Die Einbahnstraße des Fortschritts
Fortschritt - das war mehr Effizienz beim Töten
Mit dem Anbrechen der Aufklärung ist auch die Idee des Fortschritts in die Welt gekommen. Wirtschaftliches Wachstum und Fortschritt zivilisatorischer (etwa Kant: Gebrauche Deinen eigenen Verstand, Lasse Dich nicht von anderen missbrauchen, Behandle Andere so, wie Du behandelt werden willst) sowie wissenschaftlicher und technischer Art werden die Welt besser machen. Es geht stetig aufwärts, jedoch vielfach mit Umwegen, wie Hegel meinte, oder eben ziemlich zwangsläufig und geradlinig, wie Karl Marx sich das vorstellte.
Wachstum und Fortschritt sind heute noch, knapp zwei Jahrhunderte später, die zentralen Vorstellungen in unseren Gesellschaften, wobei allerdings kaum jemand mehr weiß, was dabei das Ziel sein soll. Besonders im linken Spektrum, momentan wäre das der multikulturelle Teil der Bevölkerung, aber ebenso bei neoliberalen Marktradikalen, ist man infiltriert von einer Art von kontinuierlichem Fortschrittsdenken, während es bei den Traditionalisten, also dem mittigen und rechten Spektrum, durchaus andere Grundvorstellungen vom Gang der Geschichte gibt.
Erinnert sei etwa an Oswald Spenglers Blüte- und Niedergangs-Verständnis von Kulturen (Der Untergang des Abendlandes). Neben solchen Zyklustheorien gibt es noch die Wunschvorstellung eines eher stabilen Stillstands. Dieser ist jedoch unrealistisch, gibt es doch zu viele "Motoren" in unseren Gesellschaften, die eigensinnig selbständig, autopoietisch (wie das biologisch sowie systemtheoretisch genannt wurde) ihren Weg gehen. Einer dieser "Motoren" ist die Technik, heute insbesondere Militärtechnik und Biotechnologie. Man hat noch nie in der bekannten Geschichte solchen technischen Fortschritt aufhalten, einbremsen oder sistieren können.
Fortschrittsmotor Kriegstechnik
Fortschritt, also Verbesserung des alten Zustands, hatte stets zwei Seiten. Der Urmensch erfand Werkzeuge, die das Alltagsleben leichter machten, und sie dienten ihm als Waffen, um Feinde umzubringen und sich ihrer Habseligkeiten zu bemächtigen. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Die Militärausgaben betragen gegenwärtig weltweit 1750 Milliarden US-Dollar wobei hier zweifellos nicht alle militärisch intendierten Ausgaben des "militärisch-industriellen Komplexes" enthalten sind. In Anbetracht eines solchen komprimierten Gewaltpotentials erscheinen alle drögen alltagspolitischen Auseinandersetzungen nur noch als Unterhaltungsmüll zur Belustigung der Massen.
Tatsächlich war seit Urzeiten bis heute die Kriegstechnik stets die treibende Kraft von Fortschritt - und niemand hat das bislang verändern oder nur abschwächen können. Bei einer substantiellen Kritik des militärisch-industriellen Komplexes haben Linke wie Konservative (unter denen gibt es natürlich weiterhin Pazifisten) versagt, das mussten früher einmal ein paar Hochschulprofessoren übernehmen. Erst mit den Ostermärschen wurde das zu einem Thema für alternative Gruppen, die Fortschritt und eine bessere Welt anders sahen als die Mehrheit.
