Die Herrschaft der Monopole und Oligopole

Google Irland. Bild: Outreach Pete/CC BY-2.0

Seit 40 Jahren verändert die neoliberale Ideologie unser Leben, hat in dieser Zeit bleibende Schäden angerichtet, Strukturen verändert, Bewährtes zerstört. Ein Beispiel ist die beherrschende Marktmacht einiger Monopolfirmen

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Die Meinungsführer in der gesellschaftspolitischen und wirtschaftspolitischen Debatte sind durchgehend Marktwirtschaftler. Sie preisen Markt und Wettbewerb. Aber in der Praxis drücken sie die Augen zu, wenn es um Microsoft, Google, Amazon, Facebook und eine Reihe anderer meist US-amerikanischer Firmen geht. Das ist schon komisch. Denn die Empfehlungen der theoretischen Ökonomie und der Theorie der Marktwirtschaft sind eindeutig.

Da gibt es zum Beispiel die aus Erfahrung gewonnene Erkenntnis, dass die Marktteilnehmer in der Regel dazu tendieren, Marktmacht zu erreichen, also ein Oligopol - die aufgeteilte und abgesprochene Macht einiger weniger - oder sogar ein Monopol zu ergattern. In jedem Fall versuchen sie, mit Konkurrenten Absprachen zu treffen. Deshalb ist es zur seit Langem feststehenden Regel geworden, dass Wettbewerb geschützt werden muss.

Wie bedeutsam diese einfache Erkenntnis ist, kann man schon daran sehen, dass eigens Institutionen zum Schutz des Wettbewerbs geschaffen worden sind. In Brüssel gibt es einen Wettbewerbskommissar beziehungsweise eine -kommissarin. In Deutschland gibt es ein Bundeskartellamt.

Es fällt nun auf, dass die Erkenntnis vom notwendigen Schutz des Wettbewerbs keine große Wirkungsmacht entfaltet: Wir haben ein Quasi-Monopol von Google. Weitere Unternehmen aus der gleichen Ecke verfügen über ähnliche Marktmacht: Microsoft, Facebook, Twitter, Instagram, Amazon. Kann man bei den Diensten von Microsoft wirklich von Wettbewerb sprechen? Und selbst bei Amazon? Das ist inzwischen ein so großes und eingefahrenes Unternehmen, dass man es als Quasi-Monopol betrachten muss. Bei allen zusammen wagen die Vertreter des öffentlichen Interesses, also unsere Politikerinnen und Politiker, nicht mehr, die Grunderkenntnisse der Theorie der Marktwirtschaft anzuwenden.

Und die Verantwortlichen beachten bei ihren sonstigen Entscheidungen auch nicht, wie diese Entscheidungen auf die Marktsituation in den erwähnten Bereichen wirken. Ein aktuelles Beispiel dazu: Der Lockdown wegen Corona hat mit der damit verbundenen Schließung der Läden des Einzelhandels - mit Ausnahme der Lebensmittelläden und der Baumärkte - zu einer massiven Stärkung der Marktposition von Amazon geführt. Wahrscheinlich wird daraus eine nachhaltige Stärkung, weil sich jetzt Menschen, die noch nicht daran gewöhnt waren, über das Internet einzukaufen, umorientieren. Die Marktmacht von Amazon wird deshalb wachsen. Aber das rührt niemanden, jedenfalls niemanden mit politischer Entscheidungsmacht. Offenbar bleiben nur noch die Sprüche zur Marktwirtschaft, aber nichts geschieht zur Stärkung des Wettbewerbs.

Vor 40 Jahren begann eine schleichende Veränderung unserer Wirtschaft, unserer Politik, unseres Lebens. Die neoliberale Ideologie hat in dieser Zeit bleibende Schäden angerichtet, Strukturen verändert, Bewährtes zerstört. Wir leben heute in einer anderen Welt. Einer schlechteren! Was es braucht, sind radikale Veränderungen, nichts weniger als eine Revolution, resümiert Albrecht Müller in seinem neuen Buch "Die Revolution ist fällig - Aber sie ist verboten". Sie wird nicht kommen, aber vielleicht die Bereitschaft für eine große positive Reform. Albrecht Müller liefert wichtige Denkanstöße für eine gerechtere und effiziente Gesellschaft. Ein Auszug.

