Die Journalisten müssen die Mächtigen kontrollieren und nicht umgekehrt
Der US-Journalist I.F. Stone hatte ein ehernes Prinzip: Reporter sollten mit der Voraussetzung an ihre Arbeit gehen, dass mächtige Institutionen lügen, und nicht damit, dass sie die Wahrheit sagen. Doch die Medien folgen einem andere Prinzip. Warum eigentlich?
Das ist ein leicht abgeänderter Auszug aus einem Beitrag im Buch "Das Elend der Medien". Es ist eine Zusammenfassung einiger Thesen eines Vortrags, den ich an Universität München gehalten habe.
Es macht keinen Sinn, das Ideal einer freien Presse als gegeben vorauszusetzen. Wer die Medien besitzt, wer sie managt, wer den Nachrichtenstrom am Laufen hält und im Zweifel auch Menschen bezahlen kann, die kritische Journalisten beeinflussen und disziplinieren, der wird dafür sorgen, dass dort nichts Lästiges erscheint, zumal die wichtigsten Zielgruppen ja die sind, die ohnehin das Sagen haben oder das meiste Geld.
Wer die Massenmedien so einrichtet, wie sie es sind, hat kaum Interesse an Machtkontrolle und Demokratie. Die eigentliche Funktion besteht vielmehr darin, die Bürger an den Kurs der Eliten anzubinden, Vertrauen in die Mächtigen und ihre guten Absichten zu schaffen und Unangenehmes aus dem Weg zu räumen.
Jede Gesellschaft hat außerdem ein Machtsystem. In Deutschland haben die großen Konzerne enorm viel Macht akkumuliert. Wenn man diesen Unternehmen die Medien in die Hand gibt, dann vertreten die ihre Interessen. Diese Interessen spiegeln aber nicht die Vielfalt der 80 Millionen Menschen in unserem Land.
Die Idee und das Grundkonzept des öffentlichen-rechtlichen Rundfunks sind an sich richtig. Die Frequenzen gehören uns, sie sind ein öffentliches Gut. Man hat dieses öffentliche Gut aber neutralisiert, indem man die Kontrollorgane politisiert und verstaatlicht hat. Die Folge: Die Politik kontrolliert den Journalismus. Das ist perfide. Es sollte genau umgekehrt sein.
Nach diesem Geburtsfehler gab es viele weitere Fehler. Erst das ZDF als eine Art konservativer Staatsfunk ohne Bürgerbeteiligung, dann der duale Rundfunk mit den Privaten.
In den vergangenen 20 Jahren hat sich die neoliberale Politik enorm auf die Berichterstattung ausgewirkt. Agenda 2010, die Angriffskriege, die Flüchtlingspolitik, die Ukraine-Krise. Egal ob Süddeutsche, Spiegel oder ARD: Die Berichte haben fast immer eine Schlagseite. Ideologische Vorannahmen, Filterung der Inhalte, doppelte moralische Standards. Man kann das Thema für Thema durchgehen.
Die Machtkonzentration können wir als Journalisten nicht überwinden. Wir sind aber nicht den mächtigen Institutionen verpflichtet, sondern den Bürgern. Wir bräuchten eine Berichterstattung, die Ideologien und einseitige Rahmungen überwindet. Das geht letztlich nur mit unabhängig konstruierten Medien.
Wenn ich meine Kollegen kritisiere, erlebe ich verschiedene Reaktionen: Als ich aufgedeckt habe, wie private und öffentlich-rechtliche Sender Fremd- und PR-Material undeklariert übernehmen, hatte das eine Wirkung. Das gibt es heute so nicht mehr. Man sieht immer die Einblendung der Quelle bei Übernahme von Fremdmaterial. Für mich war das ein Erfolg. Wenn auch ein kleiner.
Wenn ich die Kollegen allerdings mit Herman und Chomsky kritisiere und ihnen vorhalte, dass die Aufgabe moderner Medien gemäß ihrer institutionellen Einrichtung darin besteht, den Konsens der Eliten unter das Volk zu bringen und für Zustimmung zu sorgen, dann werde ich mit meinen Recherchen und Büchern nicht mehr besprochen. Dann bewege ich mich außerhalb des Diskursrahmens, selbst wenn ich den Befund gut belege.
Es braucht Schutzmauern gegen Einflussversuche auf Journalisten
Man kann darüber streiten, ob es geschickt ist, als Medienkritiker Begriffe wie Lügen oder Manipulation zu nutzen. Das gießt Wasser auf die Mühlen der Rechten. Was die modernen Medien machen, ist mehr ein Verschweigen, ein Auslassen. Das kann man ganz gut durch Input-Output-Analysen nachweisen. Die selektive Nutzung von Informationen kommt auch bei alternativen Medien vor. Aber dort sind es andere Faktoren.