Jagdwaffen waren immer ebenso als Kriegswaffen begehrt: Lanzen, Speere, Bogen und Messer. Ein "Fortschritt" im Nahkampf Mensch gegen Mensch stellte vor 6000 Jahren die Entwicklung des Schwerts dar, das war effizienter, eine Jagdwaffe war es nie. Phantasiereich entwickelten unsere Vorfahren als Fernwaffe gegen Menschen und Tiere die Schleuder, die zur Großform geworden, dann schon als Belagerungsmaschine gegen (vorchristliche Zeit) Stadtmauern eingesetzt wurde. Die später entwickelte Armbrust war dual verwendbar. Die moderne Form der Belagerungsmaschine, die Kanone, kam im 13. Jahrhundert mit dem aus China importierten Schießpulver auf, die Menschen waren da durchaus erfinderisch und stets auf Zerstörung der Feinde aus. Dann folgten relativ schnell das dual verwendbare Gewehr und die Pistole. Für militärische Zwecke wurden Bomben und Granaten entwickelt, während Sprengstoffe für militärische und zivile (Tiefbau, Untertagebau usw.) Zwecke eingesetzt wurden.
Der Erste Weltkrieg brachte neben dem Maschinengewehrkrieg Giftgas als neues militärisches Kampfmittel, der Zweite Weltkrieg dann die Flächenbombardierung von Städten und schließlich die Atombombe. Zehntausende Flugzeuge, die der Kapitalismus in den kriegsführenden Nationen blitzschnell bereitstellen konnte, wurden als Kampfwerkzeug mit der Zerstörungskraft ihrer mitgeführten Bomben eingesetzt - es ging dann allen Kriegsparteien einfach nur mehr um das umfassende Töten von Zivilisten. Danach wurden Raketen und mit ihnen der Weltraum als Spielfeld für den nächsten Krieg entwickelt, Drohnen folgten später, ebenso militärische Robotik oder das Lasergewehr. In den Arsenalen gibt es genügend chemische und vermutlich ebenso biologische Waffen. Die Menschen dieser Welt sind offensichtlich unbefriedbar - das muss man zur Kenntnis nehmen.
Zivile Technik, Bautechnik
Auch die Bautechnik hat eine duale Ausprägung, eine zivile und eine militärische. Befestigungsanlagen gibt es seit der Vorzeit: Palisaden, Wälle, Mauern. Dezidierte militärische Wehranlagen existieren zumindest seit den Römern bis hinauf in die jüngeren Zeiten. Heute ist das nicht mehr so aktuell, da Luftangriffe alles zertrümmern können. Lange Zeit war Stadtplanung auch von militärischen Überlegungen in Hinblick auf nationale Verteidigung beeinflusst. Das spielt heute keine Rolle mehr, mit ein paar Atombomben ist Mitteleuropa zuverlässig ausgelöscht, oder mit einem Cyberangriff auf die Stromversorgung, da steht dann ebenso alles und die Menschen werden wohl damit anfangen, sich gegenseitig umzubringen, um ihr eigenes Leben zu sichern.1
Die großen Genies unserer Geschichte, paradigmatisch dafür Leonardo da Vinci, waren Meister der schönen, aber auch der schrecklichen Künste (techne = Kunstfertigkeit). Sie haben sich ganz gern mit Technik im heutigen Verständnis (und die ist stets militärisch verwendbar) und dabei ebenso mit Waffentechnik beschäftigt. Hatte da Vinci schon Leichen seziert, so folgte der medizinische Fortschritt dann erst im neunzehnten Jahrhundert, vor allem durch die Militärärzte. Ihre Aufgabe war nicht praktische Humanität, sondern die Erhaltung des Soldatenmaterials (um das zynisch auszudrücken) für den Herrscher.2 Um das ging es nebenbei auch bei den sozialpolitischen Fortschritten dieser Zeit: um halbwegs gesunde Männer, tauglich dafür, jederzeit als Soldaten genutzt zu werden.
Für die Entwicklung der Eisenbahn später dann des Straßensystems, spielte die wirtschaftliche, jedoch ebenso die militärische Nutzbarkeit (Truppenbewegungen, Nachschub) eine Rolle; die Stahlindustrie produzierte natürlich neben Schienen auch Kanonen, die unendlichen vielen anderen Beispiele sparen wir uns hier und an dieser Stelle, nur eines noch: Die industrielle Fließbandproduktion, einer der Fortschritte der Wirtschaft, wird gern mit Henry Ford und dem Auto, sowie dem "Taylorismus" (Arbeitszerlegung) verbunden. Das ist falsch. Das erste Fließbandprodukt war eine Waffe, nämlich der sechsschüssige Revolver von Samuel Colt, mehr als ein halbes Jahrhundert vorher hergestellt.
