Die Erwärmungspause fällt aus
Die Energie- und Klimawochenschau: Mithilfe von Satellitendaten konnten zwei britische und kanadische Wissenschaftler zeigen, dass die globale Erwärmung in den letzten 15 Jahren schneller als bisher gedacht voran geschritten ist
In Warschau trifft sich dieser Tage nicht nur die diesjährige UN-Klimakonferenz, sondern auch – auf Einladung der Regierung – die World Coal Association, ein Lobbyverband, dem unter anderem Bergbaugiganten wie Rio Tinto, Glencore und bhp bilton angehören, die rund um den Globus die Erde auf der Suche nach Kohle und Erzen umgraben.
Eigentlich ist ja die einladende Regierung im besonderen Maße für den jeweiligen Erfolg der Klimakonferenzen erforderlich. Dazu würde in diesem Jahr zum Beispiel gehören, dass die Industriestaaten ihre Finanzzusagen für die Klimaanpassung in den Ländern des Südens konkretisieren und dass ein tragfähiger Zeitplan für handfeste Verhandlungen über die nächsten zwei Jahre aufgestellt wird. Andernfalls wird es nämlich auch 2015 in Paris noch kein vernünftiges Abkommen für die Zeit ab 2020 geben, wie es eigentlich zwischen den Staaten bereits verabredet ist.
Nun ja, die Warschauer Regierung scheint das alles nicht so wichtig zu finden und lädt sich lieber die Kohlelobby zu einer Art Gegenkonferenz ein. Natürlich nennt man es nicht so. Es gehe vielmehr darum, die Kohleindustrie klimafreundlicher zu gestalten, heißt es. Hierzulande ist es ja etwas aus der Mode gekommen, neue Kohlekraftwerke mit der unerprobten Technologie CCS (Carbon Capture and Storage) schön zu reden. Allzu schnell hatte es sich gezeigt, dass der Widerstand der Bevölkerung zu groß sein würde. Doch anderswo versucht man es immer noch, auch wenn längst klar ist, dass die sehr energieintensive Technik frühestens ab 2030 zum großflächigen Einsatz kommen kann. Vorausgesetzt natürlich, es finden sich überhaupt ausreichend Lagerstätten für das verflüssigte CO2, die nicht am Protest der jeweiligen örtlichen Bevölkerung scheitern. Deutlicher als mit dieser Einladung an die Kohle-Lobby konnte die polnische Regierung eigentlich ihre Missachtung der Klimaschutzkonferenz im Allgemeinen und der dramatischen Appelle zum Beispiel des Vertreters der Philippinen Naderev Yeb Saño im Besonderen nicht ausdrücken. Entsprechend erntete es auch heftige Kritik von Umweltgruppen, die das Kohle-Treffen zum Ziel ihrer Aktionen machten.
Nix Pause
Derweil gibt es interessante Neuigkeiten aus der Forschung zu berichten. Kevin Cowtan vom Fachbereich Chemie der Universität von York in Großbritannien und Robert G. Way vom Fachbereich Geografie der Universität Ottawa in Kanada sind in einer statistischen Fleißarbeit einem der Lieblingsargumente der Gemeinde der selbst ernannten Skeptiker, oder auch der Denial Industry, wie sie einige in den USA nennen, auf den Leib gerückt. Die vermeintliche Erwärmungspause seit 1998.
Worum geht es? Ein Blick auf die Darstellungen der globalen Temperaturentwicklung des Goddard Institute for Space Studies (GISS) der NASA, der Klimaarbeitsgruppe des britischen Wetterdienstes und der US-Behörde für die Ozeane und die Atmosphäre NOAA vermittelt den Eindruck, dass sich in den letzten Jahren nicht viel getan hat (siehe obige Grafik).
Das führte in den vergangenen Jahren zu allerlei wissenschaftlichen Diskussionen einerseits und gezielter Desinformation von interessierter Seite andererseits. Eine Auswertung der Berichterstattung der US- Medien über den jüngsten IPCC-Bericht, der Ende September veröffentlicht wurde, zeigt zum Beispiel, dass diese scheinbare Pause viele Beiträge dominierte, obwohl sie nur einen winzigen Teil der IPCC-Zusammenfassung für Politiker einnimmt. Dieser sei hier zitiert:
YAufgrund natürlicher Schwankungen sind Trends, die auf kurzen Aufzeichnungsperioden basieren, sehr empfindlich zu den Anfangs- und Endwerten und spiegeln im Allgemeinen nicht die langfristigen Trends wieder. Zum Beispiel ist die Erwärmungsrate der letzten 15 Jahre (1998 – 2012, 0,05 +-0,1 Grad Celsius pro Dekade), die mit einem starken El Niño begannen, kleiner als die über die Jahre 1951 bis 2012 berechnete Erwärmungsrate (0,12 +-0,02 Grad Celsius pro Dekade).
IPCC, Summary for Policy Maker
Und, so lässt sich hinzufügen, der erheblich größere Fehler im kurzfristigen Trend (+-0,1 im Vergleich zu 0,02) zeigt auch, dass die Aussage wesentlich unsicherer ist. In der gleichen, vor rund zwei Monaten veröffentlichten Zusammenfassung findet sich übrigens auch der Hinweis, dass die Ozeane über 90 Prozent der zusätzlichen Energie aufnehmen, die das globale Klimasystem aufgrund der zusätzlichen Treibhausgase in der Atmosphäre abspeichert. Eigentlich könnte man dort also den Erwärmungstrend viel besser nachweisen, was in letzter Zeit tatsächlich auch einige Studien gemacht haben. Das Problem ist allerdings, dass die Wassertemperaturen, vor allem die in größeren Tiefen, wesentlich schwieriger zu messen sind. Erst seit den 1990er Jahren gibt es leidlich flächendeckendes System aus Messsonden.
