Die Google-Verschwörungstheorie
Sitzt im Googleplex eine Sekte?
Jüngste Berichte über skurrile Details in der neuen Google-Niederlassung in Zürich und das soeben erschienene Sachbuch Die Google Falle eines österreichischen Multimedia-Journalisten haben der Google-Verschwörungstheorie erneut Aufwind gegeben: Sind wir, die ahnungslosen, mit Google recherchierenden Netzsurfer Opfer eines in der (Medien-)Geschichte einmaligen Gehirnwäsche- und Überwachungssystems? Oder ist das Geheimnis von Google doch, dass es keines gibt? Telepolis sprach mit Gerald Reischl, der neun Monate – teils Undercover – über Google (und sicherlich auch mit Google) recherchiert und das erste kritische Sachbuch über Google veröffentlicht hat.
Herr Reischl, Sie warnen vor der Weltmacht Google und bezeichnen Google in einem Interview sogar als IT-Sekte. Die Frage wird nicht ausbleiben: Sie wollten nicht selbst bei Google arbeiten und sind am beinharten Auswahlverfahren gescheitert?
Gerald Reischl: Nein, ich wollte nie bei Google arbeiten, habe mich nie beworben und passe so überhaupt nicht in diese Flowerpower-alle-sind-so-gut-und-nett-und-elitär-Welt, abgesehen davon, dass ich kein Ja-Sager-Typ bin, sondern ständig alles hinterfrage. Bei Google müssen Alphamännchen draußen bleiben, wie auch der "Spiegel" geschrieben hat. Widerspruch, Skepsis und Kritik sind da nicht willkommen.
Zu Jahresende 2007 machte ein Report on dangers and opportunities posed by large search engines, particularly Google im Netz die Runde, der von der Blogosphäre ziemlich heftig abgelehnt wurde. Erstellt wurde er von einem Team rund um den Grazer Informatikprofessor Hermann Maurer (und auch der Interviewer arbeitete mit, Anmerkung der Redaktion). Nun kommt schon wieder geballte Google-Kritik aus Österreich, während es im Rest der Welt bislang noch kein einziges Google-kritisches Sachbuch gibt. Ein Zufall?
Gerald Reischl: Ich habe das Buch nicht als Österreicher geschrieben, sondern als deutschsprachiger Europäer. Die "Maurer-Studie" und mein Buch kann man überhaupt nicht miteinander vergleichen. Ich habe in der "Google Falle" in monatelanger Recherche, die ich lange vor der Maurer-Studie begonnen habe, und mit Hilfe dutzender Gesprächspartner in den USA und Europa Fakten und Hintergründe zusammengetragen. Der Report, den ich an einigen Stellen erwähnt habe, dreht sich vor allem um das Thema Plagiarismus. Dem habe ich relativ kurz Beachtung geschenkt. Zudem bin ich nicht mit allem, was im Report geschrieben wird, einverstanden.
Zum Beispiel?
Gerald Reischl: Man kann die Google-Problematik nicht auf Plagiarismus reduzieren und vom "Google-Copy-Paste-Syndrom" sprechen. Auf jeder Webseite kann man die Copy&Paste-Funktion nutzen. Auch bin ich nicht mit der Forderung einverstanden, dass Europa mit eigenen, universitären Suchmaschinen kontern müsste. Das käme ja einer staatlichen Kontrolle gleich, weil Unis meist staatlich sind. Europa muss mit etwas Neuem kontern, nicht mit einer Suchmaschine, dafür ist es zu spät!
Sie schreiben, nahezu alle lieben Google und finden Google furchtbar trendy und cool. Befürchten Sie, dass man auch Sie im Web als Google-Kritiker hassen oder – oft noch schlimmer – lächerlich machen wird? Oder kommt die große Trendwende?
