Die Grande Nation strauchelt – und Macron ruft Franzosen zum Sparen auf
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Handelsbilanzdefizite, wachsende Ungleichheit und fehlende Nachhaltigkeit kennzeichnen Frankreichs Wirtschaft. Statt die Probleme anzugehen, gießt die Regierung Öl ins Feuer. Warum ein "Gelbwesten"-Revival bisher ausblieb.
Mit 67 Millionen Einwohnern und einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 2,9 Billionen US-Dollar belegt Frankreich 2022 weltweit den siebten, in der EU den zweiten Rang unter den Volkswirtschaften. Diesen Status dauerhaft zu erhalten, dürfte kaum gelingen.
Wirtschaftliche Perspektiven, sozial-politische Probleme
Traditionell spielt der Staat in der Wirtschaft eine zentrale Rolle. So beträgt der Anteil der Regierungsausgaben am BIP 61 Prozent, in vergleichbaren Industrieländern liegt er bei 47 bis 51 Prozent. Und während Deutschland 11 Prozent Staatsbedienstete zählt, beschäftigt der französische Staat 5,7 Millionen, das sind 20 Prozent aller Arbeitnehmer, davon zwei Drittel als Beamte.
Kein Wunder: Im Gegensatz zur üblichen Abfälligkeit wird in Krisenzeiten nach dem fürsorgenden Staat gerufen. Der ist allerdings finanziell wie politisch überfordert. Einige Daten belegen das Dilemma. Das jährliche Wirtschaftswachstum betrug im letzten Jahrzehnt 1 bis 2 Prozent. Und die Post-Covid Wachstumseuphorie wurde in diesem Jahr auf 2,6 bzw. 0,5 Prozent im nächsten Jahr korrigiert.
Die Staatsverschuldung beläuft sich auf 113, das Haushaltsdefizit auf über fünf Prozent des BIP. Beide zu finanzieren, wird angesichts hoher Inflation und steigender Zinsen künftigen Generationen aufgehalst. Auch der seit 2005 defizitäre Außenhandel – 62 Prozent des BIP (Deutschland: 89) – verspricht keine Entlastung.
Als Folge von Energiekrise und Euroschwäche bei in US-Dollar fakturierten Waren beträgt das Handelsbilanzdefizit 150 Milliarden US-Dollar oder 14 Prozent. Da jahrelang Dienstleistungen gegenüber Industrieprodukten priorisiert wurden, drohen geplante Reindustrialisierungsprogramme an mangelnder Wettbewerbsfähigkeit zu scheitern und Frankreich seinen Rang als fünftgrößte Exportnation trotz Nachfrageboom bei Waffen, Aeronautik, Autos, Agrar- und Luxusgütern zu verlieren.
Macron: "Ende des Überflusses und Energiesparen"
Die Auswirkungen von Klimawandel und Umweltzerstörung, verstärkt und dramatisiert durch die Corona-Epidemie mit hohen Opferzahlen, Überlastung des Gesundheitssystems, Mobilitätsbeschränkungen und wirtschaftlicher Rezession, machen Umweltschutz zur vornehmsten Regierungsaufgabe. Die Energie- und Wachstumskrise infolge des Wirtschaftskriegs gegen Russland beeinflusst zusätzlich Regierungsbildung und Haushaltsentwürfe.
Neben Vorschlägen zur vermehrten Energieeinsparung in Büros und Innenstädten sowie Homeoffice und Carsharing verkündete Premierministerin Borne eine Politik der Dekarbonisierung und des Souveränitätsgewinns durch Ausstieg aus (importierten) fossilen Energieträgern. Gleichzeitig sollen Erneuerbare Energien sowie Kernenergie (bisher 19 bzw. 71 Prozent) ausgebaut werden.
50 zusätzliche Windparks und eine Verzehnfachung bei Solarenergie bis 2030 und eine Renaissance der Atomindustrie sind vorgesehen. In der EU-Finanzierungstaxonomie wurde Kernenergie als neutrale bzw. "grüne" Energiequelle durchgesetzt, die Laufzeit der AKW auf über 50 Jahre verlängert, der verschuldete Energiekonzern EDF vollständig verstaatlicht, schließlich sechs, eventuell vierzehn, ab 2035 betriebsbereite Druckwasserreaktoren eingeplant.
Grundprobleme der Kernkraftnutzung wie CO2-intensiver Uranabbau, Endlagerung, Unfallrisiko oder Kühlwasserzufuhr wurden ebenso als sekundär eingestuft wie die größtenteils korrosionsbedingte Abschaltung der meisten AKW (29 von 56). Zur Sicherung der Stromversorgung wurde ein Energieaustausch "Strom gegen Gas" mit Deutschland vereinbart.
Paris müsste jährlich zwei bis sechs Prozent seines BIP, gegenwärtig mindestens 60 Milliarden US-Dollar, in die ökologische Wende investieren. Faktisch sieht der Haushaltsentwurf für 2023 bei einem Gesamtbudget von 570 Milliarden Euro positive grüne Investitionen von 34 Milliarden vor. Völlig unzureichend! Dem Pariser Klimaabkommen zufolge müsste der klimagasbedingte Fußabdruck bis 2030 von 8,2 auf 3,9 Tonnen pro Person reduziert werden.
Armut und Kaufkraft
Frankreich hat eine Ungleichheitsrelation beim Einkommensvergleich der Top 10 gegenüber der unteren Hälfte der Bevölkerung von lediglich sieben zu eins (Deutschland 10, USA 14 zu 1). Das Pro-Kopf-Einkommen lag 2021 bei 43.500 US-Dollar, der gesetzliche Mindestlohn für Vollzeitbeschäftigte liegt aktuell bei monatlich 1.679 Euro. Gleichwohl leben zehn Millionen bzw. 15 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze von 1.102 Euro.
Die Arbeitslosenquote beträgt 7,3, bei Jugendlichen 16,3 Prozent. Bei den Arbeitsämtern sind dagegen 18 Prozent der Erwerbspersonen als Arbeitssuchende, inklusive Teilzeitbeschäftigte, gemeldet. Die Regierung strebt deren Verminderung durch reduziertes altersgruppenspezifisches Arbeitslosengeld, Qualifizierungs- und (Re-)Integrationsmaßnahmen besonders bei Jugendlichen und Älteren über 55 an.
Der Anstieg der Lebensmittel-, Benzin- und Strompreise trifft besonders die einkommensschwachen Schichten. Von den Maßnahmen zur Verbesserung ihrer Lage wurden allerdings nur wenige umgesetzt, die allermeisten betreffen die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Die staatlichen Stützungspakete gleichen die Inflation nicht aus und begünstigen vor allem die Wohlhabenderen. Angesichts steigender Kreditzinsen und geringen Wachstums sind erhöhte Arbeitslosigkeit und Insolvenzen vorprogrammiert.