Die Energie-Bilanz der Biomasse
Das wahre Potenzial des einzigen geeigneten Ersatzes für Erdöl - Teil II
Biomasse, ja! "Weil sie regenerativ und unerschöpflich ist" - so jedenfalls die Erklärung auf einer Webseite der deutschen Biomasse-Lobby. Kritisch anzumerken bleibt allerdings dabei, dass die Biomasse zwar regenerativ sein mag, aber unerschöpflich ist sie nur bedingt. Wenn man z.B. herausbekommt, welche Pflanze die beste Energiebilanz aufweist und diese dann weltweit anbaut, wäre diese Monokultur eine Katastrophe für die Böden sowie für die Pflanzen- und Tierwelt. Mit der Biomasse will richtig gehaushaltet werden. Wie macht man das?
Unter Energiebilanz versteht man bei der Biomasse die Energie, die man aus ihr herausbekommt abzüglich der Energie, die man in sie hineingesteckt hat: Der Diesel für Traktoren und Transport, die Düngemittel, eventuell die Energie für die Umwandlung in ein Gas oder eine Flüssigkeit, usw. Bevor wir uns aber damit beschäftigen, zunächst ein Wort zur Anwendbarkeit des Begriffes überhaupt.
Die Biomasse wird oft dafür kritisiert, dass ihre Energiebilanz so schlecht sei. Im Vergleich zu anderen Erneuerbaren Energien ist das sicherlich richtig:
Eine Windkraftanlage produziert ein Vielfaches der Energie, die zu ihrer Herstellung, Errichtung und Entsorgung notwendig ist. Selbst die Photovoltaik erzeugt locker mehr als 5 mal so viel Energie als sie benötigt. Beim Ethanol wird es dagegen knapp; beim Ethanol aus Mais wird sogar gerne behauptet, die Energiebilanz sei in manchen Fällen sogar negativ. Quelle: Eigene Schätzungen nach verschiedenen Studien.
Dabei wird auch oft behauptet, ein Kohlekraftwerk oder ein Kernkraftwerk würde noch besser abschneiden: Während eine Windkraftanlage an einem günstigen Standort sich energetisch schon in weniger als einem Jahr und die PV sich in wenigen Jahren bezahlt macht, erzeuge ein Kohle- oder ein Kernkraftwerk die investierte Energie in weniger als einem Monat. Das ist zwar richtig, solange man ausklammert, dass ein Kohle- oder Kernkraftwerk riesige Mengen an nicht erneuerbaren Ressourcen verschlingt. Die immer knapper werdende Ressource fließt hier nirgends in die Berechnung ein.
Nehmen wir das Beispiel eines Kohlekraftwerks mit einem typischen Wirkungsgrad von rund 35%, d.h. rund zwei Drittel der in der Kohle enthaltenen Energie entweicht ungenutzt als Abwärme. Man steckt also immer 3 mal so viel Energie in ein konventionelles Kohlekraftwerk, als am Ende sinnvoll herauskommt. Wenn man diese Tatsache in der sogenannten Energiebilanz berücksichtigt, steht eine "-3" da. Dann wird spätestens deutlich, dass wir mehr Energie in solche Kraftwerke einstecken, als sie erzeugen, wenn die Kohle knapp wird.
Beim Erdöl ist es schon so weit. Laut einem Bericht vom November 2003 gewinnt man 17 mal mehr Energie heute durch die Förderung vom Erdöl, als man investiert. Vor 100 Jahren aber lag die EROI (Energy Return On Investment) bei 100. Die Tendenz ist stark sinkend.
Anders bei den Erneuerbaren Energien: Hier ist die eingesetzte Energie zum großen Teil Sonnenenergie, d.h. nach menschlichen Maßstäben unerschöpflich. Uns geht die Sonne nicht aus, wenn wir mehr PV-Anlagen bauen. Und der Wind bläst nicht weniger stark über Deutschland, seitdem 14.000 Anlagen hier stehen.
Je mehr wir auf nachwachsende Rohstoffe (NawaRo) umsteigen, desto besser wird unsere "Makrobilanz": Wir hätten dann immer noch Produkte, obwohl wir weniger Rohstoffe zu Müll machen. Der Begriff NawaRo bezieht sich auf die Biomasse insgesamt, nicht nur für energische Zwecke. Macht man z.B. Strommasten aus Holz statt Beton oder Stahl, verringert man die CO2-Emissionen ungemein:
Die Biomasse bindet nämlich CO2 und andere Elemente aus der Atmosphäre. Diese werden zwar immer bei der Verrottung oder Verbrennung wieder freigesetzt, aber immer nur die gleiche Menge, wie gebunden wurde. Die Biomasse ist also CO2-neutral. Das muss man im Kopf behalten, wenn von den "Emissionen" der Biomasse die Rede ist. Im Vergleich: Wir setzen bei der Verbrennung von fossilen Brennstoffen 150.000 mal so viel CO2 frei, als auf diese Weise natürlich gebunden wird, denn die Menge an Kohle, Gas, und Öl, die wir jährlich verbrauchen, hat sich schätzungsweise über 150.000 Jahre angesammelt.
