"Die Kalifornische Ideologie hat einen faschistoiden Charakter"
Seite 2: "Umsetzung autoritärer Konzepte"
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Sie machen eine Kohärenz zwischen der Gedankenwelt der Internet-Elite und der Philosophie Friedrich Nietzsches aus. Worin besteht diese?
Werner Seppmann: So wie bei Nietzsche seine Philosophie mit einem absoluten Geltungsanspruch verbunden ist ("Die eigentlichen Philosophen aber sind Befehlende und Gesetzgeber; sie sagen, 'so soll es sein!'", heißt es bei ihm), präsentiert sich auch die Fortschrittsgläubigkeit der Computer-Elite. Die IT-Milliardäre leiten aus ihrer ökonomischen und technologischen Sonder- und zunehmenden Monopolstellung einen ebenso exklusiven wie elitären Anspruch nach Zukunftsgestaltung ab. Würden sie diesen weltanschaulichen Kontext kennen, wäre es nicht unwahrscheinlich, dass die führenden IT-Akteure sich auf das Übermenschen-Konzept Nietzsches berufen würden.
Aber auch ohne eine solche konkrete Nietzsche-Kenntnis sind dennoch in den Grundorientierungen der Kalifornischen Ideologie alle wesentlichen Elemente des philosophisch kaschierten Zynismus des Philosophen und seiner Verachtung der "Massen" allgegenwärtig. Bei den Gesellschaftsvorstellungen der IT-Kapitalisten handelt es sich um eine radikale Variante der neoliberalen Ideologie: Jegliche Regulation ökonomischer und technologischer Prozesse gilt ihnen nicht nur als höchst fragwürdig, sondern als geradezu obzön. Gesetzliche Beschränkungen (gleich welcher Art) und jede Regelsetzung werden diskriminiert. Regulationsgedanken sind für viele Computer-Ideologen ein Tabu-Thema.
Selbst gegenüber totalitären Positionierungen des IT-Establishments, wie sie beispielsweise der Netz-Multimillionär Peter Thiel (Mitbegründer des PayPal-Zahlungssystems) postuliert, sind die meisten IT-Ideologen sprachlos - auch wenn Thiel angesichts eines angeblichen "Kampfes zwischen Politik und Technologie auf Leben und Tod" (wie er es nennt) zum Zweck der Stabilisierung der herrschenden Gesellschaftsordnung von der Notwendigkeit der Umsetzung autoritärer Konzepte spricht: "Das Schicksal unserer Welt liegt vielleicht in den Händen eines einzelnen Menschen, der den Mechanismus der Freiheit erschafft oder verbreitet, den wir brauchen, um die Welt zu einem sicheren Ort für den Kapitalismus zu machen." (Thiel) - Um das richtig zu verstehen: Mit "Freiheit" ist die uneingeschränkte Handlungsvollmacht der IT-Milliardäre gemeint.
Dass demokratische Partizipation ausgedient, selbst ihre Modellfunktion verloren hat, wird immer unmissverständlicher nicht nur vom Spitzenmanagement der IT-Industrie betont, sondern ist immer deutlicher auch aus den Denkfabriken des Silicon Valley zu hören: Demokratie sei "eine veraltete Technologie … - sie hat Reichtum, Gesundheit und Glück für Milliarden Menschen auf der ganzen Welt gebracht. Aber jetzt wollen wir etwas Neues ausprobieren." (Randolph Hencken) Die Kalifornische Ideologie besitzt also unübersehbar einen tendenziell faschistoiden Charakter.
"Ökonomisierung zunehmender Gesellschaftsbereiche"
Sie vertreten in Ihrem Buch die These, dass sich der Kapitalismus über die Computertechnologie genau die Subjekte schafft, die er aktuell braucht. Ist das nicht ein wenig ökonomistisch gedacht?
Werner Seppmann: Die Realität ist manchmal ökonomistischer, als es dem kritischen Gesellschaftstheoretiker recht sein kann. Wir können auf vielen Feldern die Ökonomisierung zunehmender Gesellschaftsbereiche, verbunden mit dem Zwang für die Individuen, eine marktkonforme Identität auszubilden, beobachten. Computer und Internet forcieren diese Entwicklung: Nicht zuletzt werden entfremdete und kapitalismuskonforme Sozialnormen gerade bei der manischen Verwendung der "Neuen Medien" automatisch eingeübt, denn der Netz-Kosmos ist eine Welt der Zeichen und Marken, deren Prägekraft man sich unterwerfen muss, wenn man soziale Randständigkeit vermeiden und "kommunikationsfähig" bleiben will. Der sicherste Weg ist die Selbststilisierung gemäß konsumptiver Lebensstil-Schablonen im Rahmen der elektronischen "Kommunikations"-Rituale.
Es geschieht auf diesen, wie auch auf allen anderen alltagskulturellen Feldern, zwar nichts, was nicht auch ohne den Computer geschehen würde, aber durch die Universalisierung seiner Verwendung geschieht das in besonderer Intensität und mit größerer Effektivität.
"Zunehmende Zentralisierung des Bildungssystems
Können Sie das konkretisieren?
