Die Frauen als diskriminiertes Kollektiv

Transparent auf der "Unteilbar"-Demo im Juli 2019 in Berlin. Bild: Tobias Möritz, CC BY-SA 2.0

Von der Frauenfrage zum Gender-Trouble (Teil 3)

Der dritte Teil zeigt, wie die erreichte Gleichberechtigung eine "ungelöste Frauenfrage" hinterließ, aus welcher feministische Fortgänge erfolgten.

Wenn sich Frauen gegen ihre Doppelbelastung und die zugehörigen Ideologien wehren, wenn ihnen Geschlechtsgenossinnen beispringen, deren soziale Lage sie einiger Zwänge enthebt oder durch Bildung privilegiert, wenn sich diesem Streben auch Männer anschließen – alles gut. Bloß, was herauskommt, wenn eine solche Bewegung falsch nachdenkt, auf dieser Basis tätig wird und ihre Erfolge und Misserfolge wieder falsch reflektiert, das ist eine andere Sache, die Kritik verdient.

Gleichberechtigung

Eine zentrale Kritik aus der Gender- oder Queer-Bewegung an der Frauenbewegung, der ersten wie der zweiten1, ist deren selektive Bezugnahme auf "die Frau/en" als eigenes Subjekt. Es wird "moniert(t), dass feministische Ansätze oft von weißen, westlichen, bürgerlichen und heterosexuellen Frauen ausgehen", während "'gender' immer schon durch die Vektoren von 'race' und 'class' geformt" sei (Regina Frey).

Das ist insofern bedenkenswert – die falsche Seite daran dann näher im fünften Teil dieser Reihe –, als eine lohnabhängige Frau materiell gesehen ihrem männlichen türkischen Arbeitskollegen z.B. nähersteht als einer Professorin oder gar der Vorstandsvorsitzenden der Firma, die sie in einer unteren Lohngruppe beschäftigt.

Was sich an der Lage dieser Arbeiterin verbessern sollte, wenn sich die Frauenquote bei akademischen und unternehmerischen Führungskräften in die Richtung von 50 Prozent bewegt, ist überhaupt nicht abzusehen. Wenn ihre Bezahlung keinen Gender-Gap mehr zum Durchschnittslohn der männlichen Arbeiter aufweisen würde, hätte sie vielleicht ein paar Euro mehr.

Es stellt sich dann allerdings schon noch die Frage, ob dieses Mehr auch genug wäre. Für den Fall, dass nicht, was im Land der Billiglöhne ja vorkommen soll, stünde es eigentlich an, nicht – im Verhältnis zum türkischen Kollegen – für gleiche, also gerechte, sondern – mit ihm und gegebenenfalls gegen die Quotenfrauen in der Chefetage – für höhere Löhne zu kämpfen.

"Die Frau/en" als Kollektiv gab oder gibt es im Verhältnis zum Staat, also bezogen auf ein vorenthaltenes Wahlrecht oder die Strafbarkeit der Abtreibung, vielleicht auch in Hinsicht auf einen Chauvinismus männlicherseits. Bezüglich der (auf Englisch schön benannten) "bread-and-butter issues", also der täglichen Angelegenheiten von gewöhnlichen Leuten, löst sich dieses "Kollektiv" wesentlich entlang der Klassenverhältnisse auf, wie sie im ersten Teil des Aufsatzes Thema waren.

Die erste Frauenbewegung allerdings verschob die Frage schon in eine Richtung, die seinerzeit ein Kollege von Charles Darwin, Alfred Russel Wallace, bezeichnend beschrieben hat. Der Sozialist August Bebel zitiert ihn so2:

Wenn keine falschen Beschränkungen einem menschlichen Wesen wegen des Zufalls des Geschlechts auferlegt werden (...), dann (wird) ein System der menschlichen Auswahl sich geltend machen, welche eine reformierte Menschheit zur Folge haben muss. (...) Der erste Schritt daher in der Emanzipation der Frauen ist die Hinwegräumung aller Beschränkungen, welche sie verhindern, mit den Männern auf allen Gebieten der Industrie und Beschäftigungen zu konkurrieren (!). Aber wir müssen weitergehen (...). Viele der Beschränkungen, unter denen die Frauen bisher gelitten, wären ihnen erspart worden, hätten sie eine direkte Vertretung im Parlament gehabt.

