Die Geißel Europas

In fast allen EU-Ländern wären Entwickler durch die kalte Legalisierung von Softwarepatenten gefährdet

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Mit der Einführung eines gesonderten Patentgerichtsweges versucht die EU-Kommission derzeit, die vom Parlament verbotenen Softwarepatente auf kaltem Wege zu legalisieren. Das hätte ausgesprochen problematische Folgen für die Softwareentwicklung – nicht nur in Deutschland, sondern fast überall in Europa.

Software ist in der EU bisher durch das Urheberrecht geschützt, das dafür sorgt, dass nicht abgeschrieben werden darf. Wer aber mit eigener Programmierleistung Programme schreibt, der darf diese bisher legal veröffentlichen und auch damit Geld verdienen. Mit Softwarepatenten wäre das anders: Hier gibt es zwanzigjährige Monopolschutzfristen auf Trivialideen wie den Statusbalken bei der Installation oder die Bestellung mit einem Klick. Auch das "Andocken" an Windows über die API-Schnittstellen kann mit Softwarepatenten ganz einfach verboten werden (Vgl. Sind Patente ein Patentrezept?).

In den letzten Jahren erteilte das Europäische Patentamt, wider die gesetzlichen Regelungen, zahlreiche fragwürdige Softwarepatente. Bisher konnte die ordentliche Gerichtsbarkeit diese Patente bei einer Überprüfung für rechtswidrig erklären - was dazu führte, dass die Inhaber solch fragwürdiger Patente sich mit Klagen eher zurückhielten und kleine und mittlere Firmen in Ruhe ließen. Mit einer eigenen Patentgerichtsbarkeit würde diese Kontrolle wegfallen, und eine Klagewelle vorwiegend amerikanischer Firmen könnte wie der Hunnensturm über Softwareentwickler überall in Europa hinwegfegen (Vgl. Neuer EU-Vorstoß zur Patentreform stößt auf vielerlei Bedenken).

Nicht nur alternative Betriebssysteme wie die Plan-9-Weiterentwicklung Plan B, die unter Leitung von Francisco J. Ballesteros in Madrid geschrieben wird und einige sehr innovative Ideen umsetzt, der in Finnland entstandene Linux-Kernel oder das vorwiegend in Deutschland erdachte Knoppix haben Ihre Basis in Europa, sondern auch zahlreiche Programme, die Microsoft-Betriebssysteme erst praktisch nutzbar machen.

Im Auslieferungszustand und in den Voreinstellungen ist Windows alles andere als perfekt. Diese Situation nutzen fleißige Programmierer überall in der Welt um Tausende von Tools herzustellen, die das Monopol-Betriebssystem, sicherer und stabiler, bequemer und benutzbarer machen. Von den Programmen, mit denen Windows-Nutzer die Schwächen des Systems ausgleichen, kommt ein großer Teil nicht aus den USA, sondern aus EU-Ländern wie Deutschland, Frankreich, Italien, Ungarn, Tschechien, Schweden, Finnland, Rumänien und der Slowakei. Und auch wenn viele Programme Beiträger aus vielen verschiedenen Ländern haben, so gibt es doch Entwicklungszentren, wie etwa beim MLDonkey in Frankreich, wo die Programmiersprache OCaml eine besonders starke akademische Basis hat.

Statt der im Betriebssystem enthaltenen unbrauchbaren Spyware (die kaum Codecs enthält und beim Nachladen Konflikte erzeugt, die zu Bild- und Tonstörungen führen) bevorzugen immer mehr Windows-Nutzer den in Frankreich entwickelten VLC oder den aus Ungarn stammenden MPlayer. Die beiden Programme beherrschen fast alle Codecs störungsfrei und ohne ständige Nachinstallation - mit ihnen lassen sich gespeicherte YouTube-FLVs ebenso problemlos ansehen wie DVDs. Andere weit verbreitete Windows-Tools sind das slowakische Burrrn, mit dem sich auch OGG- und AAC-Musikdateien auf CD brennen lassen, der Eraser aus Irland, der Daten wirklich von der Festplatte löscht, anstatt nur den Verweis darauf, VirtuaWin aus Schweden, mit dem sich Windows wie GNU/Linux mit virtuellen Desktops für verschiedene Zwecke ausstatten lässt, das italienische Tool SpeedFan, mit dem sich jederzeit die Temperaturen im Rechner und der Zustand der Festplatten auslesen lassen, Barts PE Builder, mit dem sich eine Notfall-CD erstellen lässt, von der aus man bei einem zerschossenen System Daten retten kann, IrfanView, ein extrem leistungsfähiger Bildbetrachter und -konverter, entwickelt vom in Wien lebenden Bosnier Irfan Skiljan, der vom Finnen Lauri Pesonen geschriebene HFVExplorer, der alte Apple-Speichermedien auf Windows lesbar macht oder die britische Software Partition Logic, mit der sich Partitionen ausgesprochen einfach erstellen, verkleinern und vergrößern lassen.

Doch diesem kleinen Wirtschaftswunder droht durch den gesonderten Patentgerichtsweg Gefahr – paradoxerweise gerade von der EU-Kommission, die doch eigentlich europäische Softwareentwicklungen fördern sollte. Vor diesem Hintergrund werden die Strafen und Auflagen, die die EU-Kommission öffentlichkeitswirksam gegen Microsoft verhängte, Makulatur: Mit der einen Hand fordert die Kommission von Microsoft, Windows ohne Media Player anzubieten, mit der anderen schafft sie durch die Legalisierung von Softwarepatenten erst die Grundlagen für neue Monopole des Konzerns. Dabei würden sich mit etwas weniger Regulierungswut manche Probleme vielleicht von ganz alleine lösen: Zum Beispiel über die zahlreichen europäischen Entwickler, die das Medienplayer-Monopol von Microsoft ganz unbürokratisch angehen, indem sie einfach bessere Alternativen zum Windows Media Player programmieren – so lange, wie ihnen das die EU-Kommission noch erlaubt.

Vor allem Programme, die viele oder alle Formate beherrschen, wie VLC, IZArc und Burrrn sind potentiell gefährdet. Die Entwickler von VLC gingen deshalb in die Offensive und machten öffentlich bekannt, dass die Programmierung von Multimedia-Software bei einer Legalisierung von Softwarepatenten zu einem Minenfeld würde, weil alle wichtigen Formate von sehr breiten und trivialen Patenten "geschützt" sind, die Weiterentwicklung und Interoperabilität verhindern. Laut den Entwicklern von VLC wird 99% der europäischen Softwareentwicklung von kleinen und mittleren Unternehmen geleistet, denen Softwarepatente nur schaden.

Diese Einschätzung bestätigen auch mittelständische Softwareentwickler wie auch Andrej Mertelj von der slowenischen Firma DataLab, die mit ihrer Software Pantheon nach eigenen Angaben häufig Programmierneuland betritt, aber bewusst keine Patente hält, obwohl einige der DataLab-Entwicklungen auch in den Produkten von Konkurrenten genutzt wurden: Mertelj ist überzeugt, dass Patente mehr Probleme für die Softwareentwicklung erzeugen, als sie lösen, weil der Aufwand zur Klärung der rechtlichen Fragen den Zeitpunkt des Markteintritts verzögern und die Softwareproduktion deutlich verteuern würde.

Auch der tschechische Anbieter Alwil, der die Antivirensoftware avast! herstellt, verzichtet bisher auf Softwarepatente, und würde am liebsten auch weiterhin darauf verzichten. Bei Alwil verweist man darauf, dass das Prüfsystem beim Europäischen Patentamt so viel Triviales durchlässt, dass Softwarepatente schon aus diesem Grund allein mehr Schaden für innovative Firmen anrichten als sie Nutzen bringen können.

Mit ihrer Haltung stehen DataLab und Alwil keineswegs allein, sondern bilden die ganz überwiegende Mehrheit. Als eine Konsultation zur Zukunft des EU-Patentwesens ergab, dass kleinere und mittlere Softwareunternehmen Patente als schädlich und gefährlich ansehen, gab die EU-Kommission nicht etwa ihren Softwarepatentkurs auf, sondern stellte statt dessen Steuergelder zur Werbung für Softwarepatente bereit (Vgl. Softwarepatent-Gegner beklagen Mogelei bei EU-Konsultation).

Kleine und mittlere Unternehmen spielen zwar eine weitaus wichtigere Rolle für Software-Innovationen als etwa der Siemens-Konzern, sind jedoch wesentlich weniger eng mit der Politik und der EU-Bürokratie verschlungen. Nachdem sich im Zuge der Siemens-Affäre das Netz auch um den ersten Softwarepatentbefürworter der Nation, Heinrich von Pierer, immer enger zieht, stellt sich auch eine andere Frage immer dringender: Wem, außer Microsoft und Siemens, nützen Softwarepatente eigentlich?