Ein Vergleich zwischen der Energiebilanz von Erneuerbaren Energien und nicht-erneuerbaren ist von daher komplett irreführend. Wenn uns die Ressourcen eines Tages knapp geworden sind, werden wir diese konventionellen Kraftwerke überhaupt nicht mehr betreiben können. Aber je größer der Kraftwerkspark ist, der mit Erneuerbaren Energien betrieben wird, desto größer ist die Basis für weiteres Wachstum ohne fossile Energie. Auf diese Wiese verringert man den "Müllberg" im weitesten Sinne: Wertvolle Ressourcen wie Erdöl werden geschont, während weniger Abfall (CO2, usw.) anfällt.
Ein erster Schritt in diese Richtung ist auch damit getan, wenn Biostoffe mit fossilen Stoffen gemischt werden. Genauso wie heute schon Biotreibstoffe in fossile Treibstoffe beimischt, kann man Kohlkraftwerke zum Teil mit Holz und Stroh befeuern. Das Öko-Institut schätzt in ihrer Studie "Bioenergie: Nachwuchs für Deutschland" von 2004, dass bis zu 10% Biomasse ohne großen technischen Aufwand beigemischt werden könnte. Lediglich Förderbänder und ähnliche Infrastrukturelemente für die Biomasse müssten neu installiert werden.
In England liegen bereits die ersten Anträge von Kraftwerksbetreibern vor, die neben der Kohle auch noch Oliven- und Palmenkerne mit verbrennen wollen. Olivenreste (der sogenannte "Olivenkuchen") sowieso andere Fruchtkerne und Reste werden bereits in manchen Kraftwerken Südeuropas mitverbrannt. Und nicht nur in den konventionellen Kohlekraftwerken, sondern auch in den neuen IGCC-Anlagen (Kohle als Brücke zur erneuerbaren Zukunft) kann man Biomasse einsetzen.
Andere Kraftwerke sind mittlerweile gänzlich auf Biomasse eingestellt, zum Beispiel die Stroh-befeuerte 36MW-Anlage in Ely/England. Dabei hat der Stroh eine beinahe neutrale Energiebilanz. Lohnt es sich überhaupt, Stroh zu verbrennen, oder wäre es nicht besser, Fruchtreste aus Südeuropa zu importieren? Oder noch besser: Könnten man nicht die Transportverluste vermeiden, indem man die Fruchtreste gleich in Südeuropa verbrennt?
Welche Pflanze hat die beste Energiebilanz?
Es stimmt: Es lohnt sich nicht, "Stroh" (Getreide) als Energiepflanze anzubauen. Das macht man aber gar nicht - muss man auch nicht, da der Stroh als Abfall Produkt aus der Landwirtschaft in großen Mengen zur Verfügung steht. Anders ausgedrückt: Man kann das überschüssigen Stroh - es gibt in vielen Regionen mehr Stroh, als man für die Tierfütterung braucht - entweder auf dem Feld unterpflügen oder eben zur Energieerzeugung verbrennen. Letzteres ist wirtschaftlich sinnvoller, ersteres führt wertvolle Stoffe in den Boden zurück, damit dieser nicht ausgelaugt wird. Wenn man aber die Biomasse verbrennt, kann man die Asche immer noch als Düngemittel verwenden.
Man sieht also, dass die reine Berechnung der Energiebilanz einer Pflanze nicht alles aussagt. Außerdem sind die vorhandenen Zahlen zur Energiebilanz nicht unbedingt zuverlässig, denn die Transportwege beispielsweise sind nicht kalkulierbar. Kein Wunder, dass verlässliche Schätzungen schwer zu finden sind, denn man kann gar nicht alle Parameter bestimmen.
Trotzdem lohnt sich der Vergleich der geschätzten Energiebilanzen verschiedener Energiepflanzen, denn diese sind neben der Energiedichte ein Schlüsselparameter für die Entscheidung, ob der Anbau einer bestimmten Sorte von Biomasse und deren Transport über eine bestimmte Entfernung sinnvoll wären. Unter dem Titel FairBioTrade hat sich die IEA die Task 40 ins Leben gerufen, um genau zu untersuchen, wann der Handel von welcher Sorte Biomasse sich lohnt, und wie er unterstützt werden kann.