Bebel scheint über den zitierfähigen Evolutionstheoretiker so erfreut gewesen zu sein, dass er den Idealismus der Konkurrenz gar nicht bemerkt, den Wallace hier propagiert. Idealismus deshalb, weil er sich von der marktwirtschaftlichen Konkurrenz glatt eine "reformierte Menschheit" verspricht, wo sie als Verlaufsform des Kapitalismus doch auch die ungemütlichen Geschlechter-Verhältnisse hervorbringt, also laut Marx der "Verhimmlung durch Middleclass-Propheten"3 wie Wallace bedarf. Auch die geforderte und erstrittene "direkte Vertretung im Parlament" hat den gewöhnlichen Frauen in materieller Hinsicht nicht viel "erspart", ihre Anerkennung als gleiche Rechtssubjekte haben sie allerdings ganz klassenübergreifend erreicht.

"Ungelöste Frauenfrage"

Der Kampf um Gleichberechtigung, der auch in der zweiten Frauenbewegung noch unterwegs ist, stellt die gegebenen Produktionsverhältnisse nicht in Frage, eher im Gegenteil. Die Forderung nach gleichem Lohn bezieht sich positiv auf das Lohnsystem, nimmt nicht Maß an Bedarf und Bedürfnis, sondern am Unterschied, und sieht sich mit dessen Nivellierung, die auch durch Lohnsenkung bei den Männern erfolgen kann, erst einmal bedient.

Das Verlangen nach gleichen Bildungs-, Beschäftigungs- und Aufstiegschancen lässt die ganze Hierarchie der Berufe und die substanziellen Unterschiede der daran geknüpften Einkommen ebenfalls stehen. Es wehrt sich nur gegen "falsche Beschränkungen" "wegen des Zufalls des Geschlechts" in der Konkurrenz um die benötigten oder begehrten Positionen.

Dies ist ein Wettbewerb, der weder Studien- noch Arbeitsplätze oder Karriereposten vermehrt, sondern nur die Auf- und Absteiger neu sortiert, dabei ihre Anstrengungen, sich der Gegenseite als benutzbar anzudienen, eher beflügelt und eventuell den Frauenanteil der Konkurrenz-Gewinner erhöht. Was erwerbstätige Frauen als Ungleichheit wahrnehmen, kommt daher, dass ihnen die gleiche Zwecksetzung der herrschenden Ökonomie gegenübertritt, die auch die arbeitenden Männer trifft und aus der die im ersten Teil dieser Aufsatz-Reihe beschriebenen Abstriche an Lohn und Karriere resultieren.

Die kapitalistische Form der Entlohnung nach Konkurrenzlage war und ist durch die privatrechtliche und staatsbürgerliche Gleichstellung der Frau offenbar nicht auszuhebeln - und hinterließ in der Konsequenz auch aus feministischer Sicht eine "ungelöste Frauenfrage", so ein Buchtitel von Mechthild Cordes4.

Dabei hätte die erste Frauenbewegung diese Einsicht in die Verhältnisse durchaus gewinnen können, in ihrem sozialistischen Flügel wurde das auch diskutiert. Sie hat aber das verspürte Paradox erreichter Gleichberechtigung und verbliebener Misere in Beruf und Familie theoretisch falsch gefasst und ist praktisch einen anderen Weg gegangen. Cordes beschreibt beides recht lapidar so5 :

Die wichtigsten Erklärungsansätze für die faktische Ungleichheit von Frauen und Männern sind der Gleichheitstheorie zufolge: Die ungleichen Lebensbedingungen von Frauen und Männern sind das Resultat männlicher Herrschaft und der mit ihr verbundenen Diskriminierung von Frauen. (...) Der Gleichheitsansatz führt zu folgender Schlussfolgerung für das Handeln: Wenn ich davon ausgehe, dass Frauen und Männer eigentlich gleich sind, aber in der Realität finde, dass sie ungleich sind, dann suche ich nach dem System, das die Gleichheit verhindert, d. h. ich leiste Patriarchats-Kritik auf der theoretischen Ebene; ich versuche wiederzugewinnen, was mir vorenthalten wird, d.h. ich kämpfe um gleiche Teilhabe auf der politisch- praktischen Ebene.

Kritik am "Patriarchat", Kampf gegen Diskriminierung bzw. für politische Teilhabe und Anerkennung – das waren die falschen Schlüsse aus dem Tatbestand der verbliebenen Schädigung.