Bei den Rundfunkanstalten muss zuerst die Besetzung der Räte verändert werden. Dass dort Politiker, Vertreter von Staatskanzleien und Regierungen sitzen, ist ein Witz. Die sollen wir doch kontrollieren. Dass dort dann auch noch Vertreter von Wirtschaftslobbys und Verbänden sitzen, ist lachhaft. Die müssen alle raus. Aber mit dieser Forderung finden Sie auf der politischen Ebene keine Unterstützung.
Es bräuchte Bürger- oder Publikumsräte. Es müsste Wahlen für die Räte geben. Und wir brauchen zivilen Ungehorsam. Flashmobs, die vor die Sender ziehen und sagen: Wir wollen eine andere Berichterstattung. ARD, ZDF und die Rundfunkfrequenzen gehören uns. Das muss in das Bewusstsein hinein. Sonst ändert sich nichts.
Journalismus muss unabhängig sein. Unternehmens- und Staatssektor werden aber immer versuchen, alles zu unterbinden, was ihren Interessen zuwiderläuft. Das heißt: Wir müssen Schutzmauern aufbauen. Das könnten Modelle mit mehr Publikumsbeteiligung sein oder mehr Schutz durch Selbstverwaltung.
Außerdem muss die Werbung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk beendet werden. Und: Alle kommerziellen Tätigkeiten abschaffen. Dazu zählt auch die Auslagerung von TV-Produktionen an private Firmen. Wir sollten auch die Lizenzierung von privaten Sendern neu überdenken, ähnlich wie bei der FCC in den USA. Gerade auf regionaler Ebene müssten sich die Sender vor den Bürgern rechtfertigen. Auch bei den Zeitungen könnte man ein Lizenzsystem einführen. Man könnte Druck und Vertrieb öffentlich finanzieren und auf dieser Basis lizenzieren.
Medienübergreifend braucht es Schutzmaßnahmen, wenn es irgendwelche Einflussversuche von außen gibt. Als Journalisten müssen wir die Möglichkeit und die Pflicht haben, alles transparent zu machen. Anrufe von Politikern zum Beispiel. Es braucht eine Webseite, auf der das dokumentiert wird. Das Problem der Einflussnahme würde so ganz schnell verschwinden. Ziel muss immer sein, dass die Journalisten die Mächtigen kontrollieren. Und nicht, dass die Mächtigen uns kontrollieren.
In der Wissenschaft fehlt es an Medienkritik. Es gibt hier und da mal eine Studie. Afghanistan, die Ukraine. Das ist viel zu wenig Futter, um in der Öffentlichkeit zu zeigen, wo es falsch gelaufen ist. Für einen Medienkritiker wie mich wäre es wichtig, auf Studien zurückgreifen zu können, die methodisch sauber sind. Ich versuche die Empirie in Büchern und Artikeln zu liefern, aber das ist alleine kaum zu bewältigen. Kommunikationswissenschaftler sollten sich viel stärker um die Fehler in der Berichterstattung kümmern. Aufdecken, den Zustand beschreiben, Aufmerksamkeit erzeugen.
Vor einiger Zeit war ich für einen Vortrag in Augsburg. Hinterher meinten einige Studierende: Aber es stimmt doch, was in der Tagesschau gesagt wird. Das ist doch objektiv, seriös und neutral. Das zeigt: Das Problembewusstsein ist gar nicht da. Die Menschen müssen erst einmal sehen, was da falsch läuft.
Dass in der Ukraine-Berichterstattung eben nicht alle Stimmen abgebildet wurden. Oder, dass über ein Schiffsunglück mit Flüchtlingen im Frühjahr 2015 anders berichtet wurde als bei einem vergleichbaren Fall im Frühjahr 2016, weil nebenbei der EU-Türkei-Deal ausgehandelt wurde. Wissenschaft könnte außerdem diskutieren, wie man institutionelle Barrieren abbaut und wie die Berichterstattung unabhängiger und kritischer werden kann.
Manchmal höre ich den Einwand: Ist zu viel Kritik, auch und vor allem an Medien und Journalisten, nicht kontraproduktiv und zerstört den gesellschaftlichen Zusammenhalt? Ich glaube nicht, dass es zu viel Medienkritik geben kann. Denn: Demokratie bedeutet Reibung.