Wie man oben gesehen hat, hat das Ethanol aus Holz eine bessere Energiebilanz als das Ethanol aus Mais. Warum baut man denn überhaupt Mais als Energiepflanze an? Die Frage kann man ausdehnen, denn die höchsten Erträge bringen ganz bestimmte, schnellwachsende Holzarten wie Pappeln und Weiden. Noch besser allerdings sind Palmen und Schilfgräser (Miscanthus). Bekannt ist der mittlerweile pensionierte Fernsehjournalist und Autor Franz Alt als Verfechter der These, dass das Chinaschilf unsere komplette Energieversorgung decken könnte. Er beziffert den Ertrag auf 30 Tonnen Trockenmasse pro Hektar/Jahr, was 14.000 Litern Heizöl pro ha/Jahr entspräche. Noch konservativer fällt die Einschätzung von Energieexperten Dieter Seifried und Walter Witzel, die den möglichen Ertrag auf maximal knapp 12.000 Liter beziffern, mit Mittelwerten unter 10.000. Aber immerhin: Es wäre doppelt soviel wie bei Wieden und Pappeln.
Warum baut man dann nicht Chinaschilf-Plantagen statt schnellwachsende Wälder an? Laut einer US-Studie hat das Ethanol aus Mais eine Energiebilanz von 121%, aus Schilf jedoch 3.430%. In Deutschland setzt man weniger auf Ethanol (als Benzinzusatz), sondern auf Rapsöl (Diesel). Aber wieso baut man Raps an, wenn der Ertrag von Schilf in der Theorie so viel besser ist?
Nun, einerseits gibt es schon Kritiker der Miscanthus. In den letzten Jahrzehnten haben sich die praktischen Nachteile der Miscanthus herausgestellt. wie Dr. Hermann Hansen, Bioenergieberater bei der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe, auf Anfrage von Telepolis erklärte. Erstens ist die Miscanthus im Gegensatz zu Raps eine mehrjährige Pflanze, d.h. es vergehen einige Jahre, bevor überhaupt geerntet werden kann, und erst Jahre danach bekommt man die höchsten Erträge. (Dr. Hansen sprach allerdings vom einem Höchstertrag von rund 20 Tonnen im Jahr, 33% weniger als Franz Alt.) Beim Raps dagegen bekommt man jedes Jahr - mit natürlichen Schwankungen - den höchsten Ertrag.
Eine Miscanthus-Plantage ist also in dieser Hinsicht wie eine Plantage von Pappeln, bei dem man auch planen und einen langen Atem haben muss. Im Gegensatz zu Wäldern und Rapsfeldern ist jedoch bei der Miscanthus die Ernte ein Problem, denn die Pflanze wird im Frühling geerntet, wenn der Boden eher feucht ist. Sinken die Maschinen zu tief ins Erdreich hinein, zerdrücken sie das Wurzelwerk. Diese Bodenverdichtung ist generell ein potentielles Problem in der Landwirtschaft, auch beim Raps, so Dr. Hansen, denn wenn es im Herbst bei der Ernte regnet, hinterlassen die Maschinen tiefe Spuren auf den Feldern. Diese Bodenverdichtung bei der Ernte sei jedoch bei einjährigen Pflanzen weniger schlimm, da anschließend die Böden sowieso in der Regel neu gepflügt werden.
Ähnliche Hindernisse stellt man bei den Ölen fest: Das Palmöl soll beispielsweise eine vielfach bessere Energiebilanz als der Raps aufweisen. Leider kann man Palmen in Deutschland schlecht anbauen, und der Transport aus südlicheren Breitengraden relativiert sich die Bilanz leicht. Außerdem gibt man seine Energie-Unabhängigkeit aus der Hand, wenn man alles importiert. Der Raps kann in Deutschland auf stillgelegten Flächen angebaut werden, und wenn man die ganze Pflanze nutzt - nicht nur die Samen - dann erhöht sich die Energiebilanz noch mal entsprechend.
Das Fazit der Biomasse: Sie muss vielfältig sein, d.h. man muss verschiedene Pflanzen anbauen, damit die Biomasse nachhaltig bleibt. Monokulturen sind zu vermeiden. Man muss schauen, wie man bisher ungenutzte Biomasse - von Bioabfall bis hin zu ungenutzten Holzresten und Stroh - energetisch verwerten kann.
Spektakuläre Durchbrüche?
Drei neuere Entwicklungen sollen nicht unerwähnt bleiben, doch werden sie hier nicht weiter bewertet, weil sie genauso spekulativ wie spektakulär sind.
