Die Globalisierung der immateriellen Produktion und ihre lokalen Konsequenzen
Seite 6: Auswege aus dem ökologischen Kollaps der Metropolen
- Die Globalisierung der immateriellen Produktion und ihre lokalen Konsequenzen
- Globales Dorf oder Globale Stadt?
- Der prekäre Erfolg der Metropolen
- Die modernen Städte werden zu 'Dual Cities'
- Dezentralisierung als Ausweg aus der dualen Stadt
- Auswege aus dem ökologischen Kollaps der Metropolen
- Auf einer Seite lesen
Eng verbunden mit der im Vergleich zum monetären Sektor wachsenden Überbevölkerung ist der ökologische Kollaps der modernen Metropolen, deren Pro-Kopf-Bedarf an natürlichen Ressourcen und deren Ausstoß an Schadstoffen die stoffliche Reproduktion in planetaren Ausmaßen untergräbt - was in geringerem Ausmaß allerdings auch für die industriell betriebene Landwirtschaft gilt.
Entstanden ist die ökologische Krise auf der Grundlage einer beständigen Möglichkeit der Externalisierung wirtschaftlicher Folgelasten. Die Ketten dieser Externalisierung reichen vom Einzelbetrieb zu einer vage definierten Allgemeinheit, von der industriellen Metropole zum Umland, vom staatlichen Hoheitsgebiet ins Ausland und hier natürlich in die Dritte Welt. Nur aufgrund dieser Externalisierungsketten sind die Metropolen in ihrer heutigen Form überhaupt lebensfähig. Genau diese lange ignorierbaren Externalisierungsketten schlagen aber nun in vielfältiger Form auf die Metropolen zurück: direkt als globale Umweltkrise und indirekt als Konfrontation mit den Folgewirkungen und -kosten unbrauchbar gemachter Binneninfrastruktur.
Die Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung in Rio 1992 (UNCED) hat diese Entwicklung an einem Zeitpunkt resümiert, an dem die kombinierten Wirkungen des ökonomischen Globalisierungs- und Kontraktionsprozesses und der ökologischen Krise traditionelle nationalstaatliche Binnenstrukturen im Süden und Osten zerbrechen ließen und eine "Welle ethnischer (oder kleinethnischer) Agitation" (Eric J. Hobsbawm) bis in die Gewinnerstaaten schwappt, die "nicht mehr aus dem Entstehen, sondern umgekehrt aus dem Zerfall von Nationalökonomien herrührt
Wenn eine "Entwicklung" im Sinne westlicher Industrie- und Produktivitätsstandards nicht mehr ohne den sofortigen ökologischen Kollaps der Erde möglich ist, andererseits das Zurückbleiben hinter diesen Standards nicht einmal mehr die Lebensfähigkeit einer äußeren Hülle der Nationalökonomie gewährleistet, dann ist es ist offensichtlich an der Zeit, nach alternativen wirtschaftspolitischen Zielen zu suchen, die solche ökologischen und sozialen Kosten vermeiden. Zusammenfassen läßt sich diese Diskussion im Begriff der 'Sustainability', eine mögliche deutsche Übersetzung dieses Begriffs lautet 'Tragfähigkeit': Wirtschaftliche Entwicklungen sollen nicht mehr an der direkten Wertschöpfung gemessen werden, sondern an ihren indirekten Folgewirkungen, beispielsweise daran, daß sie in Gegenwart und Zukunft andere menschliche Aktivitäten zumindest nicht behindern.
'Sustainability' zielt auf die stofflichen Grundlagen des Wirtschaftens ab, auf den Energie- und Ressourcenverbrauch, der ganz wesentlich durch den Ressourcenverbrauch pro wirtschaftlicher Aktivität bestimmt ist. Sie hat nichts zu tun mit blindem Ökologismus, der gegen jeden Eingriff in die Biosphäre wettert und aus Prinzip für deren vorfindliche Form Partei ergreift. Schon eher besteht Sustainability darin, aus den Effizienzkriterien eben dieser Biosphäre zu lernen und diese in der Gestaltung von stofflich-technischen Kreisläufen zu berücksichtigen.
Das elementare Prinzip dieser Biosphäre hat Paolo Soleri als technologisches Grundgesetz formuliert: Jedes System, das auf Dauerhaftigkeit aus ist, also lebt, erreicht dies durch eine zunehmende Komplexität von Prozessen. Diese komplexen Prozesse können nur dann aufrechterhalten werden, wenn Komplexitätssteigerung mit sinkendem Ressourceneinsatz pro Prozeß, also mit Miniaturisierung verbunden ist. Kraft-Weg und Masse-Energie sind die ganz nicht-ideologischen Größen, mit denen die bereits negativ vergesellschaftete und vernetzte Gesellschaft zu rechnen beginnen muß, um ihren Level an Komplexität aufrechtzuerhalten.
In dieser Rechnung spielt die Dezentralisierung eine essentielle Rolle. Zwar erweist sich die verdichtete Stadt im Vergleich mit der Zersiedelung von Land durchaus als tragfähigere Alternative.
In ökologischen Begriffen sind freistehende Häuser Absurditäten, denn sie verbrauchen zu viele Energien und Materialien. Es existieren Berechnungen, nach denen Erbauung und Unterhalt bis zu fünfmal mehr Energie kosten, als bei Wohnungen vergleichbarer Größe. [...] städtische Infrastruktur ist bei weitem effizienter als Infrastruktur am Land. Das bezieht sich auf fast alles
Straßenbeleuchtung, Leitungsnetze, Fernwärme, Postzustellung, medizinische Versorgung und so fort."
Doch stellt sich mit zunehmender Vergrößerung der Stadt ein umgekehrter Effekt ein: eine zunehmende Ineffizienz .
Noch fehlen uns die Modelle, die dem bereits technologisch hergestellten Vernetzungsgrad auch sozial, politisch und organisatorisch gerecht werden können; noch fehlen die Umsetzungen der vorhandenen Einsichten in die stofflichen Notwendigkeiten der gesellschaftlichen Reproduktion in konkret realisierbare Schritte aus den Dilemmata der negativen Vergesellschaftung. Wenn sich unter dem verschärften Problemdruck aber die Innovationsbereitschaft und Lernfähigkeit von Personen und Institutionen erhöht, dann steigen auch die Chancen, daß solche Modelle, wenn sie nur einmal entwickelt werden, auch akzeptiert werden. Telekommunikationstechnologie könnte in diesem Prozeß der Entwicklung tragfähiger Lebens- und Wachstumsmodelle nach dem Muster der Biosphäre eine wichtige Rolle übernehmen: die des Nervensystems, das den Übergang in eine neue evolutionäre Stufe der Entwicklung von lebensfähigen (Stadt-)Organismen markiert. Wenn der "Global Village"-Prozeß auch nur einen kleinen Schritt in diese Richtung bedeutet, dann hat er seinen Sinn erfüllt.