"Wir sind Europameister!"
Die Regierung spricht nun von "computer-implementierten Erfindungen, Siemens erklärt Politikern die Softwarepatentfrage und München soll zur "Hauptstadt des geistigen Eigentums" werden
Am 6. Juli fand in München das Symposium "Innovation und geistiges Eigentum in Deutschland" statt, bei dem sich ein enger Kreis aus Politik, Bürokratie und Industrie gegenseitig die Notwendigkeit von Softwarepatenten für die nationale Konkurrenzfähigkeit bestätigte.
Als erste PR-Maßnahme hatten die Veranstalter geschickt den Begriff des "geistigen Eigentums" gewählt, der grundlegend verschiedene Rechte wie Patente, Urheberrecht und Markenrecht sowie ausgesprochen wenig vergleichbare Produkte wie Software, Autos und Musik vermengt.1 Die Verwendung des Kampfbegriffs zeigte zumindest bei manchen traditionellen und schlichter ausgerichteten Medien seine Wirkung: So tappte beispielsweise das Heute-Journal in die PR-Falle, unterschied nicht zwischen Patenten und Urheberrecht und sah die Softwarepatentgegner als "mächtige Lobby" der "Raubkopierer und Ideenklauer", die der Volkswirtschaft Schaden in Milliardenhöhe zufügten.
Weniger gut funktionierte die zweite Sprachregelung, anstatt von "Softwarepatenten" nur noch von "computer-implementierten Erfindungen" zu sprechen. Mit diesem PR-Begriff, der offenbar eine Beschränkung der Patentierbarkeit suggerieren sollte, wo in der Realität keine stattfindet, hatte unter anderem der Kanzler seine Schwierigkeiten: "'Softwarepatente' steht hier", zitierte er sein Manuskript und sagte darauf: "Moment mal - darf ich aber nicht mehr sagen - also der Schutz 'computer-implementierter Erfindungen'."
Auch Justizministerin Zypries widersprach sich trotz gedruckten Redemanuskripts: Wenn sich - wie sie feststellte - "unsere gesetzliche Ordnung" bewährt habe, wieso sollte sie dann in Richtung amerikanische Verhältnisse verändert werden, wo Zypries selbst Patentexzesse zugeben musste? Ihr Herausstreichen der Schaffung von 200 neuen Patentamtsstellen "in Zeiten knapper Kassen" vertrug sich wenig mit den von den Patentämtern gern gepflegten Mythos der vollständigen Selbstfinanzierung.
Dem Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) bescheinigte sie bei der Prüfung der Erfindungshöhe einen "hohen Standard" gehalten zu haben, gleichzeitig musste sie einräumen, dass sich Trivialpatente zu einem Problem entwickelt hätten, dem mit einer "Qualitätsoffensive" begegnet werden solle. Da diese "Qualitätsoffensive" nicht näher beschrieben wurde, steht zu befürchten, dass sie ähnlich wie der "Teuro-Gipfel" oder das "Bündnis für Ausbildung" hauptsächlich dazu dienen soll, Kritiker medienwirksam zu beschwichtigen, an der Sache aber kaum etwas bessert.
Der Kanzler bewegte sich in seiner Rede zwischen Worthülsen wie der "Nachhaltigkeit" beim "Schutz des geistigen Eigentums", rätselhaft sinnfreien Sätzen wie "ohne wirkliche Originale taugen die Kopien auch nichts" und offenem Widerspruch zum Handeln seiner Regierung: So sprach er unter anderem davon, dass sich "das kreative Potenzial der ganzen Gesellschaft voll entfalten" müsse - gerade Softwarepatente aber hindern unabhängige Programmierer ebenso wie kleine und mittlere Unternehmen ihre Kreativität zu entfalten, weil sie Angst haben müssen, im Erfolgsfall vom Markt und in den Ruin geklagt zu werden.
