Die Ideologie des "voi geil" versus "voi oag"

Österreichs Jugend etabliert einen neuen binären Code

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Gewissen Menschen tut es einfach weh in den Ohren: Dass es plötzlich "voi oag" sein soll, wenn sich Powerpoint-Folien zu einer Lehrveranstaltung nicht im Web befinden, dass es "voi die Frechheit" sei, wenn man ein Referat zu Phänomenologie und Hermeneutik aufgebrummt bekommt, aber auch: dass es in Saalbach-Hinterglemm "voi geil zum Schifoan" sei (sogar wenn man diese Meinung teilt). Keine Frage: Österreichs Jugendliche - und beileibe nicht nur die Kiddies, auch viele Studierende von 19 bis ca. 35 - sind von einem neuen Virus befallen: Es handelt sich um den binären Code "voi geil" bzw. alternativ "voi cool" versus "voi oag" (oder Schreibweise "voi org").

Google deckt auf: 5.720 Nennungen für "voi geil" zum Stichtag 22. Februar 2005, und bereits etwa die doppelte Anzahl für "voi cool". Sogar "voi da schas" (zu Deutsch: "Voll die Kacke") bringt es bereits auf 136 Nennungen. Dazu kommt die immens hohe Dunkelziffer - aus dem Netz und aus Tausenden, Abertausenden und Millionen von SMS und Chatbeiträgen.

An "heast oida", "geh reiss o", "geh leck" oder "no seawas" hat man sich in den öffentlichen Verkehrsmitteln der Alpenrepublik längst gewöhnt. Die guten Schauspieler und Kabarettisten dieses Landes - von Helmut Qualtinger bis Roland Düringer - haben uns für diese Dinge augenzwinkernd sensibilisiert. Doch die Grenzziehung zwischen dem, was noch als ach-so-typisch urgemütlicher Dialekt durchgeht und dem, was nur noch in derb-plumpem Proll-Slang ausartet, war wohl immer schon Geschmackssache. Wenn der Österreicher mit "Na, auch wieder im Lande?" das Gespräch eröffnet, ist es im Film urkomisch, in der Realität hingegen ein Schlag ins Gesicht. Ähnlich geht es dem Verfasser dieser Zeilen mit "voi oag".

Denn dieser ist der unumstößlichen Ansicht: "voi [...]" ist total daneben. Man muss ja noch fragen dürfen: Steht "voi geil" subtextuell nicht doch zumindest irgendwie für jene genusssüchtige, von reinem Hedonismus getriebene und deshalb immer faulere Spaßgeneration, mit der es die Lehrenden zunehmend schwerer haben? Weist "voi oag" nicht doch subkutan auf dieses typische Post-Generation-X-Syndrom bei den Kids und Teenagern hin, wonach alles zunächst einmal verdächtig erscheint und abgelehnt wird, wobei die Beweggründe für diese Opposition jedoch zumeist im Verborgenen liegen?

Nein, sagt der Salzburger Dialektologe und Experte für oralen Sprachgebrauch Hannes Scheutz. Er sieht vielmehr - und durchaus zur Überraschung des Verfassers - die gegenwärtigen Sprach(aus)geburten als "sehr positiv" an:

Das Schreiben nach dem phonetischen Prinzip - 'Schreibe, wie du sprichst!' - abseits aller orthographischen Zwänge hat etwas sehr Befreiendes. Das ist ein spielerischer Umgang mit Sprache. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, wenn man sich - auch - zum Dialektalen bekennt.

Hannes Scheutz

Also ganz und gar kein Sprachverfall durch das memetisch wuchernde "voi"? Sind am Ende zahllose Einträge in Webforen und Discussion Boards in einem ähnlichen Licht zu sehen wie die Dialektgedichte der heute legendären Wiener Gruppe? Führen die Cyber-Kids unserer Tage nur in der Alltagskommunikation das fort, was in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts mit H. C. Artmann und seinem Gedichteband "med ana schwoazzn dintn" (Auszüge) seinen poetischen Höhepunkt erlebte? Die Forenschreiber von heute als die "prosaische" Nachfolgegeneration von Kunst-Revolutionären?

Da sähe man dann glatt die folgenden - zunächst naserümpfend kulturpessimistisch verdammten - Web-Fundstellen in einem ganz anderen Licht:

Hallo Kerstin !! Dei seitn is voi cool !! Und de Bilder san voi sche von Dieta!! Supa ! Vü glick nu bei deine Tuniere !!! Bussi Baba Anna

Mir gfoit eicha Seitn voi guat! De Zeitn mit eich san a voi de gaudi z.B.:Tanzkurs oder kino,...! Mochts weida so es is voi cool!

Cool ,des liadl mog i voi gern vo de coldplay!!!! Find i voi supa!! find i echt voi cool!! bussl Julschne

Sie is a voi oag siass und i hob sie a voi oag liab. Und wenns ma ned guad geht oda irgendwer Orsch zu mia is daun wirds bes und scheißt den/die jenige zam. Des is sooooooo liab von ihr.

Besonders interessant für den Sprachforscher ist die Schöpfung "voi oag siass": Hier werde das "voi oag" gleichsam zu einem neuen Wort, also lexikalisiert, was dann Wendungen wie "voi oag liab" u.ä. erlaubt, erklärt Hannes Scheutz.

Bei der Suche nach einem Sprachwissenschaftler, der die inkriminierten Wortkreationen verschmäht, scheiterte der Autor dieses Beitrags. Scheutz weiß, warum: "Kein ernst zu nehmender Sprachwissenschaftler würde solche Sprachschöpfungen bedenklich finden. Variation und Veränderung gehören zum Wesen der Sprache: Sie ist ein Teil der menschlichen Identität - und genau so wie alle anderen menschlichen Verhaltensweisen einer steten Dynamik ausgesetzt." Dass Sprachveränderungen zumeist als Sprachverfall erlebt (und negativ bewertet) werden, verwundert Scheutz ebenfalls nicht: "Klagen über den Sprachverfall gibt es, seit es Sprachreflexion gibt. Offenbar erlebt man es als eine Art Kränkung, wenn jene Sprachnormen, die man selber internalisiert hat, von anderen Sprechern ignoriert werden."

Ein neues Spiel wird möglich: Ich höre dir ein Zeitlang zu, welches Graduierungswort bzw. welche Steigerungspartikel (so die Fachausdrücke für "voi" und Co.) du wiederholt verwendest, und dann sage ich dir, wann ungefähr deine Adoleszenz war. Hannes Scheutz hat die geheime Liste für dieses Spiel erstellt:

um ca. 1920 kolossal

um ca. 1940: furchtbar

um ca. 1970: unheimlich, unglaublich

um ca. 1980: echt, tierisch

seit ca. 1990: total, extrem, wahnsinnig, irrsinnig

seit ca. 1995: voll ("voi"), aber auch mega-, ultra- und hyper-

Ein Essen, das in den Vierzigern "furchtbar gut" schmeckte oder in den Achtzigern "echt gut", schmeckt heute - auch in sich in der Hochsprache mitteilenden Kreisen - dann eben zunehmend "voll gut".

Und so erscheint - einmal mehr - die Zukunft als relativ unaufhaltbar: "voi oag" könnte sich schon bald mit dem Vermerk "(österr.)" im Duden finden, Deppenapostroph und das bekannte Amalgam aus Deutsch und Türkisch (den Non-PC-Term verweigere ich hier) sind bereits salonfähig geworden, und wir Sprachpfleger werden wieder mal das große Nachsehen haben. Einzige Hoffnung: Dass das "voi" so schnell verschwindet, wie es in die Welt gekommen ist.