Es gibt noch eine relevante Erkenntnis aus der ökonomischen Theorie, die heute sträflich vernachlässigt wird: Die Produktion eines Gutes oder einer Dienstleistung soll dann in öffentliche Regie übernommen werden, wenn diese Produktion mit Unteilbarkeiten verbunden ist.

Das klingt ökonomisch theoretisch, ist aber einfach zu erklären: Es hat keinen Sinn, die Dienstleistung, einen Fluss mit einer Brücke überqueren zu können, im Wettbewerb anzubieten und einen Preis beziehungsweise eine Gebühr für die Überquerung des Flusses zu verlangen. Die Brücke wird in der Regel in öffentlicher Regie gebaut und allen kostenlos zur Verfügung gestellt. Ganz ähnlich ist das mit Microsoft. Es gibt kaum Konkurrenz, da wir sinnvollerweise mehrheitlich das gleiche System nutzen. Das Gleiche gilt auch für Suchmaschinen: Es gibt ein bisschen Konkurrenz, aber die Leistung von einem Quasi-Monopol anbieten zu lassen, ergibt Sinn.

Keinen Sinn hat es, dass dies privat geschieht und dass diese quasi monopolartige Position des Unternehmens privat genutzt werden kann. Das widerspricht allen Regeln der marktwirtschaftlichen Theorie und führt obendrein zu massiver Ungerechtigkeit, zu einem Höhenflug der Ungleichheit. Thomas Piketty hat in diesem Zusammenhang noch eine weitere skandalöse Erkenntnis hinzugefügt:

Sollen wir wirklich annehmen, Bill Gates und die anderen Tech-Milliardäre hätten ihre Geschäfte ohne die Hunderte von Millionen öffentlicher Gelder machen können, die seit Jahrzehnten in Ausbildung und Grundlagenforschung investiert wurden? Und glaubt man allen Ernstes, ohne tätige Hilfe des geltenden Rechts- und Steuersystems hätten sie ihr kommerzielles Quasi-Monopol aufbauen und ein Wissen, das allen gehört, zum privaten Patent anmelden können?

Thomas Piketty

Der gesamte Skandal wird gedeckt. Die seit Jahrzehnten bewährten Erkenntnisse über Kontrolle von Marktmacht und über die notwendige Förderung von Wettbewerb wie auch über die notwendige Übernahme in öffentliche Regie, wenn die Möglichkeit zum Wettbewerb nicht besteht, sind vergessen oder werden missachtet. Und niemand regt sich auf. Seltsam. Eigentlich müssten sie allesamt aus dem Tempel gejagt werden. Aber dieser revolutionäre Akt ist nicht nur verboten, die Monopolisten werden bewundert!

Anfang August 2020 ist im Handelsblatt ein Interview erschienen, das zeigt, dass es doch ein bisschen Hoffnung gibt. Die Bewunderung für die großen US-amerikanischen Tech-Konzerne wird nicht von allen geteilt. Der Vorstandsvorsitzende von Hubert Burda Media, Paul-Bernhard Kallen, meinte: "Wir müssen eine eigene digitale Infrastruktur aufbauen." (Handelsblatt, 3.8.2020) Kallen plädiert für eine digitale Souveränität in Europa. Das ist eine Stimme, immerhin eine mutige. Vermutlich werden die US-Konzerne weiter versuchen, ihre monopolartigen Marktpositionen auszunutzen.

Es gibt eine neue Meldung, die den Skandal des Nichtstuns gegen Monopole noch verschärfen wird: Der weltweit größte und mächtigste Datenkonzern, Google, will sich Verlage ins Boot holen. Die Verlage sollen Inhalte zur Verfügung stellen, die Google in einem neuen Nachrichtenformat vorstellen und verbreiten will. Damit wird der Weg frei für ein Supermassenmedium und eine weitere Verschärfung der ohnehin schon festzustellenden Gleichrichtung der etablierten Medien. Das Projekt soll zunächst in ausgewählten Ländern in Gang gesetzt werden. Darunter ist Deutschland. Mitmachen sollen der Spiegel, Zeit online, der Berliner Tagesspiegel, die Rheinische Post und die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Arme Demokratie!