Werner Seppmann: Ein sehr aussagekräftige Beispiele finden wir im Bereich der "Digitalisierung des Lernens". Die Kinder sollen "zukunftsfähig" gemacht werden, so heißt es. Aber was sind die tatsächlichen Konsequenzen einer solchen Mechanisierung pädogogischer Prozesse? Es wird von den Softwareverkäufern versprochen, dass die elektronischen Lernmaschine den Kindern zugute kommen würde: Deren schulischen Leistungen würden verbessert und ihre intellektuelle Entwicklung gefördert. Tatsächlich muss aber bei den vorherrschenden Varianten der Computer-"Pädagogik" das Gegenteil konstatiert werden: Kognitive Entwicklungen werden ebenso behindert, wie emotionale Prozesse gestört. Am allerwenigsten wird soziale Kompetenz entwickelt, dafür aber ökonomisch gewünschte Funktionalitäten gefördert.
Es geht nicht um den Verzicht auf den Computer in der Schule, aber um einen pädagogisch reflektierten Umgang mit ihm. Der ist in den tonangebenden Konzepten, die von der IT-Industrie und nicht vom pädagogischen Sachverstand definiert werden, jedoch nicht vorgesehen. Für die Protagonisten der "Digitalen Bildung" handelt es sich um ein Trojanisches Pferd, um endlich neoliberalistische Prinzipien im Bildungssektor durchzusetzen. Schon lange bemüht man sich um dessen kommerzielle Prägung - und ist doch noch nicht so richtig voran gekommen. Die "Digitalisierungsoffensive" bietet eine neue Chance der Einflussnahme, Bildung zu privatisieren und auch zu zentralisieren. Es stehen keine pädagogischen Konzepte im Vordergrund, sondern die Vermarktungsstrategien der Softwareverkäufer.
Es geht um eine zunehmende Zentralisierung des Bildungssystems mit Hilfe der von ihnen entwickelten Lernprogramme. Schleichend soll der Lehrer durch die Software abgelöst werden: Es geht um die systematische Umstellung auf digitale Bildungsinhalte - und zwar von Beginn an: Frau Merkel hat bei ihrer Parteinahme für diese neoliberale Offensive sich regelrecht verplappert, als sie im Wahlkampf sagte: Die "Lerninhalte sollen in einer digitalen Cloud bereitgestellt", also zentral zu Verfügung gestellt werden. Das entspricht den Wünschen und Vorstellungen des IT-Komplexes, über die sie aber normalerweise schweigen und nur in ihren internen Positionspapieren sprechen.
"Beim Computerlernen wird nur ein enges Spektrum mentaler Fähigkeiten stimuliert"
Was halten Sie bei dieser Tendenz zur Digitalen Bildung für besonders problematisch?
Werner Seppmann: Die Fakten sprechen hier eine deutliche Sprache: In Vergleich mit Kindern, die selektiv und sparsam mit Computern als Lernmedium umgehen, schneiden Lernende mit intensiver Computernutzung auf allen relevanten Feldern (mit Aussnahmen einiger mathematischer Aneignungsprozesse) negativ ab. Bei Kindern, die mit Computer-Software traktiert werden, ist beispielsweise eine geringere Verarbeitungstiefe des Lernstoffes festzustellen: Weil spezifische Gehirnverknüpfungen beim Computerlernen nicht stattfinden, bleibt das Wissen oberflächlich, um nur einen Aspekt zu nennen.
In der Regel ist computervermittelte Wissensaneignung kaum geeignet, ein intensives Nachfragen zu fördern, weil herausgelöst aus kommunikativen Zusammenhängen (die nur reales Lehrpersonal und ein miteinander interagierender Klassenverband garantieren kann) die Lernenden einer abstrakten Faktizität verpflichtet bleiben: Lernarbeit vor dem Bildschirm stellt deshalb in wesentlichen Belangen ein Gegensatzprinzip zur gedanklichen Erfassung und Durchdringung von Sachverhalten dar und auch von in Gemeinschaften organisierten Lern- und Abstimmungsprozessen dar, die vor allem auch bei der Entwicklung sozialer Kompetenz unverzichtbar sind.
Einer der problematischsten Aspekte ist, dass beim Computerlernen nur ein enges Spektrum mentaler und emotionaler Fähigkeiten stimuliert werden. In einer OECD-Studie aus dem Jahre 2015 wird die Problematik digitalisierter Wissensvermittlung pointiert auf den Punkt gebracht: Auch die stärkste Technik kann selbst schwachen Unterricht nicht ersetzen, heißt es dort, weil Computer-Lernen regelmäßig hinter der Intensität herkömmlicher Formen, durch Menschen vermittelter Prozesse der Wissensarbeit, zurückbleibt.
Der Hintergrund der Defizite des Computerlernen ist die Tatsache, dass Lernerfolge vor allem in jungen Jahren von Verständnis und Vertrauen lebendiger Menschen abhängig sind. Technische Anordnungen sind nicht geeignet, das Selbstvertrauen und die Fähigkeit zum Selbstdenken bei jungen Menschen zu stärken. Einer der Gründe dafür ist, dass die digitalen Lernprogramme nach technologischen und nicht lernpsychologischen Kriterien entwickelt werden. Sie sind nur geeignet, Abläufe abzuspulen, an denen vor allem auch regelmäßig die sozial schwachen Kinder scheitern. Die Softwareverkäufer reden zwar von einer Individualisierung des Lernens, intern jedoch von den Profitchancen, die sich aus der faktischen Zentralisierung ergeben.
Im Blick hat man auch den prosperierende Nachhilfemarkt, wo das Abkassieren besorgter Eltern am einfachsten möglich sein dürfte. Die Schulen sollen nach den Worte des Interessenarbeiters für die IT-Industrie Professor Mayer-Schönberger "zu Keimzellen eines Big-Data-Ökosystems" werden. Das sind unmissverständliche Worte aus der Höhle des Löwen.
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