Die EZB macht (endlich) ernst

Bisher hatten die Anleihenkäufe durch die EZB den gewünschten Effekt, die Risiken sind wohl tolerierbar

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Nach dem Kauf spanischer und italienischer Staatsanleihen durch die EZB gingen erwartungsgemäß die Wogen hoch: Es sei gesetzeswidrig, "nicht empfehlenswert" und der Sündenfall werde zum Prinzip gemacht.

Die kurzfristige Wirkung der Aktion ist immerhin unumstritten. So sanken die Umlaufrenditen spanischer und italienischer Anleihen am Sekundärmarkt um rund einen Prozentpunkt, wobei am Dienstagnachmittag die zehnjährigen Renditen spanischer Anleihen erstmals in diesem Jahr unter fünf Prozent abfielen, während italienische Anleihen mit 5,01 % notierten.

Zwischen drei und zehn Milliarden Euro soll die EZB laut Markteinschätzungen dafür aufgewendet haben, wobei unklar ist, wie sehr auch private Investoren auf den fahrenden Zug aufgesprungen sind und rechtzeitig auf ein Funktionieren der EZB-Maßnahmen gewettet haben, belohnt wurden sie jedenfalls mit hohen Gewinnen.

Der unmittelbare Erfolg der Aktion macht indes deutlich, was an dieser Stelle schon mehrmals behauptet wurde (Kommt der EU/EZB-Fonds?). Nämlich dass nur ein konsequentes Eingreifen der EZB den Finanzmärkten Einhalt gebieten kann. Denn egal wie voluminös ein aus öffentlichen Geldern gespeister normaler "Rettungsfonds" auch dotiert wird, er wird immer politischen Streitereien unterworfen sein und kann ohne EZB-Hilfe immer nur ein endliches Volumen bereitstellen. Das kann dann ausreichen oder nicht; wobei die Märkte stets herausgefordert sein werden, dessen Kraft und Tragfähigkeit auf die Probe zu stellen.

Steht hingegen die unbeschränkte monetäre Autorität der EZB auf der Gegenseite, dann ist klar, dass es allein an ihrem Willen liegt, ob sie sich durchsetzt oder nicht. Denn das Geld – und darauf kommt es an - kann ihr schon definitionsgemäß niemals ausgehen (denn das produziert sie ja selbst zum Nulltarif). Deswegen kann es im Ernstfall nur darum gehen, den Märkten klar zu machen, dass sie ihre Macht tatsächlich einsetzen wird, um den Spekulanten Einhalt zu gebieten. Denn so irrational das kollektive Verhalten der Märkte auch wirken mag, jeder Trader weiß, dass er Kopf und Kragen riskiert, stellt er sich gegen die Notenbank - und wird es unterlassen.

Kurzfristig darauf reagieren, was die Anderen denken

Das liegt im Wesen des Finanzsystems, das letztendlich aus der Summe der Handelsentscheidungen von weltweit vielleicht 4 Millionen professionellen Tradern besteht (sieht man von den elektronischen Handelssystemen ab, die anscheinend anderen Gesetzen folgen). Und egal welcher Finanzorganisation sie zuzurechnen sind, ihr einziges Ziel ist es, möglichst hohe Gewinne zu erzielen oder zumindest besser zu sein, als die im selben Markt tätigen Konkurrenten. Die Trader in den Hedge Fonds und Investmentbanken handeln zudem mit einem Investmenthorizont, der selten einen Tag übersteigt und zumeist auch auf Kredit, so dass ihre Umsätze jene der Real-Money-Investoren, die für Versicherungen oder Pensionsfonds langfristige Anlagen suchen, bei weitem übersteigen.

Wie schon von Keynes dargestellt hat, handeln diese Trader dann auch nicht auf Basis ihrer Einschätzung der realen wirtschaftlichen Verhältnisse oder gar irgendeiner Moral, sondern es geht nur darum einzuschätzen, wie die anderen Trader die Lage einschätzen (wobei Keynes meinte, es ginge sogar eher darum, was die anderen denken, dass die anderen denken, was die anderen denken usw.) und daraus auf die Entwicklung der Preise zu schließen. Eben diese Einschätzung gilt es also zu beeinflussen, und je besser dies der EZB gelingt, umso weniger reales Geld muss sie dafür einsetzen.

Ebenso steht freilich außer Frage, dass das Monetarisieren der Staatsschulden langfristig negative Folgen haben kann, wobei aber auch dies keinesfalls sicher ist. Die vermutlich schlimmste Folge dürfte sein, dass die Regierungen der betroffenen Staaten weiterhin populistische Klientelpolitik betreiben und nicht gezwungen sind, ihre offenbar nicht nachhaltigen Budgetgepflogenheiten abzustellen.

