"Die Freitagspredigt ist kein ominöses Vehikel zur Politisierung der Massen"
Seite 2: Notwendig: Das Freitagsgebet auf Deutsch
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Auch unter Muslimen wird über die Freitagspredigten diskutiert. Vor allem junge Muslime fühlen sich durch die Predigten oft nicht angesprochen, weil sie fern ihrer Lebensrealität in Deutschland sind. Wenn wir die Skandalisierung von "Inside Islam" beiseitelassen, was sind die Herausforderungen, vor der die Moscheen stehen, relevante Inhalte ihren Gläubigen zu liefern?
Sulaiman Wilms: Das Problem ist durchaus bekannt und wird auch - teils heftig - diskutiert. Ich möchte auch hier um Differenzierung bitten. In Ermangelung belastbarer Daten weiß keiner wirklich, in wie vielen Fällen diese "Predigten" hinter den Anforderungen der Lehre und den Erwartungen der Muslime zurückbleiben.
Es gibt genug Beispiele wie die Penzberger Gemeinde, das Islamische Kulturzentrum Wolfsburg und sehr viele andere mehr, bei denen sich die Verantwortlichen die größte Mühe geben. In steigendem Maße werden sogar in gut ausgestatteten Einrichtungen Angebote zur Simultanübersetzung gemacht.
Zurück zu Ihrer Frage: Das eine ist die Sprache. Es ist sicherlich notwendig, dass in den nächsten Jahren Moscheegemeinden in Deutschland flächendeckend das Freitagsgebet auf Deutsch abhalten. Sie können sich nicht gegen eine natürliche Entwicklung stellen und den Zustand der "Migration" über seine normale Halbwertszeit hinaus verlängern.
Dann braucht es entsprechende Köpfe, welche in angemessenem Deutsch relevante Inhalte so vermitteln, dass sie bei ihrem Zielpublikum ankommen. Sie müssen die Menschen - um mal einen banalen Satz zu wiederholen - dort abholen, wo sie sind. Sie müssen deren existenziellen Kern kennen und diesen ansprechen.
Ein konstruiertes Beispiel wäre eine Gemeinde, bei deren Mitgliedern es gehäuft zu Scheidungen und Trennungen kommt, also ein alltägliches Problem. In dem Fall müsste der Redner, der auch zumeist der Imam ist, die Gemeinde sowie deren Umstände kennen. Auf Grundlage seines Wissens ist es dann seine Verantwortung, das Problem anzusprechen, im Lichte der Lehre zu interpretieren und - idealerweise - Lösungsansätze anbieten.
Was wir sicherlich nicht brauchen (von der rechtsstaatlichen Fragwürdigkeit solcher Ideen abgesehen), sind staatlich alimentierte "Experten", die dann im Sinne einer "Zähmung" des Islam die religiösen Bedürfnisse der Muslime bedienen. Die Vermengung des legitimen staatlichen Sicherheitsbedürfnisses mit rituellen und spirituellen Kernelementen unserer Religion ist meiner Meinung nach kein probates Mittel.
Und eigentlich kann niemand wirklich wollen, was ja seltsamerweise in den letzten Monaten stellenweise kursierte, dass in totalitären, aber politisch genehmen Staaten wie Ägypten Imame für Deutschland ausgebildet werden. Zumal, auch das ein "schwarzes Loch" der Kurzschlussdebatte, es in Deutschland keinerlei Einrichtungen gibt, die derzeit überhaupt das geforderte Personal ausbilden könnten.
"Wir müssen miteinander reden"
Sie sind Chefredakteur der monatlich erscheinenden Islamischen Zeitung und verfolgen hautnah die Debatten rund um die Muslime in Deutschland. Was muss sich grundlegend sowohl auf Seiten der Mehrheitsgesellschaft (Politik, Medien) aber auch auf Seiten der muslimischen Community in Deutschland ändern, um eine konstruktive Debatte führen zu können?
Sulaiman Wilms: Um es in einem Satz zusammenzufassen: Wir müssen miteinander reden. Die Mehrheitsgesellschaft - angesichts der unzähligen Partikularinteressen ein fragwürdig gewordener Begriff - sollte sich meiner Meinung nach an die anerkannten grundgesetzlichen Standards halten und nicht ständig neue, erodierende Konzepte auf den Markt werfen.
Es braucht einerseits eine Trennung zwischen dem notwendigen Sicherheitsbedürfnis von Staat und Gesellschaft, deren beider Teil die hiesigen Muslime ja sind, und andererseits religionsrechtlichen Fragen, die nach der Gesetzeslage zu beurteilen sind.
Und, das gilt weit über die "Islamdebatte" hinaus, Politik muss sich ihre Souveränität gegenüber dem Druck von Medien und einer amorphen Öffentlichkeit bewahren. Sie darf ihren Blick nicht für ihr aufgeklärtes Eigeninteresse verlieren, dessen Teil die Millionen Muslime dieses Landes sind.
Es würde zu weit führen, spräche ich jetzt alle "offenen Baustellen" seitens der muslimischen Gemeinschaft(en) Deutschlands an. Soweit es die Debatte betrifft, brauchen wir insgesamt eine massive Professionalisierung. Das heißt nicht etwa, mehr glatte, unpersönliche PR-Profis, sondern die Verfügbarkeit fähiger Fachexperten, die sachlich und ausgestattet mit der nötigen Legitimation mit anderen sprechen können.
Es braucht darüber hinaus von muslimischer Seite ein viel größeres Bewusstsein für die eigene Außenwirkung. Wir benötigen nicht bloß eine viel bessere Darlegung unserer Inhalte, sondern auch eine intuitive Wahrnehmung - sowie das entsprechende Verhalten - von unserer Umwelt und ihren Gegebenheiten.
Um abschließend auf den Ausgangspunkt zurückzukommen: Unsere Moscheen müssen so gestaltet sein, dass jeder zu jedem Zeitpunkt zu ihnen kommen kann. Und dass das, was er oder sie dort vorfindet, so einladend ist, dass es keine mediale Vermittlung mehr braucht.