Die Juwelen der Sicherheit
Die Konferenz "Future Security" der Fraunhofer Gesellschaft will mit "Angstwerbung" den Markt ankurbeln
Fotos © Heidi Specker, VG BildKunst
11. September 2008. “Die Bedrohung bleibt” steht in den Schlagzeilen. Ist das “Angstwerbung” für die Sicherheitsdienste unseres Staates? Auf dem Vorplatz des Kongresszentrums Karlsruhe werden die “stars and stripes” gehisst. Siebter Jahrestag der Anschläge auf die “twin towers”: 2752 Toten ist zu gedenken. “9/11”: Der Beginn einer neuen Zeitrechnung. Start in ein Jahrhundert des Terrors? Zunächst einmal: Beginn eines neuen, umfassenden Sicherheitsdenkens. Dessen Pflege widmet sich der Fraunhofer Verbund für Verteidigungs- und Sicherheitsforschung (VVS) dieses Jahr zum dritten Mal.
Der Schauspieler Christian Bale ist “der dunkle Ritter” im aktuellen Batman-Film. Als Lichtgestalt mit Schattenseiten darf er im Dienst des Gemeinwohls ruhig öfters mal bestehendes Recht brechen. Denn der Zweck heiligt die Mittel. Der Film thematisiert dies offensiv. Insbesondere droht Batmans Geschäftsführer mit Kündigung, weil der Boss ihn zwingt, eine illegale Videoüberwachung vorzunehmen, um seinen Gegner “Joker” zu erledigen. Joker ist ein irrer “Feak”, der das absolut Böse vor allem deswegen inkarniert, weil er nicht aus Gewinnsucht tötet. Batman nutzt zur Zielerkennung ein System, das in unserer Realität Celldar heißt. Die britische Siemens-Tochter Roke Manor propagiert und produziert es seit vielen Jahren. Testreihen laufen in Großbritannien bereits.
“Cellphone Radar” wertet Mobiltelefonstandorte so geschickt aus, dass dadurch ähnlich graustichige “Bilder” mit Überblick über eine gesamte Innenstadt entstehen können, wie sie in Batmans Labor auf hundert kleinen Bildschirmen zu sehen sind.
Praktisch ist dies schon seit 30 Jahren mit normalen Videokameras möglich, wie Kunstfreunde spätestens seit Timm Ulrichs Arbeit „ Schuss+Gegenschuss“ von 1970 wissen. Damals dokumentierte der Künstler den Weg von seiner Wohnung in sein Atelier mit Hilfe des niedersächsischen Landeskriminalamtes unter Ausnutzung des dichten Netzes innerstädtischer Kameras in Hannover. Auch das Scannen von Gepäck am Flughafen erkannte Ulrichs schon 1975 als brisant hinsichtlich der gegenseitigen Durchdringung von Ästhetik und Politik. In welchem Ausmaß das Alltag und Gesellschaft bestimmen, unser Verhältnis zu Reisen und der Begegnung mit Fremden verändern würde, kam jedoch erst nach 9/11 in den Blick.
“Multiple camera tracking”, Verfolgung einer Zielperson durch Verknüpfung zahlloser Kameras, heißt das Verfahren in der Fachsprache der Forscher, die sich mit der Zukunft von Videoüberwachung befassen. Wer hierfür die Handys unbeteiligter Bürger einsetzt - was technisch möglich ist –, bricht, ähnlich wie bei der progressiven Auswertung von Innenstadtüberwachung, bestehendes Recht in den meisten Staaten. Doch deutsche, polnische und britische Forscherteams, die sich im Rahmen des europäischen Forschungsprogramms FP7 mit der Generierung von hierzu nötiger Software befassen, kümmern sich zunächst einmal nicht um die Rechtslage. Sie schauen, was geht. Überall drohende Gefahren wollen gebannt sein. Stehen gebliebenes Gepäck mag Bomben enthalten. In der U-Bahn könnte ein Selbstmordattentäter sitzen. Folgen wir seiner Spur durch die Stadt! Wie bei Batman wird der Erfolg schon die Wunden heilen.
Wie kann ich nun sicher sagen, ob jener Koffer eine Bombe ist? Ob der Mann dort so dick ist, weil er eine Sprengstoffweste trägt? Konventionelles Video hilft da wenig. Aber “Terahertz Radar”!