Höhere Inflation als Möglichkeit, die Krise zu bewältigen

Für die Eurozone insgesamt wäre das höchste an möglichen Problemen wohl einerseits eine steigende Inflationsrate, die dann auch zu steigenden Leitzinsen führen könnte, andererseits ein sinkender Außenwert des Euro. Während aber nicht einmal sicher ist, ob diese Effekte auch wirklich eintreten müssen, ließe sich argumentieren, dass angesichts der europaweit herrschenden privaten wie öffentlichen Überschuldung höhere Inflationsraten der einzige Weg ist, die aus dem Ruder gelaufenen Bilanzen wieder annähernd ins Lot zu bringen, ohne Volksaufstände und massive Pleitewellen zu riskieren. Ebenso dürfte der Euro gegenüber dem Dollarraum nach wie vor deutlich überbewertet sein, so dass auch ein Nachgeben des Euro durchaus positive Wirkungen haben könnte.

Für die EZB besteht hingegen nur dann die Gefahr von Verlusten, wenn sie das Spiel verliert und Spanien, Italien etc. trotz ihrer Anleihenkäufe weiter fallen wie die Dominosteine. Kommt es hier zu Pleiten, dann müsste die EZB wie jede normale Bank Wertberichtigungen auf ihre Anleihen vornehmen, die durchaus auch ihr Grundkapital übersteigen könnten. Geschieht dies, dann müssten laut der bestehenden Verträge die nationalen Notenbanken die EZB im Rahmen ihrer Kapitalanteile (wozu dann auch die Anteile der Pleitestaaten kämen, die ihre Anteile dann ja kaum aufstocken könnten) rekapitalisieren, was letztendlich zu Lasten der nationalen Budgets gehen würde. Insofern tut die EZB also gut daran, derartige Aktionen nur anzufangen, wenn sie bereit ist, sie bis zum Ende durchzuziehen.

Klar ist auch, dass es keine nachhaltige Lösung sein kann, eine Schuldenkrise mit noch mehr Schulden bewältigen zu wollen. Klar ist aber auch, dass es an den Finanzmärkten möglich ist, durch "extend and pretend" (in etwa: (Kredite) "verlängern und so tun als ob") Probleme so lange zu ignorieren und hinauszuschieben, bis sie tatsächlich gelöst werden können – sofern die Behörden dies zulassen. Das hat schon bei der lateinamerikanischen Schuldenkrise in den 1980er Jahren funktioniert, als die großen Wall-Street-Banken allesamt Pleite gewesen wären, hätten sie ihre Verluste regelkonform bilanziert. Allerdings hatten ihnen Aufsichtsbehörden und Notenbank damals nicht nur Liquiditätshilfen geleistet, sondern – wie der damalige Fed-Chef Paul Folker später zugab - insgeheim auch zugestanden, die faulen Kredite zu Phantasiepreisen in den Büchern zu behalten. Dann senkte die Fed die Leitzinsen und ermöglichte den Banken eine so hohe Zinsspanne, dass sie mit den daraus resultierenden Gewinnen die Latino-Verluste in kaum zehn Jahren unauffällig abarbeiten konnten.

In der gegenwärtigen Extremsituation erscheint die Frage der mittel- bis langfristigen Folgen aber ohnehin absurd. Es ist, als würde man einen brennenden Bauernhof deshalb nicht löschen, weil man sich das Wasser im Teich aufheben will, denn man könnte es ja zur Bewässerung des Gartens benötigen, sollte es nun zwei Monate lang nicht regnen. Denn was wären die Konsequenzen, wenn die EZB nicht einschreitet?

Dass der bestehende Schutzschirm kaum Spanien, mit Sicherheit aber weder Italien noch Frankreich retten könnte, ist evident. Ein Börsencrash ungeahnten Ausmaßes, reihenweise Bankenpleiten, denen die Regierungen aus Geldmangel auch nicht entgegentreten könnten, und letztendlich das Auseinanderbrechen der Eurozone erscheinen da nicht nur als realistische Möglichkeiten, sondern als unausweichlich. Derlei zu riskieren, nur weil es vielleicht zu einem Anziehen der Inflation kommen könnte oder weil man faule Südländer belehren möchte, sollte eigentlich undenkbar sein und müsste bei Ökonomen oder Politikern mit der sofortigen Entfernung aus allen Ämtern geahndet werden.