Die Kaffeesatzleser sind unterwegs
Seite 2: Blick in die Datenbanken: Fokus auf Gefahren
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In den Datenbanken der archivierten Zeitungen (Print wie Online) kann man die Häufigkeit von Schlüsselwörtern, Phrasen und Sätzen ermitteln. Ich habe dies nur für das vergangene Jahr 2022 gemacht. Pro Erscheinungstag (Mo-Sa) machten tagtäglich rund fünf Tageszeitungen beim Thema Covid mit einer Schlagzeile auf, mit der vor Gefahren und drohenden Trends gewarnt wurde. Überschrift des Münchner Merkur vom 13. Dezember: "Corona-Hilfen: Rückzahlung droht". Genau dies ist das Muster in zahllosen Berichten.
Nehmen wir die bei Wiso/Genios gespeicherten rund 180 deutschen Tageszeitungen mit ihren Lokalausgaben. Sie publizierten im Laufe der rund 320 Erscheinungstage des Jahres 2022 zum Thema Covid-Pandemie 65.000 Berichte, in denen über drohende Gefahren geschrieben wurde: Dies sind pro Werktag rund 200 Zeitungstexte, die ihre Leserinnen und Leser auf künftige Gefahren einstimmten, die mit Corona verbunden seien.
Der Spitzenreiter ist Welt online: Umgerechnet auf Jahrestage wurden dort alle 24 Stunden knapp zehn solcher Schreckensszenarien veröffentlicht (zum Vergleich: Spiegel online brachte nur ein Fünftel davon). Die meisten Regionalblätter publizierten in ihren Ausgaben zwischen 400 und 500 solcher Droh-Szenarien, unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung: in der taz erschienen 426 Texte, in denen drohende Gefahren genannt wurden, in der Börsen-Zeitung waren es 378, in der Welt (Print) sogar 559 Texte.
Natürlich haben die Journalisten diese Angstmacherei nicht frei erfunden; in vielen Texten werden selbst ernannte Kassandren zitiert. Und in vielen anderen Texten steht diese Angstmacherei in wissenschaftlichen Kontexten, wo das Wort "Gefahr" mitunter eine andere Bedeutung besitzt.
Doch dies sind keine überzeugenden Einwände. Schließlich sind es die Medienmacher selbst, die ihre Themen auswählen, die ihre Berichte redigieren und deren Aufmachung festlegen. Die Journalisten beharren ja darauf, die Gatekeeper der Medienöffentlichkeit zu sein, Social Media hin oder her. Also tragen sie die volle Verantwortung für die Öffentlichkeit, die sie herstellen.
Nun ist es zweifelsfrei so, dass Aussagen über drohende Gefahren nicht der Vergangenheit, sondern der Zukunft gelten. Und es ist ja auch so, dass die Menschen vom Schrecklichen mehr fasziniert sind als von der happy ending story.
Für die Faszination, die schlimme Nachrichten in den Social Media erzeugen, gibt es auch schon einen Namen: Doomscrolling, also süchtig nach schlechten Nachrichten, doppelt, wenn sie angekündigt werden: guter Stoff für Hysteriker.
Wie groß dann die Diskrepanz zwischen den Kassandrarufen und dem stattgehabten Geschehen tatsächlich ist, wissen wir heute im Rückblick auf die Corona-Pandemie. Kita- und Schulschließungen, Lockdown und zehn Tage Quarantäne: im Rückblick Maßnahmen, die aus einem Gefühl der Angst und Panik beschlossen wurden und von vielen Experten und Politikern nun für unsinnig erklärt werden.
Hinterher ist man natürlich klüger, und Vorsicht ist bekanntlich die Mutter der Porzellankiste. Aber darum geht es hier nicht. Es geht darum, dass der Newsjournalismus seine Hauptaufgabe vernachlässigt: genau zu berichten und tiefgehend zu recherchieren, was passiert ist. Lassen wir die Kirche im Dorf: Manchmal gelingt dies, wie Anfang Januar die Enthüllungen über den PCR-Testskandal des damaligen Gesundheitsministers Jens Spahn belegen, der offenbar mehrere Milliarden Euro verpulvert und Lobbyarbeit betrieben hat.
Aber solche Investigationen sind leider nur mehr die Ausnahme. Zur Regel geworden ist die journalismusfremde Prophetenrolle: so tun, als könne man in den Sternen lesen. Nicht nur fürs neue Jahr, sondern Woche für Woche. Beispielhaft die dickte Überschrift auf Titelseiten vieler Zeitungen der Funke-Mediengruppe am 3. Januar: "Wir werden 2023 einen Waffenstillstand haben". Endlich mal eine gute Nachricht zum Krieg in der Ukraine? Nee, keine Nachricht, sondern leider wieder nur Kaffeesatz-Geschwätz.
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