Siemens-Chef Heinrich von Pierer stellte die auf dem Symposium behandelten Themen in einen Zusammenhang mit der von Siemens und der politischen Elite betriebenen Kampagne zur Arbeitszeitverlängerung. Aber auch draußen, bei den demonstrierenden Softwarepatentgegnern, hatte man den Zusammenhang erkannt und konfrontierte die durch Einführung der 42-Stunden-Woche und Streichung des Weihnachtsgeld gebeutelten Polizisten mit der Analyse: "Euer Weihnachtsgeld kassiert jetzt Microsoft. Dank Softwarepatenten."
Wettbewerbsvorteile für Großkonzerne
Ebenfalls draußen bleiben musste die mittelständische Wirtschaft. Dafür scherzte Schröder mit Pierer, dieser würde Siemens ja selbst als "mittelständisches Unternehmen" betrachten. Unausgesprochen blieb, dass die Position des Siemens-Konzernchefs durchaus konträr zu der anderer mittelständischer Unternehmen ist, die in einem offenen Brief nicht nur den Schutz von, sondern auch den Schutz vor Patenten forderten und feststellten:
Manche Patente werden taktisch und zum Schaden der Wirtschaft für eine Blockade ganzer Marktsegmente, aber auch von produktlosen Profiteuren für eine legalisierte Erpressung missbraucht.
Pierer sah diesen Effekt durchaus anders als die Mittelständler und nannte auf dem Symposium Patente unverhohlen einen "Wettbewerbsvorteil" für seinen Konzern: "Sie sind ein strategisches Asset, das zur Wahrung von Marktanteilen und zur Markterschließung eingesetzt werden kann." Für diese Zwecke ist es egal, wie trivial ein Patent ist - Hauptsache man kann einem Konkurrenten damit die Produktion verbieten.
Pierer schilderte aber kein solches Trivialpatent, sondern das Beispiel vom Computertomographen, den man patentieren wolle, nicht aber den Mausklick in der Geschäftsanwendung. Dafür, so Pierer pressewirksam, solle ein "Kompromiss" gefunden werden. Warum er den vom Europaparlament gefundenen Kompromiss - der genau dies leistet - mit seinem Einwirken auf die Bundesregierung wieder zu Fall brachte und stattdessen einen Ratsentwurf durchsetzte, mit dem auch der Mausklick patentierbar wird, ließ er trotz Anfrage unbeantwortet.
Patentanwalt Rolf W. Einsele und Honorarprofessor Rido Busse waren hier nach der Pressekonferenz konsequenter als der Siemens-Vorstandsvorsitzende und bestritten im "Fachteil" des Symposiums den Sinn des Begriffs "Trivialpatente." Dies seien, so Einsele, eben "kleine Einheiten", deren Patentierung vollständig gerechtfertigt wäre. Busse meinte, es gäbe deshalb keine Trivialpatente, weil durch alle Patente Arbeitsplätze geschaffen würden - wie das gehen soll, ließ er jedoch offen.
Auch der Fachredner Professor Martin Huber vom Max-Planck-Institut für Biochemie war weit entfernt davon, sich gegen eine Einschränkung der Patentierbarkeit auszusprechen, widerlegte aber eindrucksvoll die von Ministerin Zypries im Heise-Forum aufgestellte Behauptung, Patente wären nicht mittelstandsfeindlich, weil eine Anmeldung lediglich 60 € kosten würde. Huber gab offen zu, dass sein Institut aus Kostengründen gar keine eigenen Anmeldungen durchführen könne, sondern nur in Kooperation mit "Industriepartnern", die sich dann bei der Lizenzierung entsprechend bedienten.