Gerald Reischl: Ja, ich rechne mit untergriffigen Postings, Reischl-Bashing und heftigem – teils auch gesteuertem – Gegenwind. Viele werden sich zum Buch äußern, noch lange bevor sie wissen, was drinnen steht. Ich habe ja auch im Vorwort geschrieben: "Wehe dem, der sich etwas gegen das derzeit beliebteste Internet-Unternehmen der Welt zu sagen bzw. zu schreiben traut. Der bekommt den Ärger in den Foren des Web zu spüren." Ich selbst war zu Beginn der Recherche skeptisch. Vor allem Esther Dyson, die renommierte IT-Beraterin, hat mich einmal verunsichert, weil sie gemeint hat, dass Facebook viel gefährlicher sei. Aber wenn man all die Fakten kombiniert, muss man zwangsläufig zum Ergebnis kommen, dass Google gefährlich sein kann. Ich wünsche mir, dass eine Trendwende kommt und dass die Nutzer die im Buch zusammen getragenen Informationen objektiv beurteilen. Dann werden sie automatisch darüber nachdenken. Es wäre im Sinne Europas.
Sie haben eine eigene Webseite eingerichtet, auf der "Das geheime Google Video" zu sehen ist. Sie haben das Filmchen vor ein paar Tagen auch auf YouTube gestellt. Offenbar sieht man hier nur, wie Sie mit Ihrer Handy-Kamera Außenaufnahmen vom Googleplex machen. Ist das nicht ein bisschen peinlich bzw. was soll da genau "geheim" sein?
Freilich zeige ich da keine "Geheimnisse", keinen Larry Page oder Sergey Brin in einer peinlichen Situation. "Geheim" ist das Video insofern, als auf dem Google-Campus strengstes Fotografier- und Video-Verbot herrscht. Fotografieren darf man nur unter Begleitung eines Google-Mitarbeiters. So ist dieses "geheim" zu verstehen. Außerdem wollte ich – und das ist auch ein bisschen ironisch gemeint – den Google-Dienst YouTube einbauen. Daher gibt's daneben auch das Smiley-Symbol. Oder hätte ich mich zu AdWords anmelden und mit eingeblendeten Wortanzeigen Geld verdienen sollen?
Sie haben für Ihr Buch eine eigene Umfrage in Auftrag gegeben: 90 Prozent finden Google sympathisch, aber 75 Prozent wollen nicht, dass ihre eigene IP-Adresse in Kombination mit ihren Suchanfragen gespeichert wird. Drückt sich da das Unwissen der Google-User aus?
Gerald Reischl: Genau so ist es, die meisten Google-Nutzer wissen nicht, welche Daten Google sammelt und welche Bedeutung IP-Adressen haben. Freilich werden jetzt viele aufschreien und meinen, dass IP-Adressen keine personenbezogenen Daten sind, aber ich bin, so wie Bundesdatenschützer Peter Schaar, anderer Meinung. Fragen Sie die Polizei, wie hilfreich ihnen eine IP-Adresse sein kann. Genau deshalb habe ich auch mein Buch geschrieben, um Nutzer aufzuklären und ihnen zu sagen, was bei einer Suchanfrage passiert. Es soll ein Problembewusstsein entstehen und eine Diskussion in Schwung kommen.
Haben Sie eigentlich auch konkrete Beweise dafür, dass Google das Ranking bei Suchanfragen willentlich – d. h. über den jeweils aktuellen Suchalgorithmus hinaus – beeinflusst?
Gerald Reischl: Es gibt zwei Vorfälle, die mich stutzig gemacht haben. In einem Interview mit Googles Forschungschef Peter Norvig hat mir dieser erklärt, dass sie das Suchsystem so adaptiert haben, dass bei einer Produktsuche nicht immer gleich eBay-Seiten an die ersten Stellen gereiht werden. Diese Adaptierung wurde zu einem Zeitpunkt aktiv, als es wegen Checkout-Paypal einen kräftigen Streit zwischen eBay und Google gegeben hat. Zufall, oder? Kein Zufall ist wohl, dass man beim Begriff "turkey" zehn Monate Seiten über die Türkei angezeigt bekommt und zwei Monate Truthahnrezepte nach vorne gereiht werden. Google ist sich der Verantwortung offensichtlich nicht bewusst. Eindeutiger Beweis ist der Doubleclick-Kauf, der von der EU vergangene Woche abgesegnet wurde. Eine Tochterfirma von Doubleclick, die jetzt auch Google gehört, ist Performics, ein SEO, ein Suchmaschinen-Optimierer, der Kunden Tricks liefert, wie man eine Suchmaschine überlisten kann, um weit nach oben gereiht zu werden. Das bedeutet, Google gibt Tipps, wie man Google überlistet. Dass darf wohl nicht sein, oder?