Mit echtem Gold beschichtete Schaltkreise liegen adrett arrangiert in einer Vitrine. Davor interessierte Kunden, die sich hier zwar nicht zum Frühstück bei Tiffany, doch aber in der Frühstückspause der Konferenz versammeln, um zu erfahren, was die “in Split-Block Technik hergestellten Mikrostreifenleitungen” alles vermögen. Diese Sensoren sind die Juwelen der Sicherheit. Massive Höchstfrequenz-Monolithen von der Größe einer Streichholzschachtel können Spuren des klebrigen Sprengstoffs TNT auf der Kleidung sehen oder das von den Attentätern in Madrid und London eingesetzte TATP auf Koffern lokalisieren. Sie nutzen hierzu die Laser-Spektroskopie. Mit der vom BMBF geförderten Hightech-“Geisterseherei”, so die direkte Übersetzung des Terminus technicus, können unbemerkt Gewalttäter identifiziert werden. “Wir machen Sie nackt”, sagt der Festkörperphysiker Harald Müller und meint das keineswegs anzüglich. Das Entschärfen der Ladung bleibt allerdings ein Problem, das der Detektor nicht lösen kann. Auch Geister haben ihre Grenzen.
Gegenüber beim Forschungsinstitut FGAN rödelt ein Scanner mit dem Geräusch eines Nadeldruckers über seine Führungsrohre und schwenkt dabei ein Stück des fraunhoferschen Geschmeides über das Objekt seiner Begierde. Er hat in einer mit Plastechips gefüllten Pappkiste eine Walther PPK Polizeidienstpistole entdeckt und zeichnet ihr Bild auf einen Flatscreen.
Messestimmung. Ästhetik der Grundlagenforschung. Kein Stand zeigt ein Produkt, von dem es mehr als eine Kopie gibt. Der Markt fragt nicht nach. Er ist nicht mal anwesend. Die Forscher diskutieren daher ein ganzes Panel lang unter sich, wie sie die wirtschaftliche Lage verbessern können. Der Jurist Wolfgang Schünemann von der Uni Dortmund hält eine schmetternde Eloge auf die Angstwerbung. Die Leute fürchten sich noch nicht genug, um ausreichend Sicherheit zu shoppen.
So oft, wie während der zwei Konferenztage der missglückte Bombenanschlag in den Regionalzügen nach Koblenz und Dortmund herbeizitiert wird, als sei er der Geist, den man nicht gern wieder los sein möchte, drängt sich der Eindruck auf, die Vortragenden bedauerten die Zündpanne der Täter. Hätte es „geklappt“, sähe es anders in Deutschland und das Business könnte florieren.
Auch der stellvertretende ZDF-Chef Elmar Theveßen reiht sich hier ein, mit einer Evaluierung der Terrorgefahr in Deutschland, die jedem Neocon zur Ehre gereicht. Selbst der “homeland security”-Forschungsdirektor Jay M. Cohen droht nicht so unverhohlen mit vermeintlichen Gefahren, wie der deutsche Fernsehmann. Und das, obwohl der US-Admiral in seiner unterhaltsam vorgetragenen Rede noch einmal alle Märchen aus Bushs berüchtigter “axis of evil”-Rede vom Januar 2002 auftischt (Zehntausende über die Welt verstreute tickende Zeitbomben), so als habe es keinen Bericht der UN-Kommission von David Kay gegeben, der in allen 29 Fällen die Behauptungen Colin Powells entkräftet, der Irak stelle Massenvernichtungswaffen her; so als wisse man nicht seit Jahren, dass die Anthrax-Briefe vom Oktober 2001 keinesfalls “von einem einzelnen schlauen Hirn in einem Keller und nur mit einem Mikroskop als Ausrüstung” hergestellt und dann „für 30 Cent über die Post in Umlauf gesetzt“ wurden.
