ich würde Spiele eher mit Büchern vergleichen: Auch die verlangen dem Nutzer etwas ab, und doch haben sie ein breites - aber keinesfalls ein universelles Publikum."

So gesehen kann man sich als Computerspieler heute mit einem Augenzwinkern als Elite fühlen. Ein paar Gründe jenseits der Hardwaredaten, sich eine neue Konsole zu kaufen, wären dennoch gut.