Sie schreiben ja auch über "23andme", jene doch etwas ominöse Firma, die Genanalysen über das Internet mit Speichelproben ihrer Kunden anbietet – Telepolis hat darüber berichtet. Anne Wojcicki, die Frau von Google-Mitbegründer Sergey Brin, hat diese Firma mitgegründet. Wenn man das alles zusammendenkt: Speichelproben, die Speicherung unserer Suchabfragen – freilich auch unserer intimsten –, Google Street View, das Einscannen der Mails bei Gmail: Google und Co. wissen zusammen genommen tatsächlich viel mehr über mich als ich selbst. Wie könnte aber Google diese komplexen Daten wirtschaftlich oder politisch zum eigenen Vorteil einsetzen? Haben Sie Beweise dafür, dass Google dies bereits tut?
Gerald Reischl: Beweisen kann man es nicht. Leider, aber wenn selbst Experten, die Google gut gesonnen sind wie etwa Esther Dyson (sie ist ja an "23andme" beteiligt), Angst davor haben, dass Google die Arbeit – nämlich das Datensammeln – für eine Regierung bzw. US-Behörde erledigen könnte, macht es mir Angst. Vor allem wenn ich an die Situation in China denke, wo Google erwiesenermaßen mit der dortigen kommunistischen Regierung zusammen arbeitet. Mit wem würde Google unter Druck noch kooperieren?
Wenn man heute auf google.cn den Begriff "Tiananmen Massacre" eingibt, kommt auf Platz 1 der englischsprachige Wikipedia-Eintrag samt Schätzungen der Todesopfer. Unter den ersten zehn ist allerdings auch ein Video, bei dem zu lesen ist: "Popular Western myth on June 4, 1989 was that Tiananmen Square was forcefully cleared by the Chinese government." Das kommt bei Google.com nicht. Hat man das jetzt wieder zum Teil re-gesäubert, und sieht China ein anderes google.cn als ich in Deutschland?
Gerald Reischl: Was auf google.cn angezeigt wird, kann man tatsächlich nur in China testen, weil das System ja erkennt, dass sie in Deutschland oder sonst wo sitzen und nicht in China. Ich kann als Europäer ja auch keinen Film aus einer US-Onlinevideothek downloaden.
Sie schreiben, die Google-Suche von morgen könnte nach dem Prinzip einer "Programmable Search Engine" ablaufen, die bereits weiß, was ich alles bislang mit ihr gesucht habe und dementsprechend eine personalisierte Ergebnisliste erstellt.
Gerald Reischl: Die PSE (Programmierbare Suchmaschine) basiert auf einem Patent des Google-Ingenieurs Ramanathan V. Guha, er war früher Wissenschaftler bei Apple und Netscape. Die PSE könnte einmal PageRank ersetzen und soll das möglich machen, was für viele heute unmöglich erscheint – auf die in eine Suchmaske eingetippte Frage die richtige Antwort zu erhalten, weil unterschiedliche Datenbanken im Web in Echtzeit abgefragt werden.
Und noch ein Detail zum Schluss: Sie kritisieren im Buch Werbung in Gmail. Ich nutze dieses Service wegen Datenschutzbedenken nicht, bin aber davon ausgegangen, Google hätte die wortbasierte Werbung beim Schreiben von Mails in Gmail nach Nutzerprotesten wieder ganz zurückgenommen – irre ich mich da?
Gerald Reischl: Wenn dem so ist, dann muss mir Google erklären, warum ich vor einigen Tagen bei einer (fingierten) E-Mail, in der ich den Verlust meines Arbeitsplatzes beklagt habe, bei Gmail eine Job-Angebot-Werbung eingeblendet bekommen habe...