Politische Teilhabe

Was die politische Teilhabe angeht, so hatte die Marxistin Clara Zetkin schon 1889 einen wesentlichen Hinweis dazu gegeben:

Die Länder, in denen das angeblich allgemeine, freie und direkte Wahlrecht existiert, zeigen uns, wie gering der wirkliche Wert desselben ist. (...) Wenn die soziale Emanzipation von den politischen Rechten abhinge, würde in den Ländern mit allgemeinem Stimmrecht keine soziale Frage existieren.

Dieses Argument machte sich die Frauenbewegung bekanntlich nicht zu eigen. Stattdessen bekam vor allem in ihrer zweiten Welle, also nach Abschluss der rechtlichen Gleichstellung, der Kampf gegen Diskriminierung und für Anerkennung einen Stellenwert eigener Art. So erklärt sich, dass heutzutage eine Lohnsteigerung für Verkäuferinnen, die Erhöhung des Frauenanteils der Professuren, die Einrichtung von Frauenbeauftragen sowie Frauenparkplätzen, der Zugang der Frauen zur Bundeswehr, das Binnen-I bei Personenbezeichnungen und überhaupt das Gender-Mainstreaming6 sehr unterschiedslos und gleich-gültig als Erfolge der "Emanzipation" und des Feminismus gewürdigt werden.

Das sind sie jedoch nur gemessen am abstrakten Maßstab der Anerkennung des Kollektivs Frau, nicht aber bezüglich der materiellen Lage. Umgekehrt bleiben im ebenso gleichmacherischen Kampf gegen "Diskriminierung" noch jede Menge disparater Dinge zu tun: Die Vermarktung der Frau in der Werbung, die Billiglöhne der Verkäuferinnen, Nachlässigkeiten beim Gendern im Schrifttum, zu geringer Frauenanteil auf Literaturlisten, zu wenig Frauen im Bundestag, noch nie ein weiblicher Ministerpräsident in Bayern, ein "frauenfeindliches" Gedicht an der Außenwand einer Hochschule, die Pink Tax usw.

Es ist also kein Wunder, dass eine auf dieser Ebene politisierte Bewegung lässig von den herrschenden oder dahin aufstrebenden Parteien instrumentalisiert und zu einem ihrer Flügel gemacht werden kann. In der Teilhabe an der politischen Macht oder der Vorbereitung darauf werden auch FeministInnen dann zu ziemlich normalen Repräsentanten nationaler "Sachzwänge", wofür vor allem die Grünen Beispiele liefern.

Grund: "Mann"

Was den anderen Schluss, die Kritik am "Patriarchat" betrifft, so ist er als Fehler gewissermaßen folgerichtig. Wenn frau die kapitalistische Gesellschaft als Ansammlung von Chancen und Möglichkeiten sieht, zu denen sie aber ihrer Weiblichkeit wegen keinen vollen Zugang habe, ist sie schnell dabei, die Ursache dafür im anderen Geschlecht zu suchen und zu finden. "Männer haben ein Interesse an der Aufrechterhaltung der sozialen Ungleichheit, da sie ihnen Vorteile verschafft", resümiert die zitierte Autorin der "ungelösten Frauenfrage"7. Sie bemerkt offenbar nicht die theoretische Dürftigkeit, mit der sie "Männer" an eine Stelle setzt, wo der Sache nach wenigstens ein soziales oder gesellschaftliches Subjekt stehen müsste.

Ein Arbeitgeber fährt hier durchaus "Vorteile" ein, die Arbeitgeberin aber auch. Welchen Vorteil allerdings ein Verkäufer bei Edeka verzeichnen soll, weil die Verkäuferin weniger verdient, oder was es dem Ehemann nutzt, wenn seine Frau für Billiglohn arbeitet, bleibt unerfindlich.

Auf solche Sachlagen kommt es offenbar nicht besonders an, wenn der Mann zum unmittelbaren Gegner der Frau und die Gesellschaft zur Männerwelt erklärt werden soll. Dann reicht die Rede vom "Patriarchat" aus, um alles, was verschiedenen Frauen in unterschiedlichen Bedrängnislagen geschieht, auf diesen "Grund" herunterzubringen. Feministinnen, die von sich weisen, dass die Frauenrolle eine von Natur aus gegebene sei, stößt im umgekehrten Fall nicht weiter auf, dass sie für die Männerrolle natürliche Umstände durchaus gelten lassen. Das hat Folgen.

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