Die Frauen als diskriminiertes Kollektiv
Seite 2: Feministische Fortgänge
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Erstens macht der "Diskurs" über das Patriarchat auch die politische Welt recht übersichtlich. So erklärt sich, warum eine junge radikale Feministin, Laurie Penny, die es besser wissen könnte, sich zur US-Präsidentschaft folgendermaßen äußert8:
Trump und sein Vizepräsident, Mike Pence, sind (beispielhaft) für die moderne Frauenfeindlichkeit: Ein chaotischer, rüpelhafter Bully und ein selbstgefälliger religiöser Eiferer vereint in der Überzeugung, dass reiche alte weiße Männer das Kommando haben sollten. Ihr Sieg ist die Bestätigung, dass die männliche Mittelmäßigkeit immer noch belohnt wird.
Das soll keine Personenbeschreibung sein, sondern eine politische Theorie. Ob sich die Handelskriege gegen China, der Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen, die Verharmlosung von Covid-19 oder die Bestätigung Jerusalems als israelische Hauptstadt aus der angeblichen Hegemonie der weißen männlichen Mittelmäßigkeit erklären?
Die Defizite analytischer Art macht der "Patriarchats-Diskurs" zweitens in psycho-analytischer Hinsicht wieder wett. Einen Rahmentarifvertrag, in dem die Lohndifferenzen festgelegt werden, zu studieren oder die internationale Handels- und Währungsordnung und warum sie das Leben von Frauen in der Dritten Welt ruiniert, das erscheint vielen FeministInnen als Nebengleis, wenn nicht als – typisch marxistische – Themaverfehlung. Aber den Seelenapparaten vom Über-Ich zum Unterbewussten oder dem "Toxischen" in der Männlichkeit nachzuspüren und die Herren Foucault und Lacan zu exegieren u.Ä. – das scheint dem Anliegen, um das es geht, dienlicher zu sein.
Ein Zweites ist der Übergang der Frauenbewegung unter dem Banner der Gleichheit zum Feminismus unter der Fahne der weiblichen Identität und Besonderheit: Die AnwältInnen der Gleichheit "müssen sich mit der (feministischen) Kritik auseinandersetzen, sie sähen Frauen überwiegend als "Mängelwesen", die etwas nicht haben, was die Männer haben. Außerdem besteht die Gefahr, dass männliche Maßstäbe absolut gesetzt werden und eine Angleichung der Frauen an diese Maßstäbe gefordert wird." Es gelte "die Verschiedenheit (Differenz) positiv zu formulieren und zu behaupten"9.
Damit dreht die Bewegung den Spieß um und eignet sich die kursierenden "Narrative" über ihre Inferioriät (schwach, sensibel, emotional etc.) als Belege ihrer Besonderheit, wenn nicht ihrer Überlegenheit an. Ein weibliches Wesen, eben noch als patriarchalische Sichtweise zurückgewiesen, wird zur Auszeichnung, wenn sie Feministinnen verleihen.
Frauen, schrieb Alice Schwarzer 1975, "fühlen unterschiedlich, denken unterschiedlich, bewegen sich unterschiedlich, arbeiten unterschiedlich, leben unterschiedlich. Nichts, weder Rasse noch Klasse, bestimmt so sehr ein Menschenleben wie das Geschlecht". Und dann nennt sie das Buch mit diesem Satz im Vorwort glatt "Der kleine Unterschied".
Die sprichwörtlich gewordene Patriarchats-Kritik von Simone de Beauvoir: "Man kommt nicht als Frau zur Welt, sondern wird es"10, die sich dem Sozialcharakter der Frau/en im Gefolge ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit widmet – und über die sich in dieser Hinsicht reden ließe –, leitet, drittens, einen weiteren Fortgang ein. War die Frau in frauenbewegter Sicht zunächst dem Manne gleich, dann von ihm different, so wird sie jetzt als gesellschaftliche Geschlechtsidentität (engl. gender) sein Produkt oder Objekt, das er schafft, indem er sich mit Macht als das "universale Subjekt" setzt.
In Wirklichkeit ist das zwar nicht so, schon weil es "den Mann" als Kollektiv so wenig gibt wie "die Frau". Aber dieselbe hat nun die Aufgabe, sich von dieser Fremdbestimmung zu emanzipieren, indem sie sich selbst als Subjekt entwirft. Praktisch erregte das zu Zeiten von de Beauvoir oft noch Anstoß und Gegenwehr, der Vatikan setzte "Das andere Geschlecht" auch gleich auf den Index.
Öffentliches Rauchen, schwarze Kleidung, Ablehnung von Haus- und Familienarbeit, insofern frau sich das leisten konnte oder wollte, Promiskuität oder die Absage an die Heteronormalität, das galt zunächst als Angriff auf die guten Sitten.
Theoretisch beförderte diese Emanzipation neue "Diskurse", deren Kernthesen Judith Butler ihrem "Unbehagen der Geschlechter" als Leitsprüche voranstellt: "Strenggenommen kann man nicht sagen, dass die 'Frau' existiert" (Julia Kristeva); "Frauen haben kein Geschlecht" (Luce Irigaray); "Die Kategorie 'Geschlecht' ist die politische Kategorie, die die Gesellschaft als heterosexuelle begründet" (Monique Wittig).
Bevor diese etwas schwer zugänglichen Theorien nun in einem vierten Teil zum Thema werden, vielleicht eine zusammenfassende Bemerkung zum Verständnis der frauenbewegten und postfeministischen Gedankenentwicklung.
Die Misere von Frauen in der kapitalistischen und bürgerlichen Gesellschaft, die sich die AktivistInnen des Frauenrechts als Benachteiligung in einer positiv genommenen Konkurrenz übersetzen, bleibt der produktive Antrieb weiterer Theoriebildung. Diese wandert aber in immer höhere Etagen des ideologischen "Überbaus" ab und verfremdet ihren materiellen Ausgangspunkt bis zur Unkenntlichkeit.
Lesen Sie daher den vierten Teil: Die Auslegung der Auslegung durch die Gender-Bewegung – Die Frau als diskursives Konstrukt.
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