"Die Freitagspredigt ist kein ominöses Vehikel zur Politisierung der Massen"
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Moschee-Report: Die mediale "Islamdebatte" treibt Teile der Politik vor sich her. Interview mit Sulaiman Wilms
Sulaiman Wilms ist Chefredakteur der monatlich erscheinenden Islamischen Zeitung. Er verfolgt seit langen Jahren die Islamdebatte und bemängelt dabei, dass die Islamdebatte Teile der Politik vor sich hertreibt.
Telepolis sprach mit ihm über die jüngsten Diskussionen um Constantin Schreibers Buch "Inside Islam" und seinen Moschee-Report (vgl. Moscheen: Der Klischeereport), der Forderungen nach mehr Kontrolle durch die Politik nach sich gezogen hat (siehe Spahn: "Wir müssen wissen, was in den Moscheen passiert").
Kritische Gelassenheit im Umgang mit vermeintlich "heißen" Themen
Herr Wilms, in den letzten Tagen wurde sehr viel über das Buch "Inside Islam" von Constantin Schreiber diskutiert, der im Rahmen seiner Recherche an die 20 Moscheen besucht und die Predigten übersetzt hat. Wie haben Sie die Debatte wahrgenommen, in der die Predigten als zu konservativ und anti-demokratisch bezeichnet wurden?
Sulaiman Wilms: In dem konkreten Fall habe ich die Debatte, die ja noch in vollem Gang ist, als differenziert und vielschichtig wahrgenommen.
Das liegt einerseits daran, dass das Gesamtpaket aus Buch und Dokumentarserie nicht unkritisch in den "Kanon" der vermeintlichen Islamdebatte übernommen wurde. Von Anfang an hinterfragten Journalisten, Fachleute und Muslime die dem Buch zugrundeliegende Faktenlage, stellten wohl unglückliche Übersetzungsfehler etc. infrage und - das ist in dieser Hinsicht auch wichtig - bezweifelten die Tragfähigkeit des methodischen Ansatzes von Herrn Schreiber, der - nach letzten Informationen - wohl kaum mehr als ein Dutzend Moscheen besucht haben soll.
Diese kritische Gelassenheit im Umgang mit vermeintlich "heißen" Themen halte ich für ein wichtiges Korrektiv, das in der Vergangenheit zu oft fehlte.
Andererseits haben entscheidende Segmente der Politik - allen voran die Führungen beider Parteien in der Großen Koalition - der aufmerksamkeitsökonomischen Forderung nach einem "Islamgesetz" mit Verweis auf verfassungsrechtliche Fundamente erst einmal eine Absage erteilt. Auch das halte ich für ein nicht zu unterschätzendes Signal.
Natürlich dürfen wir nicht vergessen, wie sehr mittlerweile die mediale "Islamdebatte" Teile der Politik vor sich hertreibt. Es ist schon bedenklich, dass Schreibers Titel noch vor dem eigentlichen Anlaufen seines Verkaufs bereits auf führenden Plätzen der Bestsellerlisten landete. Und es ist - leider - auch keine Überraschung, dass die verzweifelt nach Inhalten suchenden rest-konservativen Elemente der Union, sowie ihr publizistischer Anhang, Schreibers Vorlage zur Identitätsbildung, Abgrenzung und Simulation von Aktivität nutzen.
"Von Religionsfreiheit hin zu einer Religionssicherheit"
Interessant war, dass nach dem Moscheereport sofort aus politischer Seite zum Beispiel durch Jens Spahn (CDU) Forderungen nach einer stärkeren Kontrolle durch den deutschen Staat laut wurden. Jens Spahn war auch Gast bei der Buchpräsentation von "Inside Islam" und hielt dort eine Rede. Wie bewerten Sie das Zusammenspiel des vermeintlichen Enthüllungsjournalismus eines Constantin Schreiber mit Politikern wie Jens Spahn?
Sulaiman Wilms: Das war doch eine ganz erstaunliche Sache, oder? Noch bevor das breite Publikum - oder die Fachpresse - richtig Zeit hatte, sich mit den "Enthüllungen" zu beschäftigen, präsentiert ein Bundespolitiker schon ein Konzept, wie er dem "Problem" Herr werden will.
