Die Filmindustrie hat einen ersten Sieg erzielt
In einem grundlegenden Urteil wurde es 2600.com verboten, den Code von DeCSS, dem Umgehungsprogramm für die DVD-Verschlüsselung, zu veröffentlichen oder einen Link auf Websites mit dem Programm zu legen
Der New Yorker Richter Lewis Kaplan begründete sein über 90 Seiten umfassendes Urteil wesentlich damit, dass Computercode nicht prinzipiell, wie die Angeklagtenseite ins Feld führte, von der amerikanischen Verfassung als Meinungsfreiheit geschützt sei. Code könne für politische oder künstlerische Aussagen benutzt werden, aber ihn zur Verletzung des Urheberrechts zu benutzen, sei schlichtweg illegal.
Der Prozess der Motion Picture Association of America gegen Emmanuel Goldstein bzw. Eric Corley, dem Herausgeber des Magazins 2600 Hacker Quarterly und den Betreiber der entsprechenden Website www.2600.com/, gilt ebenso wie der Prozess, den die Musikindustrie gegen Napster führt, als entscheidender Schritt für die Auslegung der Urheberrechte im digitalen Zeitalter. Goldstein wurde wegen der Verbreitung von DeCSS verklagt, mit dem sich kopiergeschützte DVD-Videos entschlüsseln lassen, was gegen den Digital Millennium Copyright Act (DMCA) verstoße, der 1998 in Kraft getreten ist. Auch in Europa steht ein dem DMCA vergleichbares Urheberrechtsgesetz an (Streit über Urheberrecht-Richtlinie in der EU).
Wichtigster Punkt der Anklage und wichtigster Gegenstand des Prozesses ist dabei der Paragraph, der jede "Umgehung von Kopierschutzmaßnahmen" verbietet. Schon im Januar hatten die Kläger von Richter Kaplan eine einstweilige Verfügung gegen die Verbreitung von DeCSS erwirkt, die jetzt von ihm in seinem Urteil noch einmal bekräftigt wurde.
Vermutlich werden die von der Electronic Frontier Foundation (EFF) finanzierten Verteidiger in Berufung gehen. So sagte ein Verteidiger von Goldstein, dass die Interpretation der Meinungsfreiheit des Richters falsch gewesen sei und daher der Fall vor dem Höchsten Gericht geklärt werden müsse. Die MPAA sieht in dem Urteil natürlich die "richtige Botschaft", nämlich dass das geistige Eigentum geschützt werden. Die Entscheidung, so der Vorsitzende von MPAA, Jack Valenti, habe eine Wahrheit fest geklopft: "Es ist unrecht, anderen dabei zu helfen, kreative Werke zu stehlen."
Goldstein und seine Verteidiger hatten vor allem darauf abgezielt, dass Computercode von der Verfassung als "speech" geschützt sei und daher nicht in seiner Verbreitung eingeschränkt werden dürfe. Die dafür von der Verteidigung angeführten Argumente bezeichnete der Richter in seinem Urteil allerdings als "grundlos". So schrieb er beispielsweise: "In einem Zeitalter, in dem die Verbreitung von Computerviren ... Systeme stören kann, von denen die Nation abhängig ist, und in dem andere Computerprogramme auch Schaden verursachen können, muss es der Gesellschaft möglich sein, die Verwendung und Verbreitung von Code in angemessenen Umständen zu regulieren." Kaplan verglich die Verbreitung von Computercode über das Netz überdies mit einer Epidemie:
"Die Verbreitung von Mitteln zur Umgehung der Sicherungen von urheberrechtlich geschützten Werken in digitaler Form ist analog zum Ausbruch einer Epidemie. Wenn man die erste Infektionsquelle herausfindet (d.h. den Autor von DeCSS oder die erste Person, die es benutzt), nutzt das gar nichts, da die Krankheit (die durch DeCSS ermöglichte Copyrightverletzung und die daraus resultierende Verfügbarkeit von entschlüsselten DVDs) sich weiter von einer Person, die Zugang zum Entschlüsselungsprogramm oder zu einem entschlüsselten DVD, auf eine andere überträgt. Alles ist "infiziert", d.h. ermöglicht perfekte Kopien der digitalen Daten ...
Normalerweise werden die von einer Krankheit befallenen Opfer eine medizinische Behandlung suchen, was aber im Falle von DeCSS nicht der Fall sei. Man könne nicht davon ausgehen, dass sie sich von dieser Krankheit heilen lassen wollen. Deswegen sei in diesem Fall die "kausale Verbindung zwischen der Verbreitung von Computerprogrammen als solchen und ihrer illegalen Verwendung" auch anders als sonst gelagert. Die Verbreitung selbst kann bereits Schaden zufügen und eröffnet die Möglichkeit einer "praktisch unbeendbaren Urheberrechtsverletzung", die immer weiter geht. Kaplan scheute auch vor einem anderen drastischen Vergleich nicht zurück und sagte: "Computercode ist ebenso wenig rein expressiv, wie die Ermordung eines Politikers eine reine politische Äußerung ist."
Und weil die Verbreitung in Analogie zu einer Epidemie so gefährlich ist, darf nicht nur das Programm oder der Code nicht zum Herunterladen veröffentlicht werden, sondern sind nach Meinung des Richters auch Hyperlinks auf Websites verboten, die dieses Programm anbieten. Auch ein solches Verbot verletze nicht die Meinungsfreiheit: "Im Hinblick darauf, dass die Angeklagten Links auf Sites gelegt haben, die automatisch den Prozess des Herunterladens einleiten, wenn ein Benutzer durch einen Hyperlinks auf sie kommt, ist das keine schwierige Frage. Die Angeklagten begehen damit das funktionale Äquivalent, selbst den DeCSS-Code dem Benutzer zu übermitteln." Schwieriger sei dies mit Links auf Seiten, die Inhalte bieten, die nicht automatisch ein Programm herunterladen. Aber solche Unterscheidungen seien in diesem Fall bedeutungslos, da die anstößigen Links nach dem DMCA einen Handel mit DeCSS bedeuten.
Für Martin Garbus, einen Verteidiger von Goldstein, stellt das Urteil eine Bedrohung des freien Informationsaustausches im Internet dar: "Es würde, da es in das freie Verlinken eingereift, eine der größten Hoffnungen des Internet beenden."
Kaplan hält sich zumindest ein Türchen zum ehrenvollen Rückzug offen. In seiner Zusammenfassung des Urteils führt er an, dass die Kläger viel Geld in die Herstellung von Filmen gesteckt hätten, bei denen sie durch das Urheberrecht das exklusive Recht hätten, sie zum ökonomischen Gewinn zu kopieren und zu vertreiben: "Sie behaupten, dass die Ankunft der neuen Technologie diese lange etablierte Struktur nicht verändern darf." Die Angeklagten hingegen seien Anhänger einer Bewegung, die der Meinung sind, dass Informationen kostenlos für diejenigen verfügbar sein sollen, "die Klug genug sind, in Computersysteme oder Datenspeichersysteme einzubrechen. Sie haben, weniger radikal ausgerückt, eine berechtigte Sorge über die mögliche Auswirkung der Zugangskontrollmaßnahmen im digitalen Zeitalter auf den herkömmlichen 'fair use' zum Ausdruck gebracht."
Eigentlich, so meint der Richter, müssten solche Konflikte konkurrierender Interessen nicht vor Gericht, sondern im Kongress gelöst werden: "Zumindest für den Augenblick hat der Kongress diesen Konflikt im DMCA und zugunsten der Kläger gelöst." Das aber, so könnte man daraus entnehmen, könnte man aber auch anders regeln.