Die erste Entwicklung betrifft Algen in Salzteichen, die in der Wüste angelegt sind. Diese Algen würden laut Schätzungen von NREL auf einer Fläche Wüste in der Größenordnung von 38,000 km2 - weniger als ein Zehntel der gesamten Wüstenfläche in den USA - so viel Biodiesel produzieren, dass die USA gar kein Erdöl als Treibstoff mehr bräuchte (Heizöl wird also nicht miteingerechnet). Wenn sich diese Methode als wirksam erweist und keine Umweltbelastungen mit sich bringt (z.B. versalzende Böden in der Wüste durch Verdunstung), würde dies die für die Biomasse nutzbare Fläche um große Wüstengebiete erweitern. Die Forscher sind zuversichtlich, dass alle Umweltprobleme gelöst werden können.
Über die zweite Entwicklung wurde viel in der US-Presse unter der reißerischen Aufschrift Öl aus Allem berichtet (Besser den Truthahn im Tank als die Taube auf dem Dach). Schon seit längerem kann man Gas aus Biomasse und Bioabfall gewinnen, aber hier geht es darum, den Vorgang der natürlichen Entstehung des Erdöls zu beschleunigen - man macht aus Abfall Biodiesel in wenigen Stunden. Nachdem das amerikanische Discover Magazine 2003 über das Verfahren berichtete, war das Interesse groß, doch ließ der Bau der ersten großen Anlage auf sich warten, und das Magazin berichtete im Sommer 2004 nur noch über die Verzögerung aufgrund von Baumängel.
Eine Pilotanlage, die 7-Tonnen Geflügelreste zu Öl macht, ließ große Erwartungen aufkommen, und die Presssprecherin Julie Gelfand von Renewable Energy Resources sagte gegenüber Telepolis, dass die neue Anlage, die mehr als 200 Tonnen pro Tag verarbeitet, mittlerweile (Dezember 2004) zu 80% ausgelastet ist und Öl zu einem Preis von $15 pro Barrel herstellt.
Die dritte Entwicklung bezieht sich auf Ganzpflanzen. Wir erinnern uns: Beim Raps verwendet man nur die Samen. Die gesamte Energiebilanz lässt sich jedoch erhöhen, wenn man Stängel, Blätter, usw. auch noch energetisch verwertet. Hier ist unter anderem die Firma Choren aus Deutschland interessant. Sie hat eine Technik entwickelt, die nicht nur Ganzpflanzen verarbeiten kann, sondern auch noch gemischte Pflanzen, d.h. man braucht keine Monokulturen (wie beim Raps), sondern man kann ganz einfach die Wiese mähen.
Energiesenke oder Energiequelle? Die Makrobilanz
Wenn wir es schaffen, die Biomasse nachhaltig auszubauen, werden wir vermutlich unseren ganzen Lebensstil ändern müssen. Um dies zu verdeutlichen, müssen wir einen Blick auf unsere Essgewohnheiten werfen.
Die Autoren von "Die Grenzen des Wachstums" schätzen, dass heute mehr Energie in die Fischzucht gesteckt wird, als aus den Fischen am Ende herauskommt. Ähnlich verhält es sich mit der Landwirtschaft: Wir pumpen so viel Düngemittel rein, dass unsere Felder weniger Energie erzeugen als wir investieren. Eine Schweizer Studie hat festgestellt, dass man rund 20% weniger Ertrag im Bioanbau hat, aber ganze 50% Energie einsetzt. Dabei geht es nicht nur um die Energie an sich, sondern um alle Ressourcen, die knapp werden. Beispiel: die Insel Naurau - 2001 bekannt geworden durch die Flüchtlinge, die Australien dort unterbrachte, nachdem sie nicht als Einwanderer ins Land gelassen wurden - ist eine Mondlandschaft; der Abbau des Phosphats dort macht die Insel unbewohnbar.
Einen anderen Blickwinkel bietet der US-Autor Richard Manning. Er beschreibt in Das Öl, das wir essen, wie die Amerikaner Unmengen an Zucker und Eiweiß essen. Davon haben sie Diabetes und Übergewicht. Die Landwirtschaft in den USA verschlingt also viel Düngemittel, Chemikalien, und Energie, damit die Amerikaner krank werden. In Deutschland fällt die Bilanz nur leicht besser aus.
Was Manning auch noch sagt: Von der Energiebilanz her macht es nicht nur Sinn, auf Fleisch zu verzichten, sondern auch auf Wild umzusteigen. Diese Tiere leben von Pflanzen, die für die Menschen nicht sonderlich nützlich sind - wie die Fische im Meer. Die Energiebilanz fällt bei Tieren und Fischen nur negativ aus, wenn man sie züchtet.
Außerdem: Investieren wir nicht so viel Getreide in die Tierzüchtung, wird noch viel Land frei für Energiepflanzen. Wir wären gesünder durch die sauberere Umwelt und das für Menschen geeignetere Essen.
Craig Morris übersetzt bei Petite Planète.