Das ist meiner Meinung ein eklatantes Beispiel dafür, wie sich Politik derzeit bei als wichtig wahrgenommenen Themen durch Medien vor sich hertreiben lässt. Allerdings: Selbst bei schlechtem Kurzzeitgedächtnis darf nicht vergessen werden, dass Spahns jetzige Initiative das Upgrade einer bereits bestehenden Idee für ein fragwürdiges "Islamgesetz" von 2015 ist.
Die wurde übrigens auch damals schon von den dominanten Elementen der Koalition verworfen. Das wissen die Politprofis von der Union, die den Vorschlag mittragen, sicherlich auch. Es stellt sich also die Frage, ob es ihnen um die Sache selbst geht oder darum, sich gegen die schwächelnde Konkurrenz von rechts zu profilieren. Nachdenklich stimmend daran finde ich unter anderem den anhaltenden Trend der Debatte, verfassungsrechtliche und -philosophische Grundsätze über den Haufen zu werfen, wenn es um die "Islamdebatte" geht.
Auf diesen Aspekt hat unser Herausgeber, Abu Bakr Rieger, hingewiesen und angemerkt, dass es einen bedenklichen Trend "zu einer Neudefinition von ‘Religionsfreiheit’ hin zu einer ‘Religionssicherheit’" gebe: "Der Staat will sicher gehen: Als ungefährlich wird die Glaubensausübung des Bürgers nur noch angesehen, wenn sie registriert und kontrolliert wird."
Es findet hier eine Umkehr statt. Gläubige und ihre Moscheegemeinden unterlägen demnach einer Bringschuld gegenüber dem Staat. Müssten also fortlaufend bezeugen, dass sie nicht dem Extremfall entsprächen.
Fehlende Anbindung vieler Freitagspredigten an die lokale Wirklichkeit
Was für eine Rolle spielt eigentlich die Freitagspredigt in einer Gemeinde?
Sulaiman Wilms: Lassen Sie mich vorausschicken, dass Daniel Bax Constantin Schreiber zu Recht darin zustimmt, wenn dieser eine fehlende Anbindung vieler Freitagspredigten (arab. Khutba) an die lokale Wirklichkeit feststellt. Dem ist zuzustimmen und das wird auch in großen Teilen der innenmuslimischen Debatte als Manko festgestellt.
Zuallererst ist das Freitagsgebet der wöchentliche Feiertag der Muslime. Der Freitag (arab. Jumu’ah) selbst ist der einzige Wochentag, der im Arabischen nicht nummeriert ist, sondern nach seiner Funktion benannt wurde. Es ist der Tag der Versammlung. Der Moment des Tages und der Woche, an dem sich alle Gemeindemitglieder treffen. Die dortige "Predigt" hat in ihrer rituellen Wertung den Rang eines halben Gebets.
In ihr - hier läuft der Unionsvorschlag aus Gründen der Unkenntnis in die Leere - gibt es rituelle Teile, die auf Arabisch gesprochen werden müssen. Das sind Gebete, Segenswünsche für den Propheten, die Anwesenden und ihre Mitmenschen.
Der Rest kann und muss in einer Sprache gehalten werden, die die Anwesenden verstehen. Ihr Ziel ist neben transzendenten Aspekten, die Gemeinde auf wichtige Punkte, Anliegen und Projekte ihrer realen Lebenswirklichkeit zu fokussieren, sie spirituell zu erheben und wichtige Impulse zu geben.
Sie ist nicht - trotz evidenter, nicht zu leugnender Gegenbeispiele - der Ort für auswärtige Wahlkämpfe, für die Lösung unlösbarer geopolitischer Fragen oder der Augenblick, die Schlechtigkeit der Welt anzukreiden. Das heißt, die Freitagspredigt ist kein ominöses Vehikel zur "Politisierung der Massen", sondern ein Moment des Ausgleichs, der Besinnung und der Konzentration auf das Naheliegende.