Was Cohen geflissentlich vermeidet zu sagen: Dass der Kreis der möglichen Täter klein ist und nur aus Gründen der Staatsräson noch keine Verhaftung durchgeführt wurde, ist spätestens seit dem Gutachten von Barbara Hatch Rosenberg 2002 bekannt. Ihre Expertenaussage vom 5. Juni 2001 (sic!), in der es heißt, Bioterrorismus erfordert staatliche Unterstützung, liest sich nachträglich wie eine Handlungsanweisung für die Anschläge drei Monate später. In der Tat stammt der mutmassliche Täter aus dem inneren Kreis der Verteidigungsforschung der US-Regierung in Fort Detrick, in deren Produktionsanlagen das Anthrax in den fraglichen Terror-Briefen gefertigt wurde. Dass nicht Islamisten, sondern US-Bürger am Werk waren, scheint auch FBI-Assistant Director Van Harp zu glauben, der den Ermittlungen den sprechenden Namen "Amerithrax" gab. Niemand möchte Untersuchungen öffentlich machen, die “negative Ergebnisse” erbringen, und das Geschäft mit der Sicherheit schädigen. Denn eine Bedrohung aus der Mitte der eigenen staatlichen Einrichtungen - das wäre doch etwas zuviel der Angstwerbung.
So wandelt der Besucher von „Future Security“ zunehmend irritiert zwischen fliegenden Drohnen, digitalen Lagetischen und Wassergütemessgeräten, die Brunnenvergiftern das Handwerk legen sollen. Er erfährt nebenher, dass die FIFA bei der WM 2006 im Stadion Leipzig ein Frühwarnsystem für Biowaffenangriffe installiert hatte. Von Fußball auf gefechtsmäßigen Einsatz von Bakterien zu schließen, ist schon eine sportliche Leistung. Es gab sogar einen Alarm: in der Herrentoilette schlug das Meßgerät in den roten Bereich und stellte erhöhten Ammonium-Austritt “in Wolkenform” fest. Ein sensibles Schnüffelnäschen hatte der Sensor! Doch als Urheber wurde kein Islamist, sondern schlicht Bier-Urin festgestellt.
Es bleibt am Ende nur ein einziges Projekt, dem es gelingt, das Konzept Sicherheit positiv zu wenden und zur Sicherung von Lebensqualität beizutragen mit einer Idee von Schutz, die nicht beschränkt ist oder erschreckt. Der Planer Markus Nöldgen vom Ingenieursbüro Schüßler stellt sein Promotionsprojekt “Security Scraper” vor. Das “sichere Hochhaus” ist ein lichter, offener, transparenter Bau von bis zu 500 Metern Höhe. Von außen ein Hochhaus wie alle anderen, beliebig gestaltbar. Innen enthält es einen doppelten Ring mit Fluchtwegen, gefertigt aus einem höchst explosionsfesten Beton, der für mehr als 90 Minuten freien Abzug garantiert. Das Rezept für den Baustoff UHPC stammt aus der Uni Kassel und ist dem Markt frei zugänglich: “Open Source” sozusagen.
Nöldgen hat nun in Kooperation mit dem Ernst-Mach Institut in Freiburg ein Tragwerk-Skelett entwickelt, das selbst dem Aufprall eines Verkehrsflugzeuges standhält und notfalls die Zerstörung von zehn übereinander liegenden Stockwerken übersteht, ohne dass der Turm einstürzt. Gemäß einer alten militärischen Strategie muss man bisweilen den kleineren Teil opfern, um das Ganze zu retten. Solange diese Weisheit uns davor bewahrt, künftig hinter Bunkerwänden Bürodienste zu leisten, soll sie uns willkommen sein.
Denn zwar “scheint Schmerzvermeidung das ultimative Ziel moderner Demokratien”, wie Holger Mey von EADS in seinem pointierten Schlussvortrag über das “Management von Unsicherheit in offenen Gesellschaften” anmerkt. Doch Schmerzen, die aus permanenter Verletzung bürgerlicher Rechte im Dienst einer “totalen” Sicherheit entstehen, mindern den Genuss der Freiheit erheblich. Und bei aller Bedrohung darf unsere Alternative nie “Sicherheit oder Freiheit” lauten.
Der Autor kuratiert die Ausstellung “embedded art. Kunst im Namen der Sicherheit”, die ab Januar 2009 in der Akademie der Künste Berlin zu sehen sein wird. Die Fotografin Heidi Specker ist derzeit an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig tätig. .