Digitalisierung der Wirtschaft
Digitalisierung ist heute das große Schlagwort, vor ein paar Jahren waren es "Disruption", danach "Resilienz" davor "Diversity" und "Nachhaltigkeit", eine Schlagwortproduktion der Berater- und PR-Industrie, auftragshoffend von vielen Wissenschaftern gefügig apportiert. Allerdings ist alles Elektrische ohnehin schon längst digitalisiert, gemeint ist also nur eine weitere "Automatisierung", die, wie vorhin erwähnt, mit dem Colt-Revolver begann und von der Karl Marx, ebenso wie Herbert Marcuse leider als Befreiungsraum geträumt haben: als ein großer Schritt in das Reich der menschlichen Freiheit, da die Arbeit nicht mehr die Menschen, sondern die Maschinen machen.
Allerdings, Rationalisierung ist immer schon die Essenz des Kapitalismus gewesen, Automatisierung in der Massenproduktion, wo es sich auszahlt, und wenn sich die Herstellung nicht kalkulatorisch automatisieren lässt, eben Verlagerung der Arbeit in Billiglohnländer. Wegrationalisieren, da kleine Preise den Menschen wichtig sind, solange es nicht den eigenen Arbeitsplatz, das eigene Einkommen betrifft. Und als schon lang andauernder Schritt, seit den 1960er Jahren, die Leistungsausdünnung, etwa in Form der Selbstbedienung - das haben die Menschen begeistert genutzt, von der Tankstelle über den Geldausgabeautomaten bis zur Selfcheckout-Kasse im Supermarkt, der ohnedies das zentrale Beispiel für Selbstbedienung ist, sieht man von den Feinkosttheken ab, die zur Hebung des Lebensgefühls der lieben Kunden (Trading-up) wieder eingeführt wurden. Dienstleistungen sind demgegenüber für die große Mehrheit zu teuer, da bleibt den Menschen nur Mehrarbeit, eben Selbstbedienung.3
Dazu kommt die PR-Gehirnwäsche. Elektronische Verkaufsplattformen sind, selbst wenn sie Amazon heißen, nichts anderes als der seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Frankreich bekannte Versandhandel. Das war mit Briefbestellung halt langsamer als heute und der alte Papierkatalog stellt sich elektronisch dar, das aber war es schon.
Hinter dem Schlagwort der Digitalisierung steckt genau das: noch mehr Selbstbedienung und Automatisierung. Mehr Konsumarbeit, wenn man so mag. Auch das Fanal der "Smart Cities" ist nichts anderes. Noch mehr Elektronisierung, alles wird erfasst und der Stadtbewohner vollends gläsern, vom Stromverbrauch in der Wohnung (Smart Home), dem Aufwachen, den Essgewohnheiten, der Verkehrsmittelwahl, den heimlichen Konsumvorlieben, den Arbeitsverhältnissen, den Ordonnanzverhältnissen des "Menschenmaterials" gewissermaßen, das die Stadt bevölkert. Dafür aber automatisierte Selbstbedienung - das eingesteckte Handy erledigt mitsamt den Sensoren in der Wohnung alles selbsttätig. Daten lassen sich zusammenführen, und wo das möglich ist, werden sie es auch. Das war schon immer so. Was früher Geheimdienste im Verdachtsfall zusammenpuzzelten, geschieht in der Smart City für alle und automatisch. Technisch möglich gemachte Prädiktion ist das von allen Bürokratien gewünschte Delphi-Orakel der Moderne.
Demnächst Teil 2: Wissenschaft - Helfer für Wirtschaft und Machteliten