Wobei wir fast beim eigentlichen Thema sind. Auch die Messungen der Lufttemperatur – ganz genau: der Temperatur in zwei Metern über der Erdoberfläche – sind alles andere als perfekt. Besonders in der Arktis, der Antarktis und im Inneren Afrikas gibt es größere Lücken im Messnetz. (Über den Weltmeeren ist die Datendichte hingegen meist unter anderem aufgrund von Schiffsmessungen ganz gut.)
Der Umgang mit diesen Lücken ist unterschiedlich. Am Hadley Center des britischen Wetterdienstes, das gemeinsam mit der kleinen Climate Research Unit der Universität of East Anglia eine der drei für gewöhnlich zitierten Kurven zusammenstellt, ignoriert man die Lücken faktisch. Ähnlich verfährt die US-Behörde NOAA. Die beiden Kurven repräsentieren also nicht den ganzen Globus, sondern nur rund 84 Prozent seiner Oberfläche.
Das wäre weiter kein Problem, wenn die Erwärmung gleichmäßig verteilt wäre. Wie aber die zweite und die dritte Grafik zeigen, ist das mitnichten der Fall. Vielmehr hat sich vor allem die Arktis besonders rasch erwärmt. Daher zeigt die vom GISS ermittelte globale Temperatur auch einen etwas stärkeren Trend. Das GISS ignoriert die Leerstellen nämlich nicht, sondern füllt sie mit von den Rändern her interpolierten Daten. Letztlich aber auch nicht viel befriedigender als das Verfahren der anderen beiden Gruppen.
Die beiden oben erwähnten Wissenschaftler Cowtan und Way haben nun einen ganz neuen Ansatz gewählt. Sie haben den sogenannten UAH-Satellitendatensatz hergenommen, der Temperaturmessungen der Troposphäre seit 1979 umfasst. Die Troposphäre sind die unteren acht bis zwölf Kilometer der Atmosphäre, die den größten Teil der Luft enthalten und in denen sich das Wettergeschehen abspielt.
Die Aussagekraft der Satellitendaten ist allerdings beschränkt, denn die Mikrowellensensoren, mit denen sie aufgenommen werden, können nicht die Temperatur direkt an der Erdoberfläche messen. Außerdem gibt es eine wissenschaftliche Kontroverse über die Qualität des Datensatzes, der mit verschiedenen Satelliten aufgenommen wurde. Viele Wissenschaftler gehen von einer Drift der Geräte und auch von zeitlichen Inkonsistenzen beim Übergang von einem Satelliten auf den nächsten aus.
Cowtan und Way haben diese Probleme jedoch elegant umschifft. Sie zerlegen die Erde in kleine Gitterflächen. Dort, wo die Monatsmittelwerte der bodennahen Temperatur vorliegen, ermitteln sie die Differenz zu den Monatsmittelwerten der Satellitendaten. Dadurch erhalten sie ein Muster der Abweichungen zwischen Satelliten- und Bodendaten. In den datenfreien Regionen interpolieren sie diese Abweichungen von den Rändern her. Dann nehmen sie die für diese Regionen vorliegenden Satellitendaten, d.h. die Temperatur der Troposphäre her, und berechnen mit den interpolierten Abweichungen die bodennahe Lufttemperatur.
Dadurch, dass dieses Verfahren für jeden Monat neu durchgeführt wird, werden eine etwaige Gerätedrift oder andere zeitliche Inkonsistenzen in den Satellitenmessungen unerheblich. Außerdem haben die beiden Autoren ihre Methode ausgiebig getestet. Dafür wurden für verschiedene Gebiete die Bodendaten künstlich entfernt, mit ihrer Methode neu berechnet und dabei gute Übereinstimmung mit den ursprünglichen Werten gefunden. Außerdem wurden die abgeleiteten Daten der bodennahen Temperatur mit drei Wettermodellen und den Daten arktischer Messbojen abgeglichen, um zu prüfen, ob sie realistisch sind.
Nachdem das Verfahren für tauglich befunden wurde, haben Cowtan und sein Kollege schließlich einen neuen flächendeckenden Datensatz der bodennahen Temperatur berechnet, der statt rund 84 Prozent nun 99,8 Prozent der Erdoberfläche umfasst. Nur die beiden Regionen rund um die Pole bleiben noch ausgespart, da die Satellitendaten nur bis 85 Grad Süd und Nord reichen. Aus dem neuen Datensatz lässt sich nun wiederum die Kurve der globalen Temperatur berechnen (siehe obige Grafik). Und siehe da: die Erwärmungspause löst sich in Luft auf.
Für die wissenschaftliche Gemeinde, die sich mit den Temperaturdaten intensiv befasst, kommen die Ergebnisse nicht allzu überraschend. Schon 2006 hatte Jim Hansen vom GISS in einem Beitrag auf die Unterschätzung der globalen Erwärmung durch die Datenlücke hingewiesen. Cowtan und Way geben an, dass sie auf ihre Idee erst durch eine Pressemitteilung des Hadley Centers gebracht wurden, in der bereits 2009 darauf hingewiesen wurde, dass der von ihr produzierte klimatologische Datensatz HadCRUT die Erwärmung vermutlich unterschätzt.
Die Studie von Cowtan und Way ist bisher nicht online frei zugänglich. Die beiden Autoren haben allerdings ausführliches Hintergrundmaterial ins Netz gestellt. Außerdem wurde die Studie unter anderem von Skeptical Science und von Stefan Rahmstorf in seinem Blog besprochen.