Eine der tatsächlichen wenigen Neuigkeiten die es auf dem Symposium zu hören gab, war, dass der Stadt München die mögliche Zerstörung ihrer künftig auf GNU/Linux basierenden IT-Verwaltung mit dem "Zuckerl" eines "internationalen Schiedsgerichtshofs für Streitigkeiten auf dem Gebiet des geistigen Eigentums" versüßt werden soll. Laut BMJ-Abteilungsleiter Elmar Hucko "eine Angelegenheit, die privat organisiert werden wird." Eine Organisationsform, die noch mehr amerikanische Verhältnisse in Fragen des "geistigen Eigentums" verheißt: Bei den nicht öffentlichen Verhandlungen sind Besetzung, Rechtsprechung und Rechtsweg einer demokratischen und fachlichen Kontrolle weitgehend entzogen und offen gegenüber den Anliegen der Konzerne, die das Privatgericht finanzieren. Die "Hauptstadt des geistigen Eigentums" (Hucko) soll ab Herbst außerdem Tagungsort für Veranstaltungen sein, in denen das "geistige Eigentum" an der "Schnittstelle zwischen Politik, Wirtschaft und Expertenwissen" diskutiert werden soll (vgl. Im Bereich des Halbwahnsinns).
Patentklagen statt Forschung?
Allgemein erinnern die Reden auf dem Symposium stark an die deutschen Kolonialdebatten des 19. Jahrhunderts - niemand konnte einen klaren volkswirtschaftlichen Nutzen der für Partikularinteressen sicherlich sinnvollen Maßnahmen darlegen. Die Argumente beschränken sich auf eine Art Zwang des Zeitgeists, bei dem man mitmachen müsse und nicht zurückbleiben könne. So wurde viel behauptet und nichts belegt - bis auf die innovativ gestalteten aber nach Auskunft der Kellner nicht patentierten Brötchen von Feinkost Käfer.
Dabei legt die Motivationspsychologie sogar bei traditionellen Patenten eher eine negative Korrelation zwischen Innovation und Patenten nahe2, von den Besonderheiten der Softwarepatente als Innovationshemmer (vgl. Sind Patente ein Patentrezept?) und von den zahlreichen "Patenten ohne Innovation" einmal ganz abgesehen. Auch das Argument, Patente führten zur Steigerung der Ausgaben für Forschung und Entwicklung wurde stets behauptet und nie belegt. Und auch hier legt die Empirie einen gegenteiligen Effekt nahe: US-Studien zeigen, dass Patentschutz für Software eher zur Stagnation oder sogar zur Abnahme von Forschungsaktivitäten führt.
Der Harvard-Wirtschaftswissenschaftler Josh Lerner fand heraus, dass bereits 1991 mehr als eine Milliarde Dollar für Patentklagen ausgegeben wurde - mehr als ein Viertel dessen, was US-Firmen in diesem Jahr für Grundlagenforschung aufwendeten. Und der Stanford-Jurist John Barton gab zu bedenken, dass seit Mitte der 1980er Jahre die Zahl der Patentanwälte in den USA schneller wächst als die der Forschungsausgaben: Der Wettbewerb verlagert sich von den Labors in die Gerichtssäle (vgl. Wettbewerb im Gerichtssaal).
Es gab also wenig Wissenschaftliches zum Thema Innovation und Patente, dafür aber viele Sportmetaphern. Siemens-Chef Pierer sprach davon, dass "die Anzahl der Patente eine Art Bilanz oder Erfolgskontrolle für Forschung und Entwicklung" sei und dass Softwarepatente nötig wären, damit der Standort weiter in der "globalen Champions League" spiele. Ministerin Zypries nahm den Ball auf und erklärte, Deutschland sei bei den angemeldeten Erfindungen "Europameister" und weltweit auf dem "zweiten oder dritten Platz."
Spekulativer Exkurs zum Wahlverhalten im Zusammenhang mit Fragen des geistigen Eigentums
Ob die Regierung mit ihren Sportmetaphern nicht einen Teil der wahlberechtigten Bevölkerung unterschätzt hat, darüber gibt auch das Ergebnis der Europawahl Aufschluss, wenn man sich die Ergebnisse mit Bezug auf IT-Themen ansieht: Nimmt man nämlich die über vier Millionen Breitbandanschlüsse in Deutschland als Anhaltspunkt, kommt man (auch unter Berücksichtigung der niedrigen Wahlbeteiligung von nur 45% der insgesamt 62,3 Millionen Wahlberechtigten) zu einigen potenziellen Prozenten Wählerschaft, die nicht nur spezielles Interesse an den Europathemen, sondern auch an den in Meinungsumfragen und Mainstream-Medien vernachlässigten (im Netz aber heiß diskutierten) EU-Themen wie der Softwarepatentrichtlinie oder der Fourtou-Richtlinie hatten (vgl. Copyright-Krieg in der EU).
Da Deutschland bei den Breitband-Anschlüssen nur im europäischen Mittelfeld liegt, ist dieses Wählerpotential mit speziellen Interessen auch im europäischen Durchschnitt vorhanden. Wenn man für diese Wähler mit Breitband-Anschluss ein auf diese Fragen ausgerichtetes Abstimmungsverhalten annimmt, dann erhalten die eigentlich widersprüchlichen Ergebnisse eine interessante Ordnung: Wo sowohl sozialdemokratische als auch konservative Parteien nicht klar gegen Softwarepatente waren, verloren beide (Großbritannien, Deutschland, mit Abstrichen Italien), wo sozialdemokratische Parteien sich klar gegen Softwarepatente ausgesprochen hatten (Frankreich), gewannen diese, wo konservative sich entsprechend positionierten (Finnland) dagegen jene. Mit Rückgriff auf die Formel Copyright und Softwarepatente mit allgemeiner Europa- und Lobbykratieskepsis ließen sich sogar die extrem unterschiedlichen Trends bei den grünen und linken Parteien erklären: Wo keine erfolgversprechende euroskeptische Alternative zur Verfügung stand, gewannen Grüne und Linke (Deutschland), in Ländern mit euroskeptischen Anti-Softwarepatent-Parteien dagegen verloren Grüne und Linke eher (Großbritannien, Frankreich, Belgien, Schweden) - eventuell, weil sich die softwarepatentkritischen Stimmen auf die anderen Parteien verteilen konnten? Dies würde auch erklären warum in Deutschland nicht nur die SPD, sondern auch die Partei des ausgesprochenen Softwarepatentbefürworters Joachim Wuermeling stark verlor - in seinem eigenen Wahlkreis sogar überdurchschnittliche 8,5%. Und dies, obwohl Bernd Posselt , der CSU-Kandidat im IT-Zentrum München, kurz vor der Wahl die Notbremse gezogen und erklärt hatte, dass beim Thema Softwarepatente die Gemüter "hochkochen" würden und er deshalb im Herbst anders als Wuermeling gegen die Ministerrats-Vorlage stimmen werde.
Ob die neue gewählten Abgeordneten im Herbst auch tatsächlich für eine wirksame Patentbegrenzung stimmen werden, steht allerdings noch in den Sternen: Problematisch ist, dass auch Parteien, die sich in der Öffentlichkeit als klare Softwarepatentgegner darstellen, keineswegs immun gegen eine "Betreuung" durch die Patentlobby sind. So sah man in München beispielsweise den grünen Abgeordneten Jerzy Montag, der bereits mit seinen Vorschlägen zur Verschlüsselung auffiel (vgl. Grüner Abgeordneter will Hinterlegung von Kryptoschlüsseln prüfen), von Industrievertretern umringt. Ebenfalls im Zentrum des Industrie-Interesses stand die bayerische FDP-Vorsitzende Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die zur starken Patentjuristen-Lobby innerhalb der öffentlich auf Softwarepatent-Gegnerschaft pochenden FDP zählt (vgl. FDP beantragt Bundestagsvotum gegen Softwarepatente).