Die Entstehung des Lebens: Ohne Ei zum Huhn

Schema, nach dem sich die ersten komplexen Moleküle innerhalb eines Tag-Nacht-Zyklus gebildet haben könnten (Grafik: Brookhaven National Laboratory)

Wie entstanden aus einfachen Moleküle komplexere Varianten, die sich selbst vervielfältigen konnten? Forscher liefern eine überraschende neue Antwort

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Die Suche nach dem Ursprung des Lebens ist deutlich komplizierter als die Suche nach der Nadel im Heuhaufen: Die Forscher müssen nach einer Nadel fahnden, von der sie nicht genau wissen, wie sie aussieht, und zwar in einem Heuhaufen, der vor nunmehr 4 Milliarden Jahren existiert hat und von dem niemand ein Foto geschossen hat. Schlimmer noch: selbst über die genauen Verhältnisse auf der frühen Erde weiß man heute nicht mit Sicherheit Bescheid.

Wann ist etwa das Magnetfeld entstanden, das die Oberfläche vor einem Teil der kosmischen Strahlung schützt? Immerhin gibt es aber trotzdem ein paar Anhaltspunkte, denn zumindest das Endergebnis der Entwicklung ist ja bekannt. Wir wissen, dass DNA und RNA Grundlagen des Lebens sind. Vermutlich gab es eine Zeit, in der die einfachere RNA dominierte, die "RNA-Welt".

Doch auch zu ihrer Entstehung mussten Voraussetzungen existieren. Die Atmosphäre der Erde, so viel weiß man, bestand aus Methan (CH4), Ammoniak (NH3), Wasser und Wasserstoff. Man füge Energie in Form kräftiger elektrischer Entladungen hinzu - und das Ergebnis ist ein zu seiner Zeit Aufsehen erregendes Experiment von Harold Urey und Stanley Miller. 1953 zeigten die beiden Forscher, dass sich unter Energiezufuhr aus den Stoffen der Erdatmosphäre Aminosäuren bilden können - die Bausteine des Lebens.

Die Existenz von Aminosäuren genügt noch nicht

Erst vor einem Jahr zeigten Forscher mit Hilfe von Computersimulationen, dass der im Miller-Experiment nachgestellte Ablauf nicht nur eine Möglichkeit war, sondern zwingend so stattgefunden haben muss - vorausgesetzt, die Umstände waren tatsächlich so, wie man heute mit hoher Sicherheit annimmt (Evolution in der Ursuppe).

Doch die Existenz von Aminosäuren genügt noch nicht, damit Leben entsteht. Die Selbst-Vervielfältigung des Lebens vollzieht sich heute nach einem sehr erfolgreichen und gleichzeitig sicheren Schema: Wir haben einen Polymer-Strang, der als Muster für die Duplizierung dient. Dabei handelt es sich aber scheinbar um ein Henne-Ei-Problem: ohne Muster kein Duplikat.

Genau das war die Frage, die sich die Forscher Sergei Maslov und Alexi Tkachenko vom Brookhaven National Laboratory mit Hilfe einer Computersimulation gestellt haben. Das Ergebnis publizierte jetzt das Journal of Chemical Physics.

Eine zwingende Entwicklung

Die überraschende Antwort: Auch in diesem Fall lässt sich zeigen, dass die Entwicklung gewissermaßen zwingend abläuft. Das Huhn schlüpft definitiv auch ohne Ei, und es hat gar keine andere Wahl. Die Physiker zeigen, dass in einer Suppe aus einfachen Molekülen unter bestimmten Bedingungen automatisch Polymere entstehen - und mit ihnen eine Art von Gedächtnis.

Die Forscher bauen ihr System dabei auf einem einfachen Tag-Nacht-Zyklus auf. Tagsüber brechen komplexere Moleküle in kleinere auf, nachts finden sie sich wieder zusammen. In der Simulation vollzieht sich nun ein Prozess, der sehr gut zur Entstehung von Leben geführt haben könnte: Die am Ende des Tages übrig bleibenden Molekülstränge dienen in der Nacht als Muster für neue Moleküle, sodass sich die Länge der Stränge dabei allmählich erhöht.

Dabei genügt bereits ein kleiner Anteil komplizierterer Moleküle, um diesen Prozess zu starten. Ein spezielles Molekül wird eben so wenig vorausgesetzt - diese Art der chemischen Evolution wäre mit RNA ebenso möglich wie mit DNA (oder anderen Formen, die wir nicht kennen, die es aber gegeben haben könnte, bis sie vom RNA- und DNA-